Heft 12/2002
Al Pacino als Arturo Bush
Falk Richter über Simon McBurneys "Ui"
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
"Denn nicht die Tat zählt, sondern nur der Einfluß": Es war die blutige Botschaft des Tschetschenien-Kriegs, die am 23. Oktober das Moskauer Musical "Nord-Ost" zu einem neuen Fanal des Terrorismus machte. Manch ungerührter Kommentar deutete das Geschehen als "Einbruch der Realität ins Theater" doch mit diesem uralten Topos der Theatergeschichte wird man dieser Katastrophe ebenso wenig gerecht, wie die Umstände und Absichten der so genannten Befreiungsaktion weiterhin noch zu klären sind. Nur ein paar Tage zuvor diskutierten Vladimir Sorokin und sein Moskauer Verleger Alexander Iwanow mit Durs Grünbein und der Sorokin-Übersetzerin Barbara Lehmann in Hamburg über das veränderte Klima im Putin-Russland. (S. 6) Tschetschenien und der Terror waren dabei nicht das Thema, doch wie Sorokin und Iwanow über das neue Verhältnis von Kunst und Macht im heutigen Russland sprechen, zeigt auch schon, dass kritische Öffentlichkeit und Meinungsbildung in dem östlichen Riesenreich auf dem Spiel stehen. Rigorose Zensurmaßnahmen gegen journalisten folgten der Musical-Tragödie.
In den USA ist Kritik an Kriegsvorbereitungen als Terrorismusbekämpfung offiziell unerwünscht. Eine offen zur Schau gestellte Kontrolle der Medien wie in Russland gibt es freilich nicht. Wohl aber die schleichende innere Zensur einer Stimmung, in der man sich als Künstler oder Autor nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte. Der Brite Simon McBurney hat in seiner New Yorker Inszenierungvon Brechts "Arturo Ui" die unverhohlene Bush-Kritik mit Stars geschützt - eine neue Variante der Subversion durch Affirmation, bei der es daraufankommt, dass amerikanische Kulturträger wie Al Pacino und john Goodman eine Analogie sichern, die ansonsten sofort im Verdacht des Anti-Amerikanismus als läppischer Vaterlandsverrat weggeschrieben werden würde. Um Hitler als "tertium comparationis" geht es dabei gar nicht, sondern um gängige Mechanismen und geschäftstragende Manipulation, weshalb Brechts seinerzeit aus anderen Gründen in ein Gangster-Amerika verlegtes Stück wieder aktuell ist. Und auch McBurney kann den Ui-Satz für sich geltend machen: "Denn nicht die Tat zählt, nur der Einfluß." Falk Richter ist spätestens seit seinem an der Berliner Schaubühne 2000 von ihm selbst inszenierten Stück "Peace" vor allem als kritischer Betrachter des Zusammenhangs zwischen Medien, Krieg und Politik bekannt. Seine Darstellung von McBurneys "Ui" (S. 4) steht außerdem in einer thematischen Linie dieses Hefts, nämlich wie Filmstars die Theaterbühne in ganz unterschiedlicher Weise bereichern. Neben dem Rollenbild Isabelle Hupperts aus Paris (S . 24) dazu der Essay von Anja Dürrschmidt über das ambivalente Dienen der Kamerahelen auf deutschen Bühnen. (S. 22)
Politik und Theater, das ist heute in Deutschland in erster Linie das Verhalten politischer Entscheidungsträger zur Existenz des Theaters. Die Berliner Opernkrise hat nun endgültig den Punkt erreicht, an dem ein kulturpolitischer Grundvorgang dieses jahrzehnts kenntlich wird: Bundeskulturpolitik, die sich nicht mehr an der einst von Michael Naumann beargwöhnten "Verfassungsfolklore" der Länderhoheit in Sachen Kultur orientiert und doch noch nicht kann, was eigentlich schon eine Mehrheit für notwendig hält. Insofern steht mit der Diskussion ums Bermudadreieck der Berliner Opern eine neue Runde um diese allerhöchst heikle Frage an, bei der es nicht allein um Geld, sondern auch um Prinzipien, also Grundlagen geht. Indes konnte das 5. Festival Politik im Freien Theater in Hamburg sich eines außerordentlichen Zuspruchs erfreuen, gerade weil der Begriffdes Politischen in den dort ausgewählten Produktionen zeitgemäß erregend vorhanden war. Selbst dann, wenn er bei den zahlreichen Publikumsdiskussionen als zu vage und diffus kritisiert wurde - aber gerade darum geht's bei der Wirkung, also dem Einfluss heutigen Theaters. (S. 12)
Die Redaktion
Tristan Berger
Otto Paul Burkhardt
Roland Dippel
Anja Dürrschmidt
Frank Eckart
Barbara Engelhardt
Barbara Gronau
Durs Grünbein
Stefan Grund
Michael Helbing
Rolf C. Hemke
Stefan Hulfeld
Thomas Irmer
Alexander Iwanow
Hella Kemper
Helmut Krausser
Hartmut Krug
Barbara Lehmann
Martin Linzer
Cornelia Niedermeier
Falk Richter
Patrick Schimanski
Matthias Schmidt
Alexander Schnackenburg
Daniel Schreiber
Vladimir Sorokin
Stephan Suschke
Katja Werner
€ 6,99
Zu den Apps
Versandfertig in 1 - 3 Werktagen. Kostenfreier Standardversand innerhalb Deutschlands, zzgl. Versandkosten ins Ausland. Alle Preisangaben inkl. MwSt.
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren