![Theater der Zeit 02/1991 Theater der Zeit 02/1991](https://assets.theaterderzeit.de/img/Magazine/694/cover_02_19910001_single.jpg)
Heft 02/1991
Was wird morgen sein?
Zukunftsgewißheit für das Weimarer Schauspiel
Broschur mit 96 Seiten, Format: 220 x 310 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Der kleine grüne Pfeil oder wie man die DDR kompatibel macht: Früher, also vor der Wende, hätte man die Manöver, die heute auf dem Gebiet der alten DDR bzw. der neuen Länder durchgeführt werden, schlicht »Klassenkampf« genannt. Mal beiseite, ob das im politisch-historischen Verständnis zutreffend gewesen wäre, könnte man das heute schon aus dem Grund nicht so nennen, will man nicht Gefahr laufen, daß der bayerische Innenminister seinen Verfassungsschutz bemüht. Richtet man seinen Blick über den Tellerrand seines eigenen, engen Wirkungsfeldes hinaus, so kann man sich doch gegenwärtig nicht des Eindrucks erwehren, als sollte von den Vereinigungspolitikern jeglicher Couleur - nachdem ihr »glücklichstes Jahr« nun abgelaufen, das Schmalz der Festreden verdampft - nun endgültig tabula rasa gemacht werden mit allem, was von der »DDR« noch übrig ist (bei den einen ist es die Siegerlaune, bei den anderen das schlechte Gewissen). Was nicht ins altbundesdeutsche Schema paßt, wird kurzerhand »abgewickelt«, und wenn es - die Sache auf die Spitze zu treiben - Jener kleine grüne Pfeil ist, der unseren Autofahrern das Rechtsabbiegen bei Rot gestattete: er ist in der bundesdeutschen Straßen-Verfassung nicht vorgesehen, also ins Nichts mit ihm! Natürlich ist nicht beweisbar, daß System dahinter steckt, in Politikerdeutsch: eine konzertierte Aktion, aber die Heftigkeit mit der Politiker und Leitartikler diesen Verdacht zurückweisen, macht ja auch schon verdächtig.
Nun habe ich an sich keine so großen Probleme mit dem »Abwickeln« (es sei denn mit dem Wort. das politisch denkende Sprachwissenschaftler eigentlich zu einer
Fortsetzung von Victor Klemperers LTI animieren müßte); wer wüßte nicht daß so manche Errungenschaft des Realsozialismus fragwürdig war und nicht nur aus ökonomischen Gründen verschwinden könnte, wenn man nämlich das Kind beim rechten Namen nennen würde, also nicht um Institutionen, sondern um politische Inhalte stritte. Aber eben stritte, nicht administriere, und da halte ich es mit Professor Fink, dem ehrenwerten Berliner Rektor, der gegen die Abwicklungsmethoden polemisiert und kompromißlos dafür eintritt, daß die notwendige »Erneuerung« von denen auszugehen habe, die kompetent sind, die es betrifft und die es auszubaden haben. Und ihre demokratische Legitimation und Qualifikation wohl nachgewiesen haben.
Noch bevor das verbale Monster der »Abwicklung« in aller Munde war, hat mir übrigens in einer der immer mehr inflationierenden Talk-Runden der deutschen Fernsehanstalten ein bundesdeutscher »Kulturpolitiker« (in meiner Erinnerung: der damalige kulturpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion) klarge macht wohin der Hase läuft. In einem Nebensatz sprach der eher blasse CDU-Hinterbänkler gelassen aus: die DDR- Kultur (und ihre Institutionen) müßten eben »kompatibel« gemacht werden. In diesem neudeutschen Computerwort ist natürlich mehr als die kulturpolitische Philosophie einer Partei enthalten, es enthält das Problem in nuce.
Ich sag's gern noch einmal - man wird ja heute so schnell und so absichtsvoll mißverstanden -, daß es mir nicht um den Erhalt zweifelhafter »Errungenschaften« geht nicht um die »Abwicklung« als solche, und da ich kein Autofahrer bin, kann ich notfalls auch auf den kleinen grünen Pfeil verzichten. Und ich rede auch nicht vom Geld, das notwendigerweise knapp ist - ein anderes Thema. Was mich gegenwärtig so betroffen macht, je nach Gelegenheit auch traurig oder sogar böse, ist die in diesem Vereinheitlichungsprozeß, den ich nur ungern einen Ko(h)lonialisationsprozeß nenne, zutagetretende Mentalität: hier die der Sieger der Geschichte (eine Rolle, die sich andere zu lange angemaßt haben), und da die derjenigen, die sich jetzt für alles gefälligst zu entschuldigen haben.
In den ersten Talk-Runden nach der Wende - ich ziehe die immer wieder als Beleg heran, sie sind ein Seismograph gesellschaftlichen Bewußtseins - wurden die Ost-Indianer noch liebevoll angestaunt: Brüder und Schwestern lagen sich damals im übertragenen wie im Wortsinn in den Armen. Heute sind wir zur Familie »zusammengewachsen« - Karl Kraus bemerkte einmal, wieviel Wahrheit in dem Wort Familien-Bande läge -, und heute bewundere ich schon die Courage und den Aussage- und also doch auch Verständigungswillen von Alt-DDR-Bürgern, die sich immer noch diesen Talk-Runden stellen. (Ich rede nicht von den mehrfach gewendeten Polit-Profis) Es dankt ihnen ja keiner, es will sie ja eigentlich keiner mehr hören, es wird ihnen ja nur noch arrogant. selbstgerecht und besserwisserisch über den Mund gefahren.
Jeder nicht völlig vergeßliche Zeitgenosse - Gedächtnisschwund eine deutsche Tugend - erinnert sich, daß Hans Modrow noch im letzten Frühjahr einer der populärsten deutschen Politiker war; heute muß er sich nicht nur vom bayerischen Innenminister als Gauleiter disqualifizieren lassen, in der Jahresendrunde bei Lea Rosh - die bekannterweise zwischen Braun und Rot unterscheiden kann, und die solcher Haltung gegensteuert - mußte sich Friedrich Schorlemmer moralisch vor Modrow stellen, um die Würde der Veranstaltung zu wahren.
Hartmut Lange hat bei einem Round-Table der Dramaturgischen Gesellschaft - als Stefan Heym und die alerten Herren von »Zeit« und »Spiegel« aneinandergerieten - gemeint, angesichts der historisch gewachsenen »Gemütslage« könnten sich beide Seiten notwendig nicht verstehen. Ich glaube, und beobachte das auch immer wieder, daß Theaterleute in aller Regel einander gut und mühelos verstehen, wenn sie nämlich ihren Beruf ernst nehmen, als »Störenfriede« der Gesellschaft, jeweils ihrer Gesellschaft zu wirken.
Und nun frage ich mich: was können/müssen Theaterleute tun, den Anschlußprozeß zu einem wirklichen Einigungsprozeß im europäischen Rahmen zu machen? Nicht in immer neuen Podiumsdiskussionen, sondern in ihrer täglichen Arbeit, auf der Bühne? Ich muß es hier bei der Frage bewenden lassen ...
Martin Linzer
Artikel | Seite |
---|---|
Artikel | Seite |
Entrée | Seite 1 |
Der kleine grüne Pfeil oder Wie man die DDR kompatibel machtvon Martin Linzer | |
Autoren | Seite 2 |
Impressum | Seite 3 |
Kulturpolitik | Seite 4 |
Was wird morgen sein?Zukunftsungewißheit für das Weimarer Schauspielvon Volker Trauth | |
Oper | Seite 9 |
Wolfgang Amadé - das Wunder an AnspruchMozart-Aufführungen an der Komischen Oper Berlin: »Idomeneo« (D Kranz); der Hamburgischen Staatsoper: »Die Hochzeit des Figaro« (R. Fath); am Staatstheater Stuttgart: »Die Zauberflöte« (H. Regitz)von Hartmut Regitz, Dieter Kranz und Rolf Fath | |
Musik | Seite 13 |
Mozart in seiner Zeit und der unsern (II)von Georg Knepler | |
Komponisten zu Mozart | Seite 17 |
(I)Es ist so, so ist esvon Gerhard Rosenfeld | |
(I)Ausdrucksstärke und Ökonomievon Kurt Schwaen | |
(I)Was zieht mich an?von Walter Thomas Heyn | |
Oper | |
Handfestes MusiktheaterOper Leipzig: »Die Heirat« von Bohuslav Martinúvon Matthias Frede | Seite 19 |
Die alte Gräfin schlägt zurückBadisches Staatstheater Karlsruhe: »Pique Dame« von Peter Tschaikowskivon Rolf Fath | Seite 19 |
Männerphantasien ohne RelevanzMannheimer Uraufführung »Die Menschen« von Müller-Siemensvon Frank Kämpfer | Seite 20 |
Leben tobt hindurchDeutsche Oper Berlin: »Mathis der Maler« von Paul Hindemithvon Wolfgang Lange | Seite 21 |
Musik | Seite 22 |
Erfolgreiche Leipziger Studentenvon Monika-Ursula Krause | |
Musical | |
Lichtblicke und IrritationenGespräch mit Helmut Baumannvon Wolfgang Lange und Helmut Baumann | Seite 24 |
Nach zwei Flops - ein RennerStadttheater Lüneburg: »Metropolis« von Joseph Brooks / Dusty Hughesvon Veronika Preiß | Seite 27 |
Das Menschliche und das PerfekteTheater des Westen Berlin: »La Cage aux Folles« von Herman / Fiersteinvon Wolfgang Lange | Seite 27 |
Broadwaylächeln für BerlinDeutsche Staatsoper Berlin: A Chorus Line / West Side Story (Gastspiele)von Dietmar Fritzsche | Seite 28 |
Jesus in der BronxStädtische Bühnen Osnabrück: »Jesus Christ Superstar« von Andrew Lloyd Webbervon Wolfgang Lange | Seite 30 |
Ballett | |
Schweizerisches Ballettschulwesenvon Rudolf Liechtenhan | Seite 31 |
Tanztheater-Linienvon Dietmar Fritzsche | Seite 31 |
Patricio BunsterWege - Begegnungenvon Dietmar Fritzsche | Seite 31 |
Ballettensemble mit FlairBühnen der Stadt Gera: »Der Nußknacker« von Tschaikowskivon Dietmar Fritzsche | Seite 32 |
NiveaugefälleDreigeteilter Ballettabend in Düsseldorfvon Volkmar Draeger | Seite 32 |
Bewährtes auf neuem TerrainOpernhaus Chemnitz: »Ballett im Schauspielhaus«von Werner Gommlich | Seite 33 |
Tanz | |
Mehr als nur ein Experiment: die Tanzfabrik Berlinvon Volkmar Draeger | Seite 34 |
Gespräch mit Jacalyn Carley, Dieter Heitkamp und Claudia Feestvon Dietmar Fritzsche, Jacalyn Carley, Dieter Heitkamp und Claudia Feest | Seite 36 |
Uraufführungen | Seite 42 |
... die Macht mifibrauchenZur Uraufführung des Balletts »Lear« an der Semperopervon Werner Gommlich | |
Ballett | Seite 43 |
Macht und MenschlichkeitGespräch mit Harald Wandtke (Choreograph), Friedbert Wissmann (Komponist), Hartmut Henning (Ausstattung)von Dietmar Fritzsche, Harald Wandtke, Friedbert Wissmann und Hartmut Henning | |
Freie Gruppen | Seite 45 |
Fauste - ein Ruf wie Jedermann!von Manfred Nöbel | |
»Theaterzwang«von Martin Morgner | |
Kinder- und Jugendtheater | Seite 46 |
Die gute Zahl? Die böse Zahl?7. Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheater in Hallevon Ingeborg Pietzsch | |
Freies Theater | Seite 50 |
Jetzt sind es unsere ProblemeGrips-Stücke in Plauen und Dresdenvon Gabriele Kneschke | |
Sowjetunion | Seite 52 |
Die Tragödie an der TagankaDas sowjetische Taganka-Theater unter der Leitung von Jurij Ljubimowvon Ingeborg Pietzsch | |
Tagebuch | Seite 56 |
Der sechste Sankt NimmerleinstagAus dem Tagebuch Waleri Solotuchinsvon Waleri Solotuchin | |
Schauspiel | |
Von der Oder bis zum Wannsee, tragikomischKleists »Die Familie Schroffenstein« in Frankfurt (Oder); »Der zerbrochne Krug« am Deutschen Theater Berlinvon Jochen Gleiß | Seite 59 |
