Heft 11/2014
System startet neu
Über den Einbruch der Performance in die Oper
Broschur mit 96 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Freiheit. Freiheit. Freiheit. Rund 53 Jahre ist es her, dass eine Gruppe von Künstlern eine Pressekonferenz einberief und Geschichte schrieb. Freiheit von Konventionen, forderten sie. Freiheit von Kommerz. Freiheit von Bevormundung durch Interessengruppen. Das Oberhausener Manifest der 26 Filmemacher, darunter Alexander Kluge, sollte die Branche, zumindest in Teilen, massiv verändern, führte es doch zu einem radikalen Bruch mit den bestehenden Produktionsverhältnissen, um zu ermöglichen, was bislang nicht möglich war: den neuen Film, die neue Sprache. Ein halbes Jahrhundert später liegt in der NRW-Stadt nun ein weiteres Manifest auf dem Tisch: das Oberhausener Theatermanifest, nicht etwa geschrieben von freien Theatermachern jenseits der Institution, sondern von der Institution selbst, dem Theater Oberhausen unter Intendant Peter Carp. Auch ihm geht es um Produktionsbedingungen, um den ewigen Streit zwischen Stadttheater und freier Szene, der für ihn ein „ideologisch aufgeladener ist. Institutionell geförderte Stadttheater sind prinzipiell nicht weniger frei als von Projektförderung abhängige freie Produzenten.“ Die Frage sei: „Was braucht der Künstler, um gut zu sein?“ Wir veröffentlichen das Manifest sowie ein Gespräch zwischen Peter Carp und Matthias Dell.
„Die Produktionsstrukturen eines Theaters dienen der Kunst und nicht die Kunst den Strukturen.“ Diesen Satz aus dem Manifest könnte man problemlos auch auf die Institution Oper anwenden: ein riesiger Apparat, der stoisch vor sich hin arbeitet, während die Kunst sich ihm fügen muss. So diagnostizieren es Opernregie-Professorin Barbara Beyer, Musikwissenschaftlerin Dörte Schmidt und die Regisseure Matthias Rebstock und Michael von zur Mühlen in unserem Schwerpunkt Oper und Performance. Seit den siebziger Jahren, als Regisseure wie Hans Neuenfels und Ruth Berghaus für eine Zäsur in der Opernrezeption sorgten, „hat sich diese in einem emphatischen Sinn zu verstehende Aktualität (…) immer mehr verflacht“, sagt Barbara Beyer. Es herrsche das Primat der Deutung. Wie aber ließe sich die Oper innerhalb der Institution wieder neu denken? Was würde etwa passieren, wenn performative Strategien auf Oper treffen? Ein Schwerpunkt über die Wiederbelebungsversuche der Oper durch den Einbruch der Performance mit Gob Squad, die in der Komischen Oper Berlin mit dem Roboter Myon das Stück „My Square Lady“ inszenieren, mit einem Bericht über das „Recording“ des Elektrokomponisten Matthew Herbert in der Deutschen Oper Berlin und einem Künstlerinsert von Christoph Ernst, der mit Dorte Lena Eilers über seine Startrampen für ein freies, unmittelbares Spiel sprach.
In Rostock kämpft man derweil aus ganz anderen Gründen um ein freies Spiel. So wurde der neue Intendant Sewan Latchinian gleich zu Beginn damit begrüßt, dass der Rostocker Oberbürgermeister zwar jubelnd bei der Eröffnungspremiere im Publikum saß, sich jedoch wenige Tage später der Forderung anschloss, zwei Sparten zu schließen. „Was kann man dagegen tun? Erst einmal all die angestaute Wut in Spiel verwandeln“, schreibt Gunnar Decker. Während sich dabei das Volkstheater mit neu gewonnener Energie gegen den herrschenden Zynismus stemmt, ist am Staatstheater Wiesbaden unter dem neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg eigentlich alles beim Alten, wie Shirin Sojitrawalla zu berichten weiß.
Freiheit. Freiheit. Freiheit. Im Jubelmonat November nehmen wir schließlich eine Reihe von Heiner-Müller-Inszenierungen unter die Lupe, die sich anlässlich des Gedenkens an den Mauerfall vor 25 Jahren auf den Spielplänen von Leipzig bis Konstanz wiederfinden, und drucken das Stück „traumhaft“ von Zinnober ab, der ersten freien Theatergruppe in der DDR. „Diese Suche nach Aufrichtigkeit als Basis für ein Standhalten in den Zerwürfnissen der Zeit war oft schmerzhaft, zuweilen auch beglückend“, erinnert sich Zinnober-Gründungsmitglied Dieter Kraft. „Wenn unser Lampion im Schaufenster zum Kollwitzplatz hin leuchtete, wusste man – so hieß es später –, das Gewissen des Theaters ist noch nicht ausgereist.“ //
Die Redaktion
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Thema: Oper und Performance | |
Bühnenvon Christoph Ernst | Seite 4 |
Licht an, Spot ausDer Bühnen- und Kostümbildner Christoph Ernst über Bühnen als Startrampen für ein freies, unmittelbares, energetisches Spiel im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Christoph Ernst | Seite 9 |
The Opera Is PresentBarbara Beyer, Dörte Schmidt sowie die Regisseure Michael von zur Mühlen und Matthias Rebstock über den Einbruch der Performance in die Oper im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers, Matthias Rebstock, Michael von zur Mühlen, Barbara Beyer und Dörte Schmidt | Seite 12 |
Berlin in sieben TracksMatthew Herberts „Recording“ in der Deutschen Oper Berlin zeigt, dass Musik auch heute noch mehr sein kann als bloßer Konsumvon Dorte Lena Eilers | Seite 16 |
Mein Gott, er hat mich angesehen!Berit Stumpf und Sean Patten von Gob Squad über ihre Arbeit mit einem Roboter in der Oper und die Frage, was uns zu Menschen macht. Ein Gespräch anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Kollektivsvon Patrick Wildermann und Gob Squad | Seite 18 |
Festivals | Seite 22 |
Oper ohne OperDie letzte Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels spielt geschickt mit Erwartungen – verheddert sich dabei mitunter jedoch selbstvon Martin Krumbholz | |
Protagonisten | |
Oberhausener Theatermanifestvon Tilman Raabke, Peter Carp, Rüdiger Bering, Simone Kranz und Tamina Theiß | Seite 26 |
Eine Sparte für zweiPeter Carp, Intendant des Theaters Oberhausen, über den neuen Kooperationsvertrag mit dem Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim und neue Möglichkeiten im deutschen Theatervon Matthias Dell | Seite 27 |
Auf die Schiffe!Das Volkstheater Rostock startet unter dem neuen Intendanten Sewan Latchinian seinen „Stapellauf“ – mitten in der alten Miserevon Gunnar Decker | Seite 30 |
Hunde, Nörgler und BesserverdienerUnter dem neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg ist am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden eigentlich alles beim Alten – nur ein bisschen neuvon Shirin Sojitrawalla | Seite 33 |
Aktuelle Inszenierungen: Heiner Müller Is Present | |
Die Lesebühne als GeschichtswerkstattSchauspiel Leipzig: „Wolokolamsker Chaussee I – V“ in der Regie von Philipp Preussvon Christian Horn | Seite 36 |
Der verlockende Verrat an der IdeeTheater Plauen-Zwickau: „Der Auftrag“ in der Regie von Roland Mayvon Michael Bartsch | Seite 37 |
Idiot der MachtTheater Osnabrück: „Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ in der Regie von Pedro Martins Bejavon Thomas Irmer | Seite 38 |
Fremd und fernNeue Bühne Senftenberg: „Germania 3. Gespenster am Toten Mann“ in der Regie von Manuel Soubeyrandvon Hartmut Krug | Seite 39 |
Mit dem Leben jonglierenTheater Konstanz: „Gestern habe ich aufgehört mich zu töten. Dank Dir, Heiner Müller“ in der Regie von Andreas Bauervon Maria Schorpp | Seite 40 |
Kolumne | Seite 41 |
Zum Kaffee bei Karl LiebknechtKlassiker & Agitprop: Der 93-jährige Schauspieler Horst Schulzevon Ralph Hammerthaler | |
Protagonisten | Seite 42 |
Theater aus der ZukunftVom Workshop für junge Flüchtlinge zum transnationalen Theaterkosmos – Die Hamburger Gruppe Hajusom feiert ihr 15-jähriges Bestehen. Ein Portraitvon Nikolaus Stenitzer | |
Look Out | |
Bin ich hier nicht schon einmal gewesen?Marcos Morau und seine spanische Kompanie La Veronal konfrontieren uns mit den Tiefen des Unterbewusstseinsvon Johanna Groh | Seite 44 |
Wannensteins NagerDer Osnabrücker Schauspieler Patrick Berg formt Charaktere, die unversehens die Gefühlsfarbe wechselnvon Christine Adam | Seite 45 |
Ausland | Seite 46 |
Das Getrampel der RiesenDas Theater an der Ruhr und das Kumbaracı 50 appellieren in ihrer Koproduktion „Economania“ in Istanbul daran, sich nicht mit dem zivilen Faschismus des Landes zu arrangierenvon Martin Krumbholz | |
SCORES – Insert Tanzquartier Wien | Seite 49 |
Geländevon Stephanie Rauch | |
Contingenciesvon An Kaler | |
Auftritt | |
Bern: Mit Pillen zum Pudels Kern?Konzert Theater: „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe. Regie Claudia Bauer, Bühne Patricia Talacko, Kostüme Laura Clausenvon Harald Müller | Seite 51 |
Essen: Grand Tour der ZivilisatorenSchauspiel: „Die Odyssee oder Lustig ist das Zigeunerleben“ (UA) nach Homer, Textfassung von Volker Lösch, Vera Ring und Stefan Schnabel. Regie Volker Lösch, Ausstattung Carola Reuthervon Martin Krumbholz | Seite 51 |
Halle: Auftakt mit HauptaktNeues Theater: „Ödipus Stadt“ nach Sophokles, Aischylos und Euripides, Bearbeitung John von Düffel. Regie Wolfgang Engel, Ausstattung Hendrik Scheelvon Thomas Irmer | Seite 52 |
Leipzig: Posten, liken, sharenTheater der Jungen Welt: „Man sieht sich“ (DSE) von Guillaume Corbeil. Regie Jürgen Zielinski, Ausstattung Fabian Goldvon Steffen Georgi | Seite 53 |
München: Kreisen um die leere MitteKammerspiele: „Das schweigende Mädchen“ (UA) von Elfriede Jelinek. Regie Johan Simons, Bühne Muriel Gerstner, Kostüme Klaus Brunsvon Christoph Leibold | Seite 54 |
Stück | |
Leibhaftige TräumeGabriele Hänel und Dieter Kraft über „traumhaft“ vom Theater Zinnober im Gespräch mit Thomas Wieckvon Thomas Wieck, Gabriele Hänel und Dieter Kraft | Seite 56 |
traum haftvon Gabriele Hänel und Dieter Kraft | Seite 58 |
Magazin | |
Belebte GeisterstadtNach dem Abzug der U.S. Army aus der Stadt begibt sich das Heidelberger Theater beim Spektakel „Born with the USA“ auf eine Spurensuche der vergangenen 68 Jahrevon Theresa Schütz | Seite 73 |
Europa auf der CouchMilo Rau formuliert mit „The Civil Wars“ die unheilvolle Gegenwart eines kränkelnden Kontinentsvon Kaa Linder | Seite 74 |
kirschs kontexte: Gebote und AngeboteZur Berliner Ausstellungsserie „Dekalog“von Sebastian Kirsch | Seite 75 |
Der VorwärtsverteidigerZum Tod des Schauspielers Guntram Brattiavon Christoph Leibold | Seite 76 |
Linzers Eck: Die unendliche GeschichteDie Sascha Anderson-Story: Jetzt im Kinovon Martin Linzer | Seite 77 |
Schlaglichter vom TageErwin Strittmatter: Der Zustand meiner Welt. Aus den Tagebüchern 1974 – 1994. Hg. von Almut Giesecke. aufbau Verlag, Berlin 2014, 623 S., 24,95 EUR.von Gunnar Decker | Seite 78 |
Wertschöpfender KünstlerEmmanuel Mir: Kunst Unternehmen Kunst. Die Funktion der Kunst in der postfordistischen Arbeitswelt. transcript, Bielefeld 2014, 480 S., 44,99 EUR.von Tom Mustroph | Seite 79 |
Aktuell | Seite 80 |
Meldungen | |
Aktuell: in nachbars garten | |
Film: Ein Hauch von Ewigkeitvon Ralf Schenk | Seite 82 |
Literatur: Kühle Wärmevon Katrin Schuster | Seite 82 |
Kunst: Kein Vorher, kein Nachhervon Ute Müller-Tischler | Seite 83 |
Musik: Am Rande der Milchstraßevon Otto Paul Burkhardt | Seite 83 |
Aktuell | Seite 84 |
PremierenNovember 2014 | |
In eigener Sache | Seite 86 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Dries Verhoeven?von Dries Verhoeven und Anna Volkland |
Christine Adam
Michael Bartsch
Rüdiger Bering
Barbara Beyer
Otto Paul Burkhardt
Peter Carp
Gunnar Decker
Matthias Dell
Dorte Lena Eilers
Christoph Ernst
Steffen Georgi
Gob Squad
Johanna Groh
Ralph Hammerthaler
Gabriele Hänel
Christian Horn
Thomas Irmer
An Kaler
Sebastian Kirsch
Dieter Kraft
Simone Kranz
Hartmut Krug
Martin Krumbholz
Christoph Leibold
Kaa Linder
Martin Linzer
Harald Müller
Ute Müller-Tischler
Tom Mustroph
Tilman Raabke
Stephanie Rauch
Matthias Rebstock
Ralf Schenk
Dörte Schmidt
Maria Schorpp
Katrin Schuster
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