Heft 11/1995
Welche Freiheit?
Destruktive Tendenzen nach dem Zerfall der Sowjetunion
Broschur mit 104 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Enrwicklung zerstört stets etwas. Sie ist niemals eine einfache Bewegung vom Schlechten zum Besseren. Zusammen mit neuem Guten entsteht neues Böses. Und man muß nach einem Ausgleich für dieses neue Böse suchen. Lebensfähige Zivilisationen bemerken das rechtzeitig und finden ein Gegengift gegen das Gift, das sie nun mal entwickeln. Der rasante Verlauf der Neuzeit ist im Westen mehrmals gebremst worden. Auf die Renaissance folgten Reformation und Gegenreformation, auf die Aufklärung die Romantik. Die Zickzackbewegungen der Enrwicklung erinnern an einen Pfad, der in Serpentinen aufwärts oder abwärts führr. Rußland - und nach ihm noch andere Länder - sind von dieser Enrwicklung erfaßt worden.
Es geriet in die Lage eines Wanderers, der sich enrweder von einem steilen Abhang stürzen oder aber an einer Wand entlanghangeln muß. Unter diesen Gegebenheiten haben die Ideen, die im Westen friedlich dahinbrennen, indem sie kurzzeitig auflodern und schnell wieder verlöschen, verheerende Brände ausgelöst. Im Westen hat die utopische Idee soziale Reformen angeschoben und erschöpfte sich darin. Es gab keine ernsthaften Versuche, die Utopie zu realisieren. Das war so, weil sie nicht so intensiv in den Köpfen kreiste. Weil man keinen Sprung vom siebzehnten ins zwanzigste Jahrhundert und von einer Kultur in eine andere vollführen mußte. Im Westen ist die Idee der Nation in Staaten aufgetaucht, die sich bereits in ihren festen Grenzen etabliert hatten, die bereits eine konsolidierende Literatursprache besaßen. Das Wort "Nation", das seinen modernen Sinngehalt im 18. Jahrhundert bekam, bedeutete hier den Übergang von der Königstreue zur Souveränität des Volkes. Die Nation ist die Untertanin, die ihrer Souveränität gewahr wird. Die Frage der Grenzen stellte sich nicht. Anders in Zentraleuropa. Die Idee der Nation wurde hier zum Ruf nach Krieg. Die Einigung Deutschlands bedeutete Hinausdrängung Österreichs und Unterordnung aller nördlich beheimateten Deutschen unter das Diktat des kriegerischen Preußen. Die Unklarheit der Grenzen, jenseits derer Germanien endete, rief einen krisenanfälligen Pan-Germanismus hervor, der eine große Rolle für den Beginn des Ersten und Zweiten Weltkrieges spielte. In Osteuropa aber traf die Idee der Nation auf lang existierende, vielstämmige Reiche und sprengte diese. Es gibt keinen klaren Unterschied zwischen einer unterjochten Nation, die fähig ist, einen modernen Staat zu errichten, und einer Nationalität mit einer unerheblichen Zahl von Angehörigen, die unzureichend enrwickelt ist und in einem bunten Gemisch mit anderen Nationalitäten lebr. Ethnische Einheit wird hier durch ethnische Säuberungen erreicht. [...].
Aus: Grigorij Pomeranz: Welche Freiheit? Destruktive Tendenzen in der russischen Kultur nach dem Zerfall der Sowjetunion, S. 4
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Essay | Seite 4 |
Welche Freiheit?Über die russischen Intellektuellenvon Grigorij Pomeranz | |
Inszenierung | Seite 12 |
Wehe armes RußlandGötz Friedrich inszeniert "Boris Godunow" zu den Berliner Festwochen an der Deutschen Opervon Nora Eckert | |
Regiekonzeption | Seite 14 |
Nicht heute oder gestern, sondern heute und gesternAus dem Probenprotokoll zu "Boris Godunow"von Götz Friedrich | |
Russland | Seite 20 |
Lehrer und SchülerDas Studio Pjotr Fomenko aus Moskau zu Gast bei den Berliner Festwochenvon Fotini Mavromati | |
Theaterarbeit | Seite 24 |
BewegungsdramaturgieMime Centrum Berlin erschließt Meyerholds Biomechanik für die praktische Theaterarbeitvon Jörg Bochow und Thilo Zantke | |
Wiedereröffnung | Seite 26 |
Alte Pracht und neue RatlosigkeitDie Wiedereröffnung des Dresdner Schauspielhausesvon Friedrich Dieckmann | |
Antworten und Widerspruch | |
Vom Katheder zum StammtischAndrzej Szczypiorskis Festrede im Dresdner Schauspielhaus forderte Herbert Schirmer und Volker Braun zum Widerspruch herausvon Herbert Schirmer | Seite 29 |
Kollege kommt gleichAndrzej Szczypiorskis Festrede im Dresdner Schauspielhaus forderte Herbert Schirmer und Volker Braun zum Widerspruch herausvon Volker Braun | Seite 30 |
Inszenierung | |
Absage an alte ErklärungsmusterWolfgang Engel eröffnet die Spielzeit in Leipzig mit Peter Handke und Samuel Beckettvon Frank Hörnigk | Seite 31 |
In Weimar: Lotte und andereSchauspiel am Deutschen Nationaltheatervon Martin Linzer | Seite 34 |
Nachruf | Seite 39 |
Sonnenuntergang für einen panierten SchauspielerFür Thomas Strittmatter (1961-1995)von Ulrich Zieger | |
Österreich | Seite 40 |
Art is over - the game goes onÜber Auftragswerke für den steirischen herbst '95 in Grazvon Stefan Grund | |
Porträt | |
Unberechenbar und unbescheidenWenn Herbert Fritsch auftritt, wacht das Publikum aufvon Kathrin Tiedemann | Seite 44 |
Groteske Rituale kollektiven VerhaltensDer Dresdner Regisseur Carsten Ludwigvon Petra Kohse | Seite 48 |
Freies Theater | Seite 52 |
Mou Sens Xi Ju Che JianChinas erstes freies Avantgardetheater auf Welttoruneevon Arnd Wesemann | |
Tanztheater | Seite 54 |
Tanz heißt die Kanaille!DV 8, Meg Stuart und Sasha Waltz fordern das THeater herausvon Franz Cramer | |
Kurzkritiken | |
Von kalten HerzenTheater Oberhausen: "Der Berg ruft" nach Texten von Kafka, Ibsen, Agricola, Hauff, Hofmannsthal, Büchner, J. Murphy u.a.von Ulrich Deuter | Seite 58 |
Belanglos und/oder sexistischVolksbühne Berlin: "Die Stadt der Frauen" von Federico Fellinivon Stefan Kanis | Seite 59 |
Theater als Forum der SelbstbefragungVolksbühne Berlin (3. Stock): "Die Möwe" von Anton Tschechowvon Alban Rehnitz | Seite 60 |
Der Kornett als ReitergeneralDeutsches Theater Berlin: "Prinz Friedrich von Homburg" von Kleistvon Friedrich Dieckmann | Seite 61 |
Die dritte SacheTheater an der Ruhr, Mülheim: "Im dickicht der Städte/Sehrin Vahsi Caliiklarinda" von Bertolt Brechtvon Ulrike Haß | Seite 62 |
Theater? - Theater!Staatstheater Cottbus: "Die Wildente" von Henrik Ibsenvon Martin Linzer | Seite 63 |
Der Glöckner von ChemnitzStädtische Theater Chemnitz: "Der Glöckner von Notre Dame" nach Victor Hugo von Jörg Mihanvon Ronald Richter | Seite 64 |
Der Dreck ist heiligTheater Nordhausen/Sondershausen: "Wezel" von Einar Schleefvon Frank Quilitzsch | Seite 65 |
Rhythmus und MordSchauspiel Köln: "Hermes in der Stadt" von Lothar Trollevon Ulrich Deuter | Seite 66 |
Verkehrte WeltenStaatstheater Hannover: "Fremdes Haus" von Dea Loher; "Die Elche, die Antilopen" von Oliver Bukowskivon Michael Quasthoff | Seite 67 |
Hierarchie der NullenTheater der Altmark Stendal: "EndeAnfangEnde" von Uwe Saegervon Olga Wildgruber | Seite 69 |