Der zweite SchubSchiller Theater Berlin: »Liebe Macht Tod« und »Frauen. Krieg. Lustspiel« von Thomas Braschvon Martin Linzer | Seite 62 |
Unterhaltsam und - hoffentlich - amüsant?Landesbühnen Sachsen: »Das Festkomitee« von Alan Ayckbournvon Gerhard Piens | Seite 63 |
Ubu lebtStaatstheater Dresden: »König Ubu« von Alfred Jarryvon Joachim Knauth | Seite 63 |
»New York, - Neukölln«von Anke Böhme | Seite 64 |
UnverbindlichRena issance-Theater Berlin: »Médor« von Roger Vitracvon Gundula Weimann | Seite 65 |
Text als ErregermaterialBerlin: Volkbühne / 3. Stock - »Jogotono« von Jo Fabianvon Volker Trauth | Seite 65 |
Liebe ist kälter als TodLeipzig / Neue Szene: »Rozznjogd« von Peter Turrinivon Bernhard Scheller | Seite 65 |
ZerrbilderNeue Szene Senftenberg; »Die Schule der Diktatoren« von Erich Kästnervon Joachim Knauth | Seite 66 |
Vom Paradies zur Apokalypse»neues theater« Schauspiel Halle: »Die Amerikanische Päpstin« von Esther Vilarvon Bernhard Scheller | Seite 67 |
Ein dickes Ende...?DT-Pantomimen-Ensemble hatte in den Kammerspielen die letzte »Happy End Station«von Andrea Keil | Seite 68 |
Ein Nachruf auf das Theater?Gespräch mit Burkhart Seidemannvon Andrea Keil und Burkhart Seidemann | Seite 68 |
Kulturpolitik | Seite 70 |
Kunst und Kultur als Ferment für unsere GesellschaftGedanken zur Rettung einer gewachsenen Kulturlandschaft - Ein Gespräch mit Wolfgang Gönnenwein, dem Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater Stuttgartvon Wolfgang Veit und Wolfgang Gönnenwein | |
Magazin | |
BriefeOffener Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg Herrn Dr. Manfred Stolpe, O-1500 Potsdamvon Freya Klier, Thomas Gumpert und Dietmar Irmer | Seite 72 |
Donald Spoto: Die Seeräuber-JennyDas bewegte Leben der Lotte Lenya. Übersetzt von Michaela Grabinger. Droemer Knaur. München 1990, 448 S. Fotos. 44.-- DMvon Joachim Lucchesi | Seite 73 |
Stück | Seite 74 |
»Billard«Stück in drei Partien. Aus dem Russischen von Ulrike Zemmevon Wladimir Gubarew | |
Gespräch | Seite 74 |
»Das politische Theater lebt und hat nicht vor, zu sterben«Gespräch mit Wladimir Gubarewvon Michail Schwydkoj und Wladimir Gubarew | |
Premieren | Seite 86 |
Februar 1991Deutschland / Österreich / Schweiz | |
Spielpläne | Seite 87 |
Februar 1991 | |
Besetzungen | Seite 91 |
Ur- und ErstaufführungenSchauspiel / Musiktheater / Tanztheater |
Helmut Baumann
Anke Böhme
Jacalyn Carley
Volkmar Draeger
Rolf Fath
Claudia Feest
Matthias Frede
Dietmar Fritzsche
Jochen Gleiß
Werner Gommlich
Wolfgang Gönnenwein
Wladimir Gubarew
Thomas Gumpert
Dieter Heitkamp
Hartmut Henning
Walter Thomas Heyn
Dietmar Irmer
Frank Kämpfer
Andrea Keil
Freya Klier
Joachim Knauth
Georg Knepler
Gabriele Kneschke
Dieter Kranz
Monika-Ursula Krause
Wolfgang Lange
Rudolf Liechtenhan
Martin Linzer
Joachim Lucchesi
Martin Morgner
Manfred Nöbel
Gerhard Piens
Ingeborg Pietzsch
Veronika Preiß
Hartmut Regitz
Gerhard Rosenfeld
Bernhard Scheller
Kurt Schwaen
Michail Schwydkoj
Burkhart Seidemann
Waleri Solotuchin
Volker Trauth
Wolfgang Veit
Harald Wandtke
Gundula Weimann
Friedbert Wissmann
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren