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Kulturkampf oder alles nur Theater?

Wie die AfD mit ihrer Kulturpolitik die Theater attackiert – und glänzendem Protest begegnet

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Glänzende Demo – Während sich die AfD am 27. Mai 2018 in Berlin-Mitte versammelte, formierte sich die Berliner Kulturszene auf dem Pariser Platz. Foto Fritz Engel / Zenit
Glänzende Demo – Während sich die AfD am 27. Mai 2018 in Berlin-Mitte versammelte, formierte sich die Berliner Kulturszene auf dem Pariser Platz. Foto Fritz Engel / Zenit

Das Theater war immer der Ort, an dem eine Gesellschaft auch ihre Konflikte verhandelte, indem auf der Bühne die widerstreitenden individuellen, religiösen oder politischen Interessen, die das Miteinander bestimmten, gestalteten und gefährdeten, von den Figuren stellvertretend ausagiert wurden. Dass dies heute nicht mehr ausschließlich im Sinne einer Übersetzung ins Fiktionale, Mythologische oder Symbolische geschieht, sondern sich die Konflikte der Gegenwart unmittelbar auf der Bühne abbilden, ist nicht nur neuen interventionistischen, Dokumentartheater- und Bürgerbühnen-Formaten oder dem Artivism eines Milo Rau oder des Zentrums für Politische Schönheit geschuldet, die die Realität zu ihrem Stoff machen. Und es sei auch dahingestellt, ob schlechte politische Zeiten gute Zeiten für das Theater als Kunstform sind. Doch angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Verwerfungen in Deutschland, in Europa und weltweit kann sich