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Randnotiz zu quasibarockem Blabla

Über den Theaterstreit in Halle

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Als im Sommer 2016 mit Florian Lutz, Michael von zur Mühlen und Veit Güssow das neue Leitungsteam der Oper Halle antrat, nahm auch der neue Geschäftsführer der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle (TOOH) Stefan Rosinski seine Tätigkeit auf. Nach einem künstlerisch äußerst erfolgreichen Start stand das Haus im Frühsommer vergangenen Jahres jedoch auch aus anderen Gründen in den Schlagzeilen: Die örtliche Presse kolportierte, die TOOH, vor allem die Oper, habe in kürzester Zeit ein finanzielles „Millionen-Loch“ erwirtschaftet. Wie die Zahlen ihren Weg aus der Geschäftsleitung in die Zeitung fanden, ist nach wie vor unklar. Fakt ist: Das Klima am Haus ist seitdem vergiftet.

Oh Gott, welch Dunkel hier – In Florian Lutz‘ „Fidelio“ schwadroniert ein Gouverneur über die Grenzen des Wohlfahrtsstaats, während Florestan als Lutz-Double im Kerker sitzt. Foto Falk Wenzel
Oh Gott, welch Dunkel hier – In Florian Lutz‘ „Fidelio“ schwadroniert ein Gouverneur über die Grenzen des Wohlfahrtsstaats, während Florestan als Lutz-Double im Kerker sitzt. Foto Falk Wenzel

Okay, man kann im Theater meckern und übers Theater auch. Immerhin ist die Szene so aufgeweckt, dass – mal aus der Luft gegriffen – die Verbreitung eines reaktionären, irrationalen und dezidiert elitären Kunstverständnisses schnell genug einen schneidigen Wind der Empörung anregt. Oder nicht? Im Mai 2017 veröffentlichte der Geschäftsführer der Theater, Oper und Orchester GmbH der Stadt Halle (TOOH), Stefan Rosinski, in der Zeitschrift Merkur einen Text, über den ich als Herkunfts-Hallenser fliegen musste, zumal im März 2017 Musiktheater-Intendant Florian Lutz die Oper „Sacrifice“ von Sarah Nemtsov zur Uraufführung brachte, zu der ich das Libretto beitragen durfte. Rosinskis Artikel soll wohl so eine Art Generalabrechnung mit dem gängigen Theaterverständnis sein, schließlich wirft der Autor mit harten Worten um sich: „Kunstwollen ist durch eine Versorgungsmentalität ersetzt, die sozialpolitisch nach innen und kulturpolitisch nach außen wirkt: Theater als Sozialstation gilt der Befriedigung eines soziokulturellen Mainstreams.“ Und die moderne Vorstellung von Kunst sei „ausgestattet mit dem Pathos eines sozialkitschigen Begriffs von Aktualität“. Der Verdacht liegt nahe, dass Rosinski es auch auf die Hallenser Bühnenlandschaft abgesehen hat, mit der er im Clinch liegt. Um ihr mal zu zeigen, was eine Harke ist, unternimmt er einen nicht unanstrengenden Spagat zwischen der Forderung nach L’art pour l’art und neoliberaler Notwendigkeitslogik.

Die Penunzen

Das Spannendere zuerst: die Penunzen. Rosinski wechselte 2016 vom Rostocker Volkstheater, wo er kurz vor seinem Weggang in der Funktion als Geschäftsführer half, Intendant Sewan Latchinian, kaum war dieser angetreten, zu schassen, nach Halle. In der Ostsee-Zeitung resümierte er über die finanzielle Lage an den hanseatischen Bühnen: „Während meiner Zeit hat sie sich noch verschlechtert.“ Blöd, dass ihn in Halle dasselbe erwartete: Stellenabbau und Etatkürzung von drei Millionen Euro waren bereits vereinbart. Kurz nachdem sich der Finanzausschuss der Stadt im April 2017 zu einer Krisensitzung zurückzogen hatte, schoss sich Rosinski auf die neue Opernintendanz unter Florian Lutz, Veit Güssow und Michael von zur Mühlen ein. Der Mitteldeutschen Zeitung gingen Auslastungszahlen der Oper zu, die nur auf einem Schreibtisch liegen konnten – dem Rosinskis (siehe auch TdZ 06/2017). Das Blatt betitelte die Oper im Folgenden gerne als „Fass ohne Boden“, schwadronierte vom „Dukatengrab“, und auch dem Wessi Lutz „Arroganz“ vorzuwerfen durfte nicht fehlen. „Um ruinöse 44,5 Prozent sind die Erlöse in der Zeit ab Januar 2017 eingebrochen“, wurde schon im April skandalisiert.

Rosinski bekräftigte und klagte in derselben Presse, dass gerade in Oper und Orchester der beabsichtigte Stellenabbau auf mangelnde Bereitschaft der abzubauenden Köpfe stoße. (Na, so was, wie uneinsichtig diese Leute doch sind!) Lutz und Co. jedenfalls klebten kurz mit dem Rücken an der Wand und stellten richtig: Woher auch immer diese Zahlen stammten, sie zeigten einen Ausschnitt der Spielzeit, in der nicht einmal Gastspiele und die renommierten Händel-Festspiele eingerechnet seien. Bald wurden sie sekundiert vom Schauspiel-Intendanten Matthias Brenner und vom Generalmusikdirektor der Staatskapelle, Josep Caballé-Domenech. Allesamt sprachen im Juni 2017 Herrn Rosinski ihr Misstrauen aus. Lange Rede, vorläufiges Resultat: Der Finanzausschuss der Stadt beschloss für 2017 eine einmalige Sonderzahlung, die ein tatsächliches Defizit ausgleichen sollte. Prägnant blieb: Während die Kollegen Intendanten zu keiner Zeit das öffentliche, auch gemeinsame Gespräch scheuten, äußerte Rosinski sich ausschließlich in der Mitteldeutschen Zeitung oder besagtem Merkur. Da fragt man sich doch …! Im Artikel erklärt er ein paar Überlegungen zu Kunst und Kohle und schickt demgemäß voraus: „Nichts ist betrüblicher als die Wahrheit.“ Na denn, das Joch ist geschultert – auf geht’s!

Betrüblich ist nicht etwa, was Rosinski zum allgemeinen Dilemma beiträgt, in dem Bürgerinnen, Bürger und mithin ihre Institutionen, zum Beispiel Theater, stecken: Trotz mehr (und flexibler) Arbeit haben sie zusehends weniger vom erwirtschafteten Reichtum. Der Geschäftsführer über mehrere Bühnen, Ensembles und ein Orchester findet unerquicklich, dass es Organisationen wie den Deutschen Bühnenverein gibt, der mit dem bösen Sticker-Slogan „Theater muss sein!“ wohl etwas Gemein-Verlogenes in die Welt haut. Denn: „Die bittere Wahrheit hinter der Glücksformel zeigt sich erst, wo der Wohlfahrtsstaat sich an der eigenen (langen) Nase aus der Schuldenfalle ziehen soll.“ Na, super. Der arme Staat, denkt man. Bei dem Rosinski sich unter Verdrehung von Begriffen einzuschleimen versucht.

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