Protagonisten

Altes Haus, vitales Herz

Barockarchitektur und Videoschnipsel: Das Theater Erlangen feiert seinen 300. Geburtstag und denkt über das Stadttheater der Zukunft nach

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Wie alt das Theater Erlangen tatsächlich ist, ist eine Frage der Perspektive. Je nach Sichtweise ist es altehrwürdig oder aber noch blutjung. Ein modernes Stadttheater mit Repertoirebetrieb wurde das Theater Erlangen nämlich erst mit dem Antritt von Katja Ott als Intendantin zur Spielzeit 2009/10. Vor ihrer Ankunft wurde en suite gespielt. Zudem erlebte das Haus in all den Jahren davor wechselnde Bespiel- und Organisationsformen (meist wurde es als Gastspielbetrieb geführt) und musste zwischendurch sogar um seine Existenz fürchten. Ende der 1950er Jahre war das Gebäude in derart marodem Zustand, dass ein Komplettabriss zur Diskussion stand, der aber durch bürgerschaftliches Engagement abgewendet werden konnte.

Alterhrwürdig und blutjung zugleich – Das Theater Erlangen ist die älteste bespielte Barockbühne Bayerns. Foto Jochen Quast
Alterhrwürdig und blutjung zugleich – Das Theater Erlangen ist die älteste bespielte Barockbühne Bayerns. Foto Jochen Quast

Was ist eigentlich das Gegenteil von Entkernen? Schälen? In Erlangen jedenfalls war statt der Abrissbirne Filigranarbeit gefragt. Nur die Außenhülle des alten Markgrafentheaters wurde abgetragen, die Schale eben. Der Kernbau aber blieb erhalten: jener kostbare Theaterraum, der am 10. Januar 1729 unter dem Bayreuther Markgrafen Georg Wilhelm eröffnet wurde.

Nähert man sich dem Theater von außen und rückt ins Innere vor, durchläuft man die unterschiedlichen Epochen. Draußen fallen die Plakate auf: bunt, flott, mit schwungvollen Lettern, ganz 21. Jahrhundert. Dann das 1960 eröffnete Foyer, das funktionale Nüchternheit ausstrahlt. Schließlich der prachtvolle Innenraum, dem Markgräfin Wilhelmine 1743/44 vom venezianischen Architekten Paolo Gaspari ein Rokoko-Update verpassen ließ, das bis heute Bestand hat. Die üppige Vergoldung legt den Begriff „Schmuckkästchen“ nahe, der tatsächlich immer dann zuverlässig herangezogen wird, wenn es darum geht, die älteste bespielte Barockbühne Bayerns als Glücksfall für die Stadt zu preisen. Insofern ist das Markgrafentheater ein Fall fürs städtische Museum, das dem geschichtsträchtigen Gebäude derzeit denn auch eine Ausstellung widmet.

Von musealer Theaterkunst hingegen hält Intendantin Katja Ott nichts. Ihr dient das Jubiläum nicht als Anlass, einem alten Haus zu huldigen. Allenfalls begreifen sie und ihre Mannschaft die glorreiche Geschichte als Quelle, aus der sich Kraft für die Gegenwart schöpfen lässt. Deshalb hat sich Ott dem gängigen Reflex verweigert, Neuinszenierungen von Stücken auf den Spielplan zu setzen, die wichtige Wegmarken in der Geschichte des Hauses darstellen: „Wir machen keine Geburtstagsdramaturgie!“ Stattdessen soll beim Jubiläumswochenende vom 18. bis 20. Januar verschärft über das Stadttheater der Zukunft nachgedacht werden.

Um das Theater zukunftsfähig zu machen, bedürfte es vor allem einer zusätzlichen, mittelgroßen Spielstätte. Bisher gibt es neben dem Haupthaus nur die Garage, die ihrem Namen alle Ehre macht. Zumindest in den Wintermonaten ist es darin so zugig, dass man sich als Zuschauer wünscht, man hätte seinen Mantel nicht draußen an einen Garderobenhaken gehängt. Andererseits ist diese Unwirtlichkeit durchaus passend für ein Stück wie „Draußen vor der Tür“. Man bibbert buchstäblich mit Wolfgang Borcherts Protagonisten Beckmann mit, der von seinen Mitmenschen in der Kälte stehen gelassen wird. Begleitet von dem Musiker Niklas Handrich, der vor allem elektronisch verfremdete Cello-Klänge beisteuert, gibt Enrique Fiß das Kriegsheimkehrer-Drama auf der mit weißen Plastikplanen ausgeschlagenen Bühne als Ein-Mann-Theater. „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf!“, schnauzt er sich selbst als Oberst an und ist schon im nächsten Moment wieder Beckmann, der genau das tut: sich den Kopf zerbrechen angesichts der bohrenden Frage nach der (eigenen) Kriegsschuld, mit der er sich allein gelassen fühlt, weil alle anderen die Vergangenheit längst verdrängt haben. In dieser Solofassung werden die Figuren, denen Beckmann begegnet, zu Stimmen in seinem Kopf. Fiß gelingt es, Beckmanns seelische Zerrüttung zu vergegenwärtigen, ohne in eine dick aufgetragene Irrsinnsshow abzudriften. Zugleich hat man jederzeit das Gefühl, dass es sich bei dem Abend um eine Herzensangelegenheit des Darstellers handelt. Fiß hat das Konzept gemeinsam mit Regisseurin Maria Sendlhofer selbst entwickelt. Diese Art von Überzeugungstäterschaft steht jedem Theater gut.

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