Neues SelbstbewußtseinMitteldeutsches Landestheater Wittenberg: "Schluß mit dem Sächsischen Genitiv oder Eigentum ist Diebstahl" von Rudi Strahlvon Dirk Nümann | Seite 70 |
Jux statt IrritationStaatstheater Stuttgart/Theater im Depot: "Ein Herz und eine Seele" von Wolfgang Mengevon Gisela Ullrich | Seite 71 |
Kontrast-ProgrammLTT Tübingen: "A und K oder Ein Brudermord wieder gutgemacht" von Albert Drach; "Kommt an die Weibesbrust trinkt Galle statt Milch ihr Morddämonen von Mechtild Erpenbeckvon Tilmann Seidel | Seite 72 |
LuftsinnigSchauspiel Bonn: "Moskau-Frankfurt. 9000 Meter über der Erdoberfläche" von Elexej Schipenkovon Ulrich Deuter | Seite 73 |
Camping-DramenKammertheater Neubrandenburg: "Der Bademeister" von Holger Friedrichvon Kathrin Tiedemann | Seite 74 |
GirlieSchokoLaden, Berlin: "Mirandolina" von Carlo Goldonivon Esther Kormann | Seite 74 |
Dunkle GefildeKollektivtheater Mitte, Bühnen der Stadt Gera: "Rottweiler" von Thomas Jonigkvon Jörg Mihan | Seite 75 |
Lausitzer FaustNEUE BÜHNE Senftenberg: "Faust I" von Goethevon Martin Linzer | Seite 76 |
Ein TraumspielThalia Theater Halle: "Milchbart" von Christian Martinvon Ingeborg Pietzsch | Seite 77 |
Wahr, also absurdTheater Waidspeicher Erfurt: "Das Spiel mit dem Leben" von H.-J. Menzel und dem Ensemblevon Hartmut Mechtel | Seite 77 |
ExtremitiesBremer Theater / De Nederlandse Opera Amsterdam: "Moses und Aron" von Arnold Schönbergvon Nora Eckert | Seite 78 |
Achtung! Brisant!Theater vorpommern Stralsund/Greifswald: "Einstein" von Paul Dessauvon Nora Eckert | Seite 80 |
Lebensleid und OpernzirkusTheater der Landeshauptstadt Magdeburg: "Ein Traumspiel" von Ingvar Lidholmvon Matthias Frede | Seite 81 |
BühnenaskeseStaatstheater Darmstadt: "Intolleranza 1960" von Luigi Nonovon Harald Asel | Seite 81 |
Das Singen der "Antirationale"Theater Altenburg-Gera, Kammerspiele Gera: "Hydrogen Jukebox" von Philip Glassvon Jens Knorr | Seite 83 |
Premierenkalender | Seite 84 |
November / Dezember 1995 | |
Stück | |
Über die Techniken des DialogführensLothar Trolle im Gespräch mit Ronald Richtervon Lothar Trolle und Ronald Richter | Seite 87 |
Die 81 Min. des Fräulein Avon Lothar Trolle | Seite 88 |
Russland | Seite 96 |
Neue russische DramatikRussischer Stückemarkt in Berlinvon Ronald Richter | |
Festival | Seite 97 |
Michail Ugarow über Ljubimowka '95Michail Ugarow im Gespräch mit Johannes Bergervon Johannes Berger und Michail Ugarow | |
Bücher | |
Matthias Braun: Drama um eine Komödie. Das Ensemble von SED und Staatssicherheit gegen Heiner Müllers "Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande" (1961). Links Verlag Berlin 1995von Martin Linzer | Seite 97 |
Jürgen Balitzki: Castorf, der Eisenhändler. Theater zwischen Kartoffelsalat und Stahlgewitter. Links Verlag Berlin 1995von Martin Linzer | Seite 98 |
Vor der Kamera. Fünfzig Schauspieler in Babelsberg. Hg. v. Ralf Schenk im filmmuseum Potsdam. Henschel Verlag Berlin 1995von Martin Linzer | Seite 98 |
Dieter Hoffmeier/Klaus Völker: Werkraum Meyerhold. Zur künstlerischen Anwendung seiner Biomechanik. Edition hentrich Berlin 1995, 144 S.von Kathrin Tiedemann | Seite 98 |
Magazin | |
50 Jahre HenschelMartin Linzer im Gespräch mit Horst Wandrey, Geschäftsführer der Henschel Verlag GmbHvon Martin Linzer und Horst Wandrey | Seite 98 |
"Neues Spiel" in Moersvon Ulrich Deuter | Seite 99 |
Theaterfestival 1995 in Amsterdamvon Ingeborg Pietzsch | Seite 100 |
An der Kreuzung der Jahrtausendevon Ernst Schumacher | Seite 100 |
Basler Protest / Theaterplakatevon Ulrich Deuter | Seite 101 |
Wilfried Werz' Entwürfe für die Opervon Martin Linzer | Seite 101 |
Pro Offenbach e. V. und "Die Banditen"von Frank Kämpfer | Seite 102 |
Meldungen | Seite 102 |
Autoren | Seite 104 |
Impressum | Seite 104 |
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Volker Braun
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