Heft 03/1983
Totales Individuum und Widerspruch
Marx und das revolutionäre Theater heute
Broschur mit 88 Seiten, Format: 200 x 290 mm
ISSN 0040-5418
In der dramatischen Kunt geht es stets um die in Handlungen ausgetragene widersprüchliche Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, um den Widerstreit sich zueinander verhaltender Menschen, die sich an bestimmten Werten oder Unwerten orientieren. Obwohl Marx weder eine umfassende systematische Theorie der Persönlichkeit noch eine Ethik hinterlassen hat, lieferte er dennoch mit der Ausarbeitung seiner dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung den entscheidenden Schlüssel für die wissenschaftliche Erklärung des menschlichen Wesens.
Im Kapitalismus trägt die Persönlichkeitsentwicklung einen Januskopf: der Gewinn
persönlicher Freiheit des Individuums gründete sich in Wirklichkeit auf dessen sachlicher Abhängigkeit. Die erbarmungslose Scheidung des Arbeiters vom Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen seiner Tätigkeit führte zu einer Doppeltendenz in der Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Einerseits kam es zur fortschreitenden Versachlichung, Verdinglichung aller gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich den tätigen Subjekten gegenüber veräußerlichten, entfremdeten. Derselbe Prozeß führte andererseits zur zunehmenden Vereinseitigung und Deformierung, zur Isolierung und Vereinsamung der Individuen, denn die versachlichten sozialen Verhältnisse ordneten sich deren Persönlichkeit zwanghaft unter. So bezeichnete Marx die sich im Kapitalverhältnis gegenübertreten, den Individuen als »ökonomische Charaktermasken der Personen«, die lediglich »Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten« [1]. Wieder und wieder geißelte er die Verstümmelung des Arbeiters in einen »Teilmenschen«, kritisierte er gemeinsam mit Engels die Reduktion des »persönlichen Individuums« auf ein bloßes »Durchschnittsindividuum« bzw. »Klassenindividuum« [2]. Die Schattenrisse von Figuren im absurden Theater liefern ein markantes künstlerisches Signum für solche abstrakten Individuen.
Auch im Unterdrückungscharakter der bürgerlichen Machtmaschinerie erscheint die kapitalistische Subjekt-Objekt-Verkehrung, und die Proletarier »müssen den Staat stürzen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen« [3]. In gewissem Sinne wird die Repressivfunktion des bürgerlichen Staates von den moralischen Normen des Bürgers ergänzt. Immer schroffer vertieft sich die Kluft zwischen dem wirklich gelebten moralischen Verhalten der Individuen, ihren Werten oder Unwerten, und der offiziellen Moralideologie. Die eigene Moral umgaben die Herrschenden mit dem weihevollen Mantel einer (in Wahrheit fiktiven) Allgemeingültigkeit, indem sie absolute, ewige Normen postulierten. Die Moral erhebt ihren Zeigefinger und gebietet den Individuen, sie sollen sich auf eine Art und Weise verhalten, die ihren realen Bedürfnissen und Interessen widerspricht. Der tatsächlichen Vieifalt wirklich gelebter Moral steht ein sie kritisierendes Reich abstrakterForderungen entgegen, das der Welt eine Harmonie zu verleihen sucht, die in der zerklüfteten gesellschaftlichen Realität nicht existiert.
Die Entzweiung zwischen den konkreten Individuen und den ihnen entgegenstehenden entfremdeten Gemeinschaftsbeziehungen geht als Riß quer durch die Individuen selbst. Die Innerlichkeit der Persönlichkeit wird gespalten in eine von außen ins Individuum hereingetriebene Stimme der Vernunft, die ihm ein Verhalten diktiert, das es von seinen empirischen Existenzbedingungen her eigentlich gar nicht einsehen kann. Hinter der Maske berechnender Vernunft verschwindet das Gefühl. So ist die Persönlichkeit schmerzlich konfliktbeladen: sie wird zerrissen zwischen subjektiver Neigung und abstrakter Pflicht. Dahinter stecken natürlich auch handfeste ökonomische Ursachen - wurde doch vom Bürger eine asketische Ethik aktiviert, um den Kapitalbildungsprozeß flott zu machen. Marx nannte es einen »faustischen Konflikt zwischen Akkumulations- und Genußtrieb«, der sich in der »Hochbrust des Kapitalindividuums« entwickelt [4]. Gegenüber den Unterdrückten, in deren Kämpfen bereits eine neue Moral realer Gemeinschaftlichkeit geboren wird, versucht das Bürgertum seine Moral der Entsagung ebenfalls durchzudrücken. Die Menschen mögen tugendhaft werden, dies aber können sie angeblich nur, wenn sie ihre Sinnlichkeit zügeln. Das Glücksbestreben der Individuen wird letztlich auf dem Altar bürgerlicher Tugend geopfert [...].
1 K. Marx/ F. Engels: Werke (MEW), Bd. 23, S. 100.
2 Vgl.: MEW, Bd. 23, S. 674; MEW, Bd. 3, S. 74 ff.
3 Vgl.: MEW, Bd. 3, S. 77.
4 MEW, Bd. 23, S. 620.
Aus Mischka Dammaschke: Totales Individuum und Widerspruch. Das Menschenbild bei Marx und das revolutionäre Theater heute, S. 5-7 (hier S. 5).
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Umschau | |
Theater der Freundschaft BerlinUnterwegs von Viktor Rosow. Regie: Hartwig Albiro a. G., Ausstattung: Volker Walther a. G., Musik: Uwe Lohse a. G.von Silvia Brendenal | Seite 1 |
Theater AnklamMan spielt nicht mit der Liebe von Alfred de Musset. Regie: Herbert König a. G., Ausstattung: Heiko Zolchow a. G.von Jochen Gleiß | Seite 1 |
Volkstheater HalberstadtDer Rosenkavalier von Richard Strauss. Regie: Günther Frische, musikalische Leitung: Hans Auenmüller, Ausstattung: Nikolai Sartschadjiewvon Wolfgang Lange | Seite 2 |
Landestheater HalleDer Hund, der Herr Bozzi hieß von Fényes / Békeffi / Dénes / Eidam. Regie: Klaus Winter, musikalische Leitung: Volker Münch, Ausstattung: Rolf Klemm / Barbara Albrechtvon Dietmar Fritzsche | Seite 2 |
Staatsoper Dresden - Kleines HausDie heimliche Ehe von Domenico Cimarosa. Regie: Jürgen König a. G., musikalische Leitung: Joachim Willert a. G., Ausstattung: Kristina Biedermann a. G.von Friedbert Streller | Seite 3 |
Städtische Theater Karl-Marx-Stadt - OpernhausDie Erschaffung der Welt von Petrow / Kassatkina / Wassiljow. Choreographie/Inszenierung: Brigitte Preuß, musikalische Leitung: Johannes Zweiniger, Ausstattung: Eva Bellachvon Dietmar Fritzsche | Seite 3 |
Marx | |
Parteilich und streitbarTheaterarbeit im Karl-Marx-Jahr - TdZ-Gespräch mit Dr. Klaus Pfützner, 1. Sekretär des Verbandes der Theaterschaffenden der DDRvon Klaus Pfützner | Seite 4 |
Totales Individuum und WiderspruchDas Menschenbild bei Marx und das revolutionäre Theater heutevon Mischka Dammaschke | Seite 5 |
Kolumne | Seite 5 |
Motivationenvon Jochen Gleiß | |
Erstaufführung | Seite 8 |
Es fließt viel BlutAribert Reimanns »Lear« als DDR-Erstaufführung an der Komischen Opervon Dieter Kranz | |
Oper | |
OpernpraxisXI. Das Orchestervon Ernst Krause | Seite 10 |
Der mißbrauchte Held»Lohengrin« von Richard Wagner an der Staatsoper Dresdenvon Wolfgang Lange | Seite 11 |
Wagner-SchlüsseDas Beispiel »Parsifal« / Finallösungen bei Harry Kupfervon Dieter Kranz | Seite 12 |
Wie ein psychologisches KammerspielHarry Kupfer inszenierte »Tristan und Isolde« in Mannheimvon Dieter Kranz | Seite 15 |
»ParsifaI« als EndspielRuth Berghaus inszenierte das Werk in Frankfurt (Main)von Sigrid Neef | Seite 16 |
Theatergeschichte | Seite 18 |
Wagner und die Theaterreformatoren des 20. JahrhundertsVersuch einer auswählenden Darstellung (II): Meyerhold, Wachtangow, Grotowskivon Wolfgang Kröplin | |
Oper | Seite 20 |
Erkenntnisse über das MöglicheBemerkungen von und über Gabriele Auenmüller, Andrea Ihle und Elisabeth Wilke, Staatsoper Dresdenvon Elisabeth Wilke, Mathias Rank, Gabriele Auenmüller und Andrea Ihle | |
Antike zeitgenössisch | Seite 24 |
Antike für heute entdecktSchwerins ENTDECKUNGEN 5: »Iphigenie in Aulis« / »Die Troerinnen« / »Agamemnon« / »Die Acharner«von Martin Linzer | |
Stückabdruck | Seite 28 |
Medeamaterialvon Heiner Müller | |
Theater-Alltag | Seite 29 |
Meistens: AusverkauftGlänzende Besuchersituation am Maxim Gorki Theater Berlinvon Achim Gebauer | |
Gespräch | Seite 32 |
Beobachtungen an Schauspielern, für SchauspielerGespräch mit Rudolf Penka (Aufgezeichnet von Ingeborg Pietzsch)von Ingeborg Pietzsch und Rudolf Penka | |
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Karlos, gegenwärtigSchiller an Dresdens Staatsschauspielvon Klaus-Peter Gerhardt | |
Uraufführung | |
Warten auf GeorgieDrewnioks »Wenn Georgie kommt« in Dresden uraufgeführtvon Volker Trauth | Seite 37 |
Lachen mit dem ListenreichenZur Uraufführung von Harald Gerlachs Holberg-Adapt ion »Held Ulysses« in Erfurtvon Jochen Gleiß | Seite 39 |
Weltkongreß | |
Welttheater - Weltverständnis - Weltfrieden: Tradition und NeuerertumVor dem XX. Weltkongreß des Internationalen Theater-Instituts (iTi), Berlin 5.-12. Junivon Wolfgang Kröplin | Seite 40 |
Welttheater - Weltverständnis - Weltfrieden: Neue Medien, alte KünsteVor dem XX. Weltkongreß des Internationalen Theater-Instituts (iTi), Berlin 5.-12. Junivon Ernst Schumacher | Seite 41 |
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Im Kampf mit der MaterieStippvisite bei den Puppentheatern Wismar und Dresdenvon Silvia Brendenal | |
Ballett | Seite 46 |
Liebe in drei Kontrast-VariantenUdo Wandtke choreographierte in Schwerin »Bolero« (Ravel) / »Le boef sur le toit« (Milhaud) / »Der wunderbare Mandarin« (Bartók)von Dietmar Fritzsche | |
Angemerkt: Hella Herrmannvon Udo Wandtke | |
Oper | Seite 48 |
Schlag nach bei Prokofjew ...Zur Inszenierung von »Romeo und Julia« am Opernhaus Leipzigvon Werner Gommlich | |
Sowjetunion | Seite 50 |
Am Fuße des Ala-TooImpressionen am Staatlichen Kirgisischen Akademischen Theater für Oper und Ballett in Frunsevon Dietmar Fritzsche und Wolfgang Lange | |
Jugoslawien | Seite 53 |
»Geworfensein« von FigurenEindrücke vom »Festival der experimentellen und kleinen Theater« in Sarajevovon Volker Trauth | |
Hamburg | Seite 56 |
Zwischen Reeperbahn und KampnagelfabrikEine Woche am Deutschen Schauspielhaus Hamburgvon Hans-Rainer John | |
Szenografie international | Seite 60 |
(9): Emanuele Luzzativon Frank Borisch und Emanuele Luzzati | |
Stückabdruck | |
Karl und Jenny MarxOriginaltitel: Karl i Ženni Marks - Stück in zwei Akten. Aus dem Russischen von Günter Jänichevon Wjatscheslaw Manjewski | Seite 64 |
Mensch MarxHommage für Sprecher, Soli, Chor und Orchester (Arbeitsfassung) 1982von Claus Hammel | Seite 71 |
TdZ-Informativ | Seite 73 |
Botschaftan die Theaterschaffenden der Deutschen Demokratischen Republik anläßlich des Welttheatertages am 27. März 1983von Karl Kayser | |
Inland | |
Anregend mit Marxvon Jochen Gleiß | Seite 74 |
DDR-Theater im Karl-Marx-Jahr | Seite 74 |
Antike-Kolloquium des VTvon Jochen Gleiß | Seite 74 |
Wagner-Ehrung in Leipzigvon Wolfgang Lange | Seite 75 |
Für offene, wirksame Theaterkritikvon Hans-Rainer John | Seite 75 |
Noch viel zu entdeckenvon Karl-Claus Hahn | Seite 75 |
IV. Werkstattage für Kinder- und Jugendtheatervon Silvia Brendenal | Seite 76 |
Personelles | Seite 76 |
Inland | |
Theatertage für Pädagogenvon Petra Schütt | Seite 76 |
Dresdner Musikfestspiele 1983von Wolfgang Lange | Seite 77 |
Wettbewerb für Puppentheater | Seite 77 |
Gastspielevon Ingeborg Pietzsch | Seite 77 |
Berichtigung | Seite 77 |
Ausland | |
Budapester Notizenvon G. K. | Seite 78 |
Gespräch mit Gábor Zsámbéki(Aufgezeichnet von Ingeborg Pietzsch)von Ingeborg Pietzsch und Gábor Zsámbéki | Seite 78 |
Das Bild des Arbeiters(Aus »Komsomolskaja Prawda« gek.)von E. Kutschkina | Seite 79 |
Experimentierfreudige Bühnevon T. B. | Seite 79 |
Mit »Carmen« | Seite 79 |
Ausschnitte | Seite 80 |
»Quersparen« | |
Ausland | Seite 80 |
Scalamuseumvon Helga Radmann | |
Bücher | Seite 81 |
Manfred Wekwerth: Theater in Diskussion. Notate, Gespräche, PolemikenHenschelverlag Berlin 1982, 344 S., 13,- Mvon Hans-Rainer John | |
Michail Bulgakow: Stücke I. (Die Tage der Turbins / Die Flucht / Glückseligkeit / Iwan Wassiljewitsch / Die Kabale der Scheinheiligen / Die letzten Tage / Don Quijote)Verlag Volk und Welt, Berlin 1982, 482 Seiten, 11,80 Markvon Martin Linzer | |
Strindberg im Zeugnis der ZeitgenossenGustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar, 1982, 370 S., 10,80 Mvon Ingeborg Pietzsch | |
Jean Cocteau: Die geliebte Stimme. Typografisch inszeniert und mit einem Nachwort von Barbara CainGustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar, 1982, 112 S. im Schubervon Volkmar Draeger | |
Spielpläne | Seite 82 |
Vom 16. März bis 16. April 1983 | |
Premierenkalender | Seite 83 |
Vom 16. März bis 16. April 1983 | |
Besetzungen | Seite 84 |
Ur- und Erstaufführungen / Musiktheater / Tanz | |
Autoren | Seite 85 |
Impressum | Seite 85 |
Inhalt | Seite 88 |
Gabriele Auenmüller
T. B.
Frank Borisch
Silvia Brendenal
Mischka Dammaschke
Volkmar Draeger
Dietmar Fritzsche
Achim Gebauer
Klaus-Peter Gerhardt
Jochen Gleiß
Werner Gommlich
Karl-Claus Hahn
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