Keine Tabus?

Christoph Schroth inszeniert Faust I und II am Schweriner Staatstheater 1979

von

3.1 Einleitung

War Bennewitz’ 1975er Faust ein rückwärts gewandtes Spektakel, das Unsicherheiten in der Aufrechterhaltung überkommener, ästhetischer und politischer Faust-Ideale durchscheinen ließ, so macht Christoph Schroth vier Jahre später deutlich, dass ein Arbeitsstand in Sachen theatralischer Faust-Analyse in der DDR längst ohne derartige Beschränkungen untersucht und formuliert werden kann und dass eine sozialistische Faust-Aufführung durchaus den Zuschauer als ihren Partner statt als einen zu erziehenden Adressaten entdecken kann. Die Schweriner Inszenierung erscheint trotzdem weniger als Wendepunkt der DDR-Faust-Rezeption, demonstriert vielmehr in ihrer eindrucksvollen, szenischen Inkarnation letztlich die Konsequenz einer bereits stattgefundenen Verschiebung des Faust-Bildes, die nun in ihrer vollen Tragweite sichtbar und erlebbar wird. Schroth, der um die Realisierung seines Projekts bei der Partei „kämpfen musste“,952 hat diesen Faust exakt argumentativ vorbereitet und vor allem taktisch klug positioniert, wobei er gleichzeitig zur Anwendung bringt, was sich seit Jahren schon in Wissenschaft, Literatur und Theatern ankündigt.953,954 Das Aufstoßen einer Tür zu einem neuen Experimentierfeld mit Faust, die „Entdeckung“ faustischer ostdeutscher Identität als Herausforderung und Diskussion der eigenen Krisen und eine theatralische Dialektik im Sinne Brechts spielen die Hauptrollen in diesem zugleich kühnen wie kalkulierten Effekt.

Programmheft Berliner Ensemble Urfaust 1953
Programmheft Berliner Ensemble Urfaust 1953

3.2 Konzeption

Die Inszenierung bekennt sich im Programmheft zum Charakter der Dichtung als „Stück in Stücken“, will klare eigene Wege beschreiten und einen „Aneignungsprozess“ auf neue und eigene Weise vollziehen.955 Dabei geht es dem Regieteam darum, „die Dichtung FAUST in die künstlerische Sprache unserer Zeit zu übersetzen, damit ihre geistigen und emotionalen Wirkungen auf ein breiteres Publikum treffen.“956

Man verweist auf den Faust als Theaterstück und Volksfabel. Als ausdrücklich problematisch empfinden die Schweriner ein Resignieren und Sich-Einrichten in den gegebenen Umständen. Die Zufriedenheit der Bevölkerung hat Ende der 1970er Jahre in der DDR im Übrigen wieder abgenommen.957 Man fordert in Schwerin nun ein durchaus politisches Zurück zum alten „Vorwärts“, ein Weiterführen sozialistischer Wegsuche mit Faust.

Mephistos Predigten vom glühenden Leben, von der Zufriedenheit, von dem viehischen Wohlbehagen, das scheinbare Sesam-öffne-Dich für ein glückliches Dasein, ist immer der Anfang vom Ende. Denn das Voran, das Vorwärts hat aufgehört und die Kinder, die diese Lebenshaltung gebiert heißen Abstumpfung, Dekadenz, Übersättigung, Schlaffheit.958

Mit Lunatscharski959 wird hier wieder das unbedingte Streben der Titelfigur als wesentlich erkannt. Zwar entspricht diese Auslegung auf den ersten Blick voll und ganz der staatlichen Doktrin, die in der humanistischen Taufzeremonie der DDR schon 1949 verkündet worden war960, jedoch erweist sich ihr Akzent in diesem Falle als deutlich verlagert, denn es ist dies ein „Vorwärts“, das der Idee sozialistischer Utopie nicht mehr verpflichtet, ihr entwachsen ist und sich auf der Szene nicht auf machtpolitische, sondern die realen Bedürfnisse des einfachen Zuschauers einlässt. Weniger Sensation als vielmehr klarer und konsequenter Ausdruck eines Abstands zu den Traumbildern der Vergangenheit ist die überfällige Relativierung der Schlusspassage als einer nicht sozialistischen, sondern viel mehr bourgeoisen Vision.

Die Utopie, die er […] reflektierend entwickelt (‚mit freiem Volk auf freiem Grund‘), ist die idealisierte Gestalt bürgerlicher Freiheiten: Beseitigung feudaler Fesseln, freie Unternehmer (da ‚genügt ein Geist für tausend Hände‘), freie Arbeitskräfte, Freiheit des Besitzes und Freisetzung bis dahin unbekannter Produktivkräfte! […] Ein Ausweg wird nicht gezeigt.961

Das freie Volk bei Goethe sei noch lange nicht ein Volk des Sozialismus, sondern müsse zunächst „durch diese ‚teuflische‘ Lebenspraxis der Bourgeoisie, durch die tragische Schuldverstrickung des Faust hindurchschreiten – es gibt keinen anderen Weg für den geschichtlichen Fortschritt.“962

Eine endgültige und klare Absage an die jetzt naiv erscheinende Hymne eines Walter Ulbricht, der sich den freien Grund in die DDR hineinfantasierte. Zu diesem Rückzug passt auch eine Variation der lange gültigen lukácsschen/scholzschen These von Faust als „Menschheitsbefreiungsdrama“, die Rudolf Dau im Programmheft vornimmt. Dau fasst das Stück auf als „‚Modell‘ für den problematisch-widerspruchsvollen, zugleich aber ‚weiterweisenden‘ Beitrag der Klasse des Bürgertums zur Fortentwicklung der Menschheit (im geistig-kulturellen wie im materiellen Sinne), nicht aber als Modell für die Menschheitsgeschichte schlechthin.“963

Auf der Schweriner Bühne werden auf die Worte der Schlussvision durch Faustdarsteller Heinrich Schmidt dann folgerichtig besonders explizite Betonungen angewendet: „auf FREIEM Grund, mit FREIEM Volke stehen“, heißt es da, ganz so, als sei das „Freie“ eben das Extraordinäre, das Nicht-Anwesende, das Verschiedene. „Zum Augenblicke DÜRFT ich sagen“, deklamiert Schmidt – die Irrealität, die Möglichkeit, die Sehnsucht nach der eben unerfüllten Vision der Figur wird klar herausgestellt.964 Weil diese Goethe-Passage in der DDR seit Ulbricht immer in Bezug zum eigenen Land gelesen wird, ist die hier vorgeführte Variante ein starkes und mutiges Statement. Sie räumt auf mit alten Versprechungen. Sie bedeutet im Klartext: „Dies ist nicht der freie Grund, dies ist nicht das freie Volk – wie schön wäre es, würden wir das noch erleben.“

3.3 Ausbruch

Schon zu Beginn der Aufführung wird die faustische Sehnsucht nach einem solchen höchsten Augenblick spürbar. Auf der Titelseite des großformatigen Programmheftes prangt ein Schwarz-Weiß-Foto vor orangefarbenem Hintergrund und zeigt den Blick vom eisernen Vorhang auf die hell erleuchtete Seitenbühne des Staatstheaters Schwerin. Wir erblicken eine schwarzgraue gewellte Metallwand – eine Absperrung, eine Barriere, ein dunkles, gewaltiges, beengendes, uniformes und kaltes Hindernis. Doch im unteren linken Teil des Bildes öffnet sich eine Tür hinter der gleißendes, weißes Licht einen Durchgang zu unbekanntem Ziel verheißt. Darüber in fetten Lettern: FAUST – DER TRAGÖDIE ERSTER UND ZWEITER TEIL. Die Titelfotografie ist der Szene „Osterspaziergang“ der Aufführung entnommen, genauer gesagt: dem Übergang zwischen den Szenen „Nacht“ und „Vor dem Tor“.

Die Übergänge sind es, die Schroth in dieser Inszenierung ganz besonders mitreißend, geradezu filmisch, herausarbeitet. In besagter, imposanter Blende aus der engen und abgesperrten faustischen Studierwelt in eine nunmehr abstrakte, phantasmagorische Vision des Idylls des Osterspaziergangs, die nichts mehr mit versöhnlicher Folklore der Langhoff-Ära zu tun hat, reißt der Faust-Darsteller die Sicherheitstür des eisernen Vorhangs, die Absperrung des faustischen Experimentierraums, brüllend, manisch, wie wahnsinnig auf und schreit sein „Vom Eise befreit“ in den Lichtkegel hinein. Es ist unnötig und würde zu weit führen, in dieser Szene die Aufforderung zur Republikflucht zu antizipieren, gleichwohl wirkt der vorgeführte Ausbruch aus einem Faust-Kerker, der seinerseits in blendende Ungewissheit führt, als ein starkes, subversives, fast symbolistisch-unterbewusstes Bild für eine bereits stattgefundene Transformation ostdeutscher Identität, die im Schweriner Theater chaotischer, komplexer und freier artikuliert werden kann als je zuvor. Bühnenbildner Jochen Finke bringt es auf den Punkt: „Weh! Steck ich in dem Kerker noch? / Verfluchtes Dumpfes Mauerloch. Jeder, der im September 1979 in Schwerin diese Wort hörte, hatte sehr konkrete Assoziationen.“965

3.4 Vier neue „Fäuste“ erlösen einen alten Faust

Auffälligstes Inszenierungsmerkmal ist sicherlich neben der Strichfassung966, die beide Teile der Faust-Tragödie in einen Theaterabend von etwa siebeneinhalb Stunden konzentriert967, die Besetzung von vier Darstellern, die sich die Faust-Rolle teilen. „Wie auf der Kasperbühne gibt es für jedes Lebensalter Fausts eine extra Charakterfigur“.968 Mephisto wird hingegen durch eine Frau besetzt, die souverän agierende Lore Tappe, „sicher der Glücksfall der Aufführung“.969 In Schroths Aufführung wäre ein strahlender Revolutionsheld hingegen völlig fehl am Platze und nach Schroth wird solcher auf den DDR-Bühnen ein für alle Mal unglaubwürdig und unmöglich. In Schwerin sehen wir, wie bei Dresen, zu Beginn einen Faust in der Krise970, danach aber auch einen jungen und leidenschaftlichen Faust, einen gereiften und liebenden Faust und später einen alten Faust als Kapitalisten und Industriellen. Schon durch diese Transformationen werden eine voranschreitende Entwicklung der Figur, ihre „Drehpunkte“ und „Metamorphosen“971 ganz unmittelbar und einleuchtend miterlebbar. „Wolf-Dieter Lingk als intellektueller Faust bis zur Hexenküche, Horst Kotterba als junger Faust der Gretchen-Handlung, Peer Jäger als Faust am Kaiserhof und Partner Helenas, Heinrich Schmidt als alter Faust.“972

Schroth ernennt mit diesen Umwandlungen der Titelfigur nicht zuletzt die Suche des eigenen Mediums nach faustischer figuraler Konkretisation zum szenischen Topos. Die Schweriner Aufführung bedeutet somit keinen Bruch mit dem alten Ideal, sondern endlich und endgültig seine szenische Überwindung. Die Faust-Figur wird vom Diktat der Vorbildlichkeit und vor allem von der darum kreisenden und in sich fruchtlos gewordenen Debatte – ob die Figur nun „vorbildlich“ zu sein habe oder nicht – befreit. Gleichzeitig machen Schroths vier „Fäuste“ die Auflösung von vermeintlicher Singularität eines (staatlichen) Lösungsangebots zur Faust-Deutung auf der Bühne nachvollziehbar. Faust hat viele Gesichter, allein diese Aussage erweist sich als hochpolitisch. „Bemüht die neuesten Ergebnisse der marxistischen Forschung einzubeziehen“ werde in dieser Aufführung Faust „nicht zur Vorbild-Figur hochstilisiert, sondern in seinen Widersprüchen begriffen“, dies sei ein Vorzug der Inszenierung. Dass diese Sätze im Neuen Deutschland abgedruckt werden, der Zeitung, die sich jahrzehntelang als Kustodin der Heldenfigur Faust versteht, zeigt, wie sehr sich die Dinge geändert haben.973 Gleichzeitig ist es hilfreich, dass Schroth ganz pragmatisch beide Teile an einem Abend spielen lässt. Damit entgeht er nämlich dem Dilemma, so wie Dresen am Schlusspunkt der denkbar tiefsten und negativsten Episode der Faust-Fabel – dem Ende der Gretchentragödie – aufhören zu müssen.974 Auswärtigem und Schweriner Publikum gibt man gleichzeitig die Chance, das Theaterereignis besser mitverfolgen zu können, da es ohnehin, so Schroth trocken, „nicht an mehreren Abenden hintereinander ins Theater zu bewegen sei“.975

3.5 Entdecken

„Mit der Darstellung der Dichtung FAUST an einem Abend soll das Werk in seinen gewaltigen Dimensionen nicht eingeschränkt werden. Wir zielen darauf, sie in ihren tatsächlichen Dimensionen in das Bewusstsein unseres Publikums zu rücken.“976

Das Regieteam rechtfertigt seine Konzeption mit einer vielbeschworenen Tugend des sozialistischen Systems: Fortschritt. Es ist des Schweriner Schauspieldirektors Geschick und Verdienst977, sich die sozialistische Rezeptionsgeschichte seines Stücks auf elegante Weise nutzbar zu machen.978 Durch ein sozusagen politisch unangreifbares Vokabularium in der Verwendung solch allgegenwärtig verbreiteter Losungsworte wie „Vorwärts“ und „Fortschritt“ als zentrale Ausgangspunkte seiner Konzeption werden letztlich die Problematiken und Misserfolge im sozialistischen Umgang mit dem Klassikertext untersucht und dargestellt, anstatt der Versuchung zu erliegen, diese zu glätten.

Das Theater muss, will es in unserem […] Sinne Volkstheater sein, die Bedürfnisse, die das Volk wirklich hat, versuchen nicht nur zu befriedigen, sondern immer neue Bedürfnisse, das sind immer ästhetische und politische Bedürfnisse, zu wecken und damit neue zu befriedigen. […] Für mich ist wirkliches Volkstheater der Ausdruck hoher politischer und ästhetischer Übereinstimmung zwischen Theater und dem Publikum.979

Die Aufführung wird im Rahmen des Theaterfestivals der sogenannten Schweriner DDR-Entdeckungen herausgebracht980. Der Titel wäre schwerlich besser wählbar gewesen. Entdeckungen implizieren das Forschen, das Auffinden, das überraschende Erkennen von Verborgenem, das unter einer bisher geschlossenen Oberfläche schlummert. Solches Ent-Decken wird zum Motto der Aufführung. Mit Faust entdeckt hier auch das Publikum einer ostdeutschen Provinzstadt seine DDR neu. Schroth hatte sein Publikum in jahrelanger Arbeit vorbereitet, ein Vertrauensverhältnis zu den Schwerinern aufgebaut.981 Schmalzbrote und Bier werden in den langen Pausen im Foyer gereicht982, das Publikum diskutiert angeregt, junge Zuschauer berichten begeistert in die Kameras des DFF983, wie gut ihnen dieser Faust gefällt, obwohl sie etwas ganz anderes erwartet hatten. Der Klassikerstaub, der sich „zentnerweise“984 auf dem hehren Goethetext niedergelassen hat (Brecht), wird weggeblasen, „jegliche Interpretationspatina bis auf den Grund abgekratzt“.985 Identität konstruiert sich im Schweriner Theater damit zwischen Zuschauerraum und Lobby in der spontanen Diskussion und nicht als organisierte und aufgesetzte Propaganda von oben.

„Wir nähern uns dem Werk mit großer Ehrerbietung, aber abgestandene Pietät, die in gewisser Weise diesem Kunstwerk immer noch entgegengebracht wird, können wir nicht teilen.“986 Auch dieser Faust wird einem Jubiläum, dem 30. Jahrestag der DDR gewidmet. Doch welch ein anderes Land scheint dies in Schwerin zu sein, als es zuvor in Weimar gefeiert worden ist.

3.6 Verfremdung

Die Methode, mit der Schroth eine identitäre Erwartungshorizontverschiebung in Faust durch einen geradezu virtuosen Einsatz theatralischer Mittel und Zeichen einrichtet, ist eine kühne, erfrischende, originelle und fantasievolle Regie, die mit ungewöhnlichen Neuerungen die Faust-Rezeption umkrempelt. Brechts Forderung, gegen die Einschüchterung durch Klassizität anzugehen, entnommen aus seinem Aufsatz „Humor und Würde“, aufgeschrieben anlässlich der Urfaust-Aufführung von 1953, wird in der Schweriner Aufführung verwirklicht und steht als eröffnendes Manifest auf der ersten Seite des Programmheftes. 1979, 26 Jahre nach Verfassen des Textes hat der Theatermann Brecht also noch nach seinem Tod, quasi als „Stafettenläufer der großen Wahrheit“987 (Eisler) mit seinen Ideen die Dialektik ins Theater der Ära Honecker zurückgetragen. Schroth versteht diese Wahrheit nicht als oppositionelle oder dem Sozialismus ungemäße Auffassung, so wie man sie in den 1950ern und 1960ern bestraft hat, sondern explizit als eigenständige, DDR-immanente und wertvolle, kulturelle Konzeption. Mit der nun endlich auch szenisch ablesbaren Wiederentdeckung Brechts fordert Schroth ein Besinnen auf die Qualitäten und Chancen dieser Aspekte ostdeutscher Theaterkunst. Insofern ist das DDR-Theater, was Faust angeht, mit der Schweriner Aufführung durchaus an einem Ziel angekommen. Der Bezug auf den epischen Urfaust kann echter und direkter stattfinden als etwa bei Bennewitz in Weimar 1965, der ebenso die Arbeit Brechts durchaus wahrgenommen, jedoch szenisch nicht deutlich umsetzen konnte. In Schwerin sind es gerade die ehemalige Borniertheit und Enge der „Vollstrecker“-Mentalität, die den theatralischen Motor des Ensembles tüchtig befeuern. Hanns Eisler sagte im Interview mit Hans Bunge:

Es ist die große Verfremdung, wissen Sie, des Kasperls, des Wurschtl-Theaters, der Volkskunst. Brecht hat die Verfremdung nicht erfunden. Er hat sie nur auf eine enorme Höhe gebracht und sie neu angewendet in der hohen, klassischen Form. Er hat sie von den Jahrmärkten geholt auf die deutsche Bühne, wo er den Naturalismus und das Luxustheater damit bekämpft hat. Das darf man nicht vergessen.988

Schroth hat das nicht vergessen. Es ist ein Glücksfall, dass es in der DDR tatsächlich gelungen ist, diese Verbindungen zwischen 1953, 1965 und 1968 szenisch herzustellen, spricht dieses Schweriner Ergebnis doch von einer in Jahrzehnten gewachsenen, dialektisch-künstlerischen Synthese.989

3.7 Altes und Neues

Wo er kann, wendet Schroth Goethes Text in „heitere Verfremdung“.990 In „Auerbachs Keller“ sehen wir eine depressive, sächselnde Karnevalsgesellschaft in einer klar im Jetzt angesiedelten Kneipe. „Die lustigen Zecher mit Pappnasen und dem Gebaren billigster Vergnüglichkeit führen die Szene zum ätzenden Spott hin“, ganz so wie es im Berliner Ensemble 1953 gemacht worden ist. Beginnt Mephisto die Szene in Schwerin mit „Wir kommen erst aus Spanien zurück“, so antworten alle Zecher mit einem sehnsüchtigen „Spanien!“ und Altmayer hebt leise und zaghaft an: „Es lebe die Freiheit“, bekommt jedoch schnellstens von Siebel den Mund verschlossen. Statt der Freiheit lässt er jetzt einen Luftballon über den Tisch flattern und die Weine Mephistos werden vom Kellner auf einem Schnapswägelchen reingefahren. Alle bedienen sich reichlich. Eine bissige Satire auf das „Spirituosenland“ DDR.991 Neben beißendem Spott über die Sehnsucht nach dem Süden und anderen mehr oder weniger originellen Ideen (Homunculus als Fernseher, die Hexenküche als Travestieshow) findet Schroth überzeugende neue Lösungen für die Liebe zwischen Gretchen und Faust, die so ehrlich und unpolitisch noch auf keiner großen DDR-Bühne zuvor zu sehen waren. Gretchen wird hier weder zur keifenden Kleinbürgerin abgestempelt, noch zu einer „Revolutionärin der Liebe“ verklärt. So sagt sie ihr „er liebt mich, er liebt mich nicht“ beim Wäscheklammernzählen auf. „Wie Faust und Gretchen beim Wäscheaufhängen (in der Gartenszene) zusammenfinden, wie sich ihre Hände berühren, wie sie sich von anderem redend, zu ihrer entstehenden Liebe rückhaltlos bekennen, ist eine große Leistung. […] Die Margarethe der Bärbel Röhl wird in diesen Szenen zum Ereignis der Aufführung.“992

Auch Faust-Darsteller Horst Kotterba gelingt an der Wäscheleine eine überzeugende und natürliche Darstellung jugendlicher Verliebtheit, ganz anders als man sie auf den DDR-Bühnen bisher kennt. Bei „Meine Ruh ist hin“ wälzt Gretchen sich in ihrem Bett, klammert sich an die Bettpfosten. Die Urfaust-Zeile „Mein Schoß! Mein Schoß!“ wird auch bei Schroth wieder hereingenommen. Auch das Religionsgespräch findet schließlich direkt in diesem Bett statt. Ungemein deutlich inszeniert Schroth auch die tierische, satanische Seite des Begehrens in der Orgie der Walpurgisnacht, in der er alle Figuren der Gretchenwelt (Lieschen, Valentin, Marthe usw.) wieder auftreten und miteinander kopulieren lässt und die pornografischen Paralipomena Goethes begleitend zum Einsatz bringt: „Vasall, Du bist erprobt, / Hierdurch beleih ich Dich mit Millionen Seelen, / Und wer des Teufels Arsch so gut wie Du gelobt, / Dem soll es nie an Schmeichelphrasen fehlen.“

3.8 Faust als Experimentierraum

Die Bühne – „überhaupt nicht die Assoziation eines Studierzimmers, sondern eher einer Fabrikhalle“993 – zeigt einen Theaterraum mit Wänden aus Wellblech und Glühlampen, die von der Decke hängen. Das Laboratorium Faust ist die Bühne selbst. Mitten im Studierzimmer liegt eine halbsezierte Leiche auf einer Bahre. „Das Stück wird von der Faust-Figur her erzählt. Also ist das Studierzimmer der Ausgangspunkt für alle weiteren Stationen der Handlung und zugleich als zentraler Schauplatz Bezugssystem für alle durch Vorhang und Fabel fixierten Positionen des Stücks.“994

Die Bühne zeigt sich auch später in der Aufführung durchgehend im Arbeitszustand. Faust wird vorgeführt als ein Leerraum, ein „Spiel-Raum“995, der in geschickten Verwandlungen immer neue Szenerien ermöglicht. „Vorzüge: Die Konstruktion erwies sich als funktionell, Umbauten gingen rasch und ziemlich geräuscharm vor sich, so daß schnell gespielt werden konnte, die Handlung sich rasch abwickelte.“996

Die nahtlosen Übergänge zwischen den szenischen Einheiten Goethes sind das entscheidende inszenatorische Moment, dass dieser Aufführung ihren Rhythmus und ihre Spannung und letztlich den damit einhergehenden Unterhaltungswert verschafft. Diese Effekte hatte auch Dresen schon eingesetzt. Die Videoaufzeichnung gibt von Schroths Verfahrensweise beredtes Zeugnis.997 Er potenziert etwa die Radikalität in der Abfolge der Ereignisse der Gretchentragödie, indem er die Handlung aus der „Hexenküche“ ohne Umbau oder Verzögerung auf die „Straße“ springen lässt. Faust fällt dem schönen Fräulein gleichsam in die Arme. Direkt nach der Liebesszene zwischen Gretchen und Faust tauchen gleich vier Lieschen hinter den beiden auf, inspizieren grinsend das Liebesnest, während sie hämisch ihre Texte sprechen. Kaum sind die Lieschens verschwunden, betritt sofort Valentin, kostümiert als moderner Soldat, die Szene. Der junge Faust führt den Kampf gegen Gretchens Bruder noch halbnackt, er ist gerade erst aus dem zerwühlten Bett aufgestanden. Nachdem Valentin tot ist, fällt Gretchen neben ihren Decken auf die Knie und betet ihr „Ach neige“. In dieser Geschwindigkeit, in dieser Schlüssigkeit, in dieser Energie hat man diese Sequenz noch nicht gesehen.998

3.9 Rezeption

Die Schweriner Aufführung wird zur Legende. Schon nach einem halben Jahr haben sie über 10 000 Zuschauer gesehen. „Das Theaterereignis in der DDR“, so titelt eine westdeutsche Zeitung.999 1983, nach fünfzig Aufführungen und 25 000 Zuschauern1000 wird die Aufführung zu Ostern im DFF übertragen. Im Vorspann einer Wiederholung, die zur Nachwendezeit im ZDF ausgestrahlt wird, resümiert Wolf-Dieter Lingk: „So was von Begeisterung bei Zuschauern hatten wir bis dahin noch nie erlebt.“ Schwerin sei „mit dieser Faust-Aufführung […] ein Mekka“1001 des ostdeutschen Theaters geworden. Das ist keine Übertreibung. Mit 111 Vorstellungen läuft die Aufführung zehn Jahre lang, bis im Jahr 1989 die Zuschauerzahl auf 60 000 steigt. Durch die Umstrukturierungen der politischen Wende wird die Inszenierung dann abgesetzt. Nicht nur bei Zuschauern, auch bei Kritikern erfreut sich die Aufführung zu DDR-Zeiten von Beginn an großer Beliebtheit. Kritische Gegenstimmen kommen zwar in Form einiger skeptischer Leserbriefe und von den Mitgliedern der Goethe-Gesellschaft Weimar1002, können jedoch die größtenteils äußerst positiven Reaktionen auch der staatlichen Medien nicht aufwiegen. Es scheint fast so, als hätten viele auf diesen Befreiungsschlag gewartet. Von einer „künstlerische[n] Leistung ersten Ranges“, einer „theatralische[n] Gesamtschau von ungeheurer Willenskraft“ und vor allem einem „Höhepunkt unserer sozialistischen Klassikerinterpretation“1003 wird in einer Schweriner Tageszeitung euphorisch gesprochen. Der uns mittlerweile gut bekannte Faust-Kenner und Kritiker Georg Menchén aus Weimar, eine wichtige Stimme, wenn es um Faust auf den DDR-Bühnen geht, zeigt sich begeistert darüber, dass die Aufführung „beim jugendlichen Publikum geradezu sensationell“ ankommt. Wenn er auch durch kurzweiliges Volkstheaterkonzept die philosophische Ausrichtung des Stücks gefährdet sieht, so räumt er in seiner ausführlichen Besprechung die Frische der Schweriner Arbeit ein. „Abgegriffene Sentenzen“ bekämen plötzlich „einen neuen Klang“.1004 Auch der einflussreiche Christoph Funke zeigt sich hochzufrieden.1005 Und sogar die offizielle Parteizeitung der SED, das Neue Deutschland, titelt: „Gelungenes Wagnis“.1006 Mit dieser Schlagzeile wird das Unternehmen Faust in Schwerin wohl am besten zusammengefasst. Auch im Westen findet die Aufführung Respekt. Die FAZ spricht von der „Bühnen-Sensation in der DDR“, in der „das Burleske und Parodistische über das Metaphysische triumphiert“. Man erkenne den „theatralische[n] Protest gegen Pathos, tradierte Rezeption“.1007 1986 gastiert die Produktion in Saarbrücken, worüber das Neue Deutschland stolz berichtet: „In Anwesenheit des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und des Leiters der ständigen Vertretung der DDR in der BRD, Botschafter Ewald Moldt, feierte das Publikum in minutenlangen Ovationen und mit Bravorufen die überzeugende Ensembleleistung“.1008

3.10 Fazit

Man darf diese Aufführung bei aller Begeisterung für ihre szenische Wirkung nicht überhöhen. Sie ist vor allem aus Schroths taktischer Klugheit überhaupt erst möglich geworden und wird vom MfS überwacht. Bärbel Jaksch, Schroths Dramaturgin, ist jahrelang als IM Jutta tätig1009 und berichtet detailliert über das Schweriner Ensemble, wobei sie zugegebenermaßen ihre Position auch dazu nutzt, Schroth und sein Projekt zu schützen und eine Gastspielreise in den Westen zu empfehlen.1010 Die Aufführung beweist aber auch, dass die staatliche Position in Sachen Faust bereits unklarer und liberaler ist, als die Probenarbeit beginnt1011, sonst wäre eine solche Inszenierung nie herausgekommen. Trotzdem eröffnet die Aufführung eine einmalige und bisher nie dagewesene Chance des Dialogs zwischen Zuschauer und Theater und damit zwischen Partei und Volk. Dialektik verlangt Debatte: Systemkritik wird bei Schroth unverhohlen zum Ausdruck gebracht. Es geht darum, die innerostdeutsche Wirklichkeit mittels Faust abzubilden, zu „entdecken“. Dieser Faust ist kein Umsturz, wie es Dresens war, er ist vielmehr eine theatralische Konsequenz, die in ihrer Radikalität nur den Gestrigen überraschen kann und in ihrer Rezeption geradezu triumphiert, fast als hätte man so eine Aufführung auf allen Seiten sehnlichst erwartet. Die Provokationen sind indessen kaum zu übersehen. Den kauzigen, eingesperrten und verwirrten Faust der Schweriner Szene kontrolliert eine Wagner-Figur, die eindeutig mit der subtilen Gewalt des Spitzels auf der Szene in Erscheinung tritt.1012 Faust hat offensichtliche Angst vor diesem Famulus – eine Idee, die Bennewitz 1981 auf der Bühne kopieren wird. Der nationale und internationale Zuspruch kann die Aufführung trotz kritischer Stimmen schützen, auch weil Schroth „Arbeiter und Ingenieure“ in den Produktionsprozess einbezogen hat1013 und so auch offiziell sein „Volkstheaterkonzept“ fundieren kann.1014 Obwohl er Prinzipien des sozialistischen Realismus vernachlässigt, hat Schroth das Ziel einer eigenständigen und anerkannten DDR-Regiesprache erreicht. Trotz allem steht bei Schroth, der zu diesem Zeitpunkt immerhin Parteimitglied ist, eben wie bei Dresen das „Ja“ zum eigenen Land zwischen und neben dieser Kritik. Eine Einmischung eines Regisseurs und seiner Zuschauer, wie sie hier stattfindet, wäre zehn Jahre früher so nicht möglich gewesen. Wolf-Dieter Lingk fasst zusammen: „Was wir damit anfangen wollten, war zu zeigen, das wann, in einer Welt, in der man lebt, wenn sie denn zu eng geworden ist, ausbrechen muss, um jeden Preis. […] Diese Faust-Geschichte […] beweist: Nur durch Veränderung und Bewegung ist es möglich in irgendeiner Art und Weise dieses Leben produktiv […] zu gestalten“.1015

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952 Jaksch, Bärbel: „Erinnerungen an Schroths Schweriner Volkstheaterkonzept oder ‚An dem alten Spruch „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ ist auch etwas Wahres‘ (Tadeusz Rózewicz)“. In: Linzer, Martin; Ullrich, Renate & Peter; Undisz, Esther (Hrsg.): Wo ich bin, ist keine Provinz. Der Regisseur Christoph Schroth. Berlin 2003, S. 44.
953 Vgl.: „In den Jahren 1978 und 1979 erschienen in der DDR zwei Bücher, die erstmals von den neuen Tendenzen in der Erbe-Rezeption Zeugnis ablegen […], nämlich Heinz Hamms Goethes ‚Faust‘. Werkgeschichte und Textanalyse (1978) und Horst Hartmanns Faustgestalt Faustsage Faustdichtung (1979). Hamms Buch ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch für den Bruch mit der Vollstreckertheorie, der sich in den 70er Jahren vollzog.“ In: Vietor-Engländer: Faust in der DDR. A. a. O., S. 106. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch eine Publikation Werner Mittenzweis über Brecht, kein Faust-Buch, aber ein Buch eines renommierten DDR-Germanisten, welches darin gipfelt, Brechts Thesen zur Klassizität und den Klassikern, formuliert in der Phase und auch anlässlich des Berliner Urfausts, neu zu untersuchen und die Bedeutung des Theaters für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu betonen. Vgl.: Mittenzwei, Werner: Brechts Verhältnis zur Tradition. Berlin 1974.
954 Piet Dreschers Inszenierung von 1976 am Theater Karl-Marx-Stadt hat so wie Schroth die brechtschen Themen „Einschüchterung durch Klassizität“ und Elemente aus dem 1953er Urfaust verwendet.
955 AdK, Berlin, Sammlung Inszenierungsdokumentationen, Nr. 405: Linke, Wilfried: Goethe, Johann Wolfgang: Der Tragödie erster und zweiter Teil. Regie: Christoph Schroth // Schauspieldirektor. Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin. Premiere: 28.09.1979. Inszenierungsdokumentation im Auftrag der Abteilung Dokumentation im Verband der Theaterschaffenden der DDR, S. 9; Programmheft.
956 Ebd.
957 Fehlende Reisefreiheit ist dafür der Hauptgrund. Die gewaltsame Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, eine Welle von entrüsteten Protesten und ein regelrechter Exodus der Kunstschaffenden markieren für Koller den Beginn einer neuen kulturpolitischen „Eiszeit“. „Der von der Bevölkerung erwartete Zuwachs an Lebensstandard konnte nicht mehr gesichert werden, vor allem aber griff eine schwelende politische Unzufriedenheit um sich. […] Damit war die so mühsam von Honecker und seiner Führung gekittete Vertrauensbasis von der SED selbst zerbrochen worden.“ In: Koller: Kulturpolitik. A. a. O., S. 36 f.
958 Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 12.
959 „Leidenschaftliche Begehr und ewiges Unbefriedigtsein – das sind Faust Hauptwesenszüge.“ In: Lunatscharski, Anatoli: Das Erbe. Dresden 1965, S. 145.
960 Vgl. Einleitung.
961 Dau, Rudolf: in: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 26.
962 Ebd.
963 Ebd., S. 25.
964 „Der große Zukunftsmonolog des blinden Faust gerät in der Inszenierung zurückhaltend, distanziert, klein. Das ist offensichtlich Regieabsicht.“ In: Pfelling, Liane: „Faust“ in Schwerin. Bemerkungen zum „Faust“-Abend am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. In: Schweriner Volkszeitung, 12.10.1975.
965 Finke, Jochen: „Weh! Steck ich in dem Kerker noch? Verfluchtes Dumpfes Mauerloch“. In: Linzer: Wo ich bin, ist keine Provinz. A. a. O., S. 82.
966 Die Strichfassung enthält etwas mehr Textvolumen aus Faust I. Faust II wurde also stark gekürzt, vor allem in der „Klassischen Walpurgisnacht“ und dem Helena-Akt. Die Linie der Haupthandlung bliebe „damit erhalten.“ Vgl.: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 25. Man muss an dieser Stelle anmerken, dass Schroth die Einheit beider Teile szenisch auch deshalb voraussetzen und behaupten kann, da diese ein Hauptthema des sozialistischen Theaters der 1960er Jahre war und Bennewitz und Kayser sie aufwendig demonstriert hatten.
967 Der Regisseur erhält dafür Anerkennung und Kritik. Das Neue Deutschland betrachtet es als „Gewinn“, dass nun der „gedankliche Bogen vom Prolog im Himmel bis zum Chorus Mysticus, vom Abschluß bis zum Ausgang der Wette“ erlebbar werde. In: Kranz, Dieter: Gelungenes Wagnis: Vierfacher Faust und weiblicher Mephisto. Schweriner Theater stellt kühne und anregende Klassikerinszenierung des Regisseurs Christoph Schroth vor. In: ND, 11.12.1979.
968 Pfelling: „Faust“ in Schwerin. A. a. O.
969 Trilse, Christoph: „Gutachten zur Inszenierung FAUST DER TRAGÖDIE ERSTER UND ZWEITER TEIL im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin (Fassung des Theaters), Teil 1 der DDR-Entdeckungen (Angefertigt für Direktion für Theater und Orchester)“. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 18.
970 Vgl.: „Diesem methodischen Ansatz fühlten wir uns verbunden“. In: Schroth, Christoph: „Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil“. In: Linzer: Wo ich bin, ist keine Provinz. A. a. O., S. 80 f.
971 Christoph Schroth im Interview. In: Arlt, Herbert; Bischof, Ulrike: … mir ist in den 80er Jahren kein DDR-Theater bekannt … Dokumentationsgespräche, Materialien, Anmerkungen. Frankfurt a. M. 1993, S. 159.
972 Trilse: „Gutachten“. A. a. O., S. 14.
973 Kranz: Gelungenes Wagnis. A. a. O.
974 Den faustischen Tiefpunkt im Kerker positiv und als Aufbruch darstellen zu wollen, wie es etwa Bennewitz 1965 tut, wirkt gezwungenermaßen fragwürdig. In den 1960ern versucht man in den großen Doppelaufführungen von der strahlenden Schlussvision aus rückwärts zu blicken. Für Dresen wird es zum Problem, dass er am negativ empfundenen Ende des ersten Teils aufhören muss.
975 Schroth bei Trilse: „Gutachten“. A. a. O., S. 7.
976 Ebd.
977 „Gut abgesichert“, „eindeutig kollektiv produziert“. In: Trilse: „Gutachten“. A. a. O., S. 2.
978 Wissenschaftliche Beratung findet dabei statt durch: „Prof. Dr. Rolf Rohmer, Rektor der Theaterschule ‚Hans Otto‘, Leipzig, Dr. Rudolf Dau, Berlin und Prof. Dr. Armin-Gerd Kuckoff, Leipzig.“ In: Programmheft. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O. Die kühne Inszenierung kann sich in ihrer Planungsphase nur durch diese wissenschaftliche Rückendeckung bei den örtlichen Autoritäten durchsetzen, wie sich Schroth im Interview erinnert: „Wir hatten wahnsinniges Glück, insofern eine Expertenkommission von Wissenschaftlern unseren konzeptionellen Ansatz und unsere Realisation auf der Bühne bestätigte. Und so hatte die Bezirksleitung auch ihr Mäntelchen und konnte sagen: ‚Die Wissenschaftler haben es quittiert, es wird wohl gehen.‘“ In: Irmer; Schmidt. Die Bühnenrepublik. A. a. O., S. 116.
979 Christoph Schroth im Interview. In: Arlt,; Bischof: … mir ist in den 80er Jahren kein DDR-Theater bekannt … A. a. O., S. 156.
980 Schlägt man das Programmheft auf, findet sich auf der ersten Seite oben das Logo der „DDR-Entdeckungen“, die sich seit 1976 im Schweriner Theater einer wachsenden Beliebtheit des Publikums erfreuen. Es handelt sich um ein von Besson inspiriertes Konzept des Theaterfestes mit dem simultanen Bespielen eines ganzen Hauses auf mehreren Bühnen, das Schroth an der Volksbühne Berlin kennengelernt hatte. Der Schweriner Entdecker Schroth gehört zu einer neuen Regie-Generation und blickt 1979 mit Faust auch auf die Gründerjahre und die Ära Ulbricht zurück. Respektvoll nimmt er ihr Theater wahr, würdigt es und stellt es dennoch gleichzeitig als Vergangenheit aus: „Die humanistischen Ideale der deutschen Klassik spielten vor 30 Jahren eine wichtige Rolle im Prozeß der Selbstverständigung einer neuen Gesellschaftsordnung. Der FAUST war eines der Werke, die eine erste Etappe eines neuen, vorerst antifaschistisch-demokratischen Theaters markierten. Heute, nach 30 Jahren Entwicklung unseres Landes, ist eine Neubewertung des Stücks möglich und nötig (das geschieht natürlich nicht nur in unserem Theater).“ In: Bockisch, Brigitte; Borchardt, Jürgen: „Und jedermann erwartet sich ein Fest“. In: Schweriner Volkszeitung, 16.09.1979. Darin: „Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu“. Interview mit Schauspieldirektor, Genosse Christoph Schroth, Regisseur des FAUST.
981 „Wir konnten uns aufeinander verlassen.“ Vgl.: Jaksch: Schroths Volkstheaterkonzept. A. a. O., S. 44.
982 Vgl.: „Ich gehe auf solche Nebensächlichkeiten ein, weil sie für die Atmosphäre sprechen, die an dem Abend herrschte. […] Ich weiß nicht, war es Einbildung oder von der Mundpropaganda provozierter Erwartungshunger: Ich bilde mir ein, selten so hochgestimmt und neugierig auf meinem Platz gesessen zu haben.“ Ebert, Günther: „Faust als Komödie“. In: Die Weltbühne. 06.05.1980, S. 586.
983 Das DFF berichtet in einer Reportage über den Schweriner Faust. Vgl.: Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam: Bestand DFF / 27.12.1982 22:00 DDR-F-1 DDRF 004436 „Den besten Köpfen sei das Stück empfohlen - FAUST II auf DDR-Bühnen“.
984 Vgl. Kapitel über Brecht.
985 Ebert: „Faust als Komödie“. A. a. O., S. 586. Will man das Konzept einer systemübergreifenden Kulturnation Deutschland im Auge behalten, so ließe sich in dieser leichten und lustigen Schweriner Aufführung tatsächlich eine Parallele zur westdeutschen Stuttgarter Aufführung unter Claus Peymann entdecken. Zum ersten Mal seit Beginn der Staatentrennung gibt es in Sachen Faust nun zwei Ansätze, die zumindest mit dem Grundgedanken des Humors denselben Schlüssel an den Text anlegen.
986 Programmheft. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 7.
987 Bunge, Hans: Fragen Sie mehr über Brecht. Hanns Eisler im Gespräch. München 1970, S. 253.
988 Bunge: Fragen Sie mehr über Brecht. A. a. O., S. 150.
989 Vgl. auch Mittenzwei: Brechts Verhältnis zur Tradition. A. a. O.
990 Ebert: „Faust als Komödie“. A. a. O., S. 586.
991 http://www.ardmediathek.de/mdr-fernsehen/geschichte-mitteldeutschlands das-magazin/willkommen-im-spirituosenland-ddr?documentId=11488662 [19.01.2013].
992 Funke, Christoph: Produktiv und phantasievoll. Goethes „Faust“, der Tragödie erster und zweiter Teil im Staatstheater Schwerin. Unbekannte Zeitung. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O.
993 Trilse: „Gutachten“. A. a. O., S. 11.
994 Bühnenbildner Jochen Finke im Programmheft. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O., S. 14.
995 Trilse: „Gutachten“. A. a. O., S. 12.
996 Ebd.
997 Vgl.: Videoaufzeichnung. In: AdK, Berlin, Sammlung Inszenierungsdokumentationen, Nr. 405.
998 Es fehlt hier der Raum, auf eine genaue Beschreibung der weiteren Szenenfolge einzugehen. Vgl. dazu: Mahl: Faust auf der Bühne. A. a. O., S. 216 f.
999 Kämpgen, Klaus: Der Teufel ist eine Frau. Das Theaterereignis in der DDR: Goethes „Faust“ in Schwerin. In: „Eine Essener Zeitung“, 13.02.1980. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O.
1000 he: Dialog zwischen Bühne und Publikum. Zur 50. Schweriner „Faust“-Aufführung wird heute der 25.000 Besucher erwartet. In: Norddeutsche Zeitung, 15.01.1983.
1001 Vgl.: Fernsehaufzeichnung. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O.
1002 Vgl.: Mahl: Faust auf der Bühne. A. a. O., S. 217 f.
1003 Pfelling: „Faust“ in Schwerin. A. a. O.
1004 Menchén, Georg: „Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen … Goethes ‚Faust‘ I und II an einem Abend im Schweriner Theater“. In: Linke: Inszenierungsdokumentation. A. a. O.
1005 Funke: Produktiv und fantasievoll. A. a. O.
1006 Kranz: Gelungenes Wagnis. A. a. O.
1007 Wagner, Friedrich A.: Faust als Aussteiger und Manager. In: FAZ, 01.06.1983.
1008 Vgl: ND, 06.10.1986.
1009 Vgl.: BStU, MfS, BV Schwerin, AIM 364/84. Vgl. auch: Baumann, Christiane: Hinter den Kulissen. Inoffizielle Schweriner Theatergeschichten 1968 bis 1989. Schwerin 2011, S. 82 ff.
1010 „Jutta“ bezeichnet in ihren Berichten u. a. Adolf Dresen als „politisch sehr zweifelhaft“, bescheinigt ihrem Regisseur Schroth hingegen „hohes politisches Wissen“ und „fundierte fachliche Kenntnisse im Bereich der Theaterpraxis“. Vgl: BStU: AIM 364/84. a. a. O.
1011 Hilfreich bei der Planungsphase erweist sich Daus Gutachten, das die Parteileitung in Schwerin mit dazu bewog, grünes Licht für Schroths Projekt zu geben. Vgl: Baumann: Hinter den Kulissen. A. a. O., S. 57.
1012 Wagner wirkt auf der Schweriner Bühne diabolisch und spießig zugleich. Er geht ab, tritt hämisch wieder auf und wispert: „Zwar weiß ich viel, doch will ich alles wissen.“
1013 Rischbieter, Henning (Hrsg.): Durch den eisernen Vorhang. Theater im geteilten Deutschland 1945 bis 1990. Berlin 1999, S. 161.
1014 Vgl: Stuber: Spielräume und Grenzen. A. a. O., S. 234.
1015 Videoaufzeichnung. A. a. O.

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/buch/vorw%C3%A4rts_zu_goethe%3F/32973/komplett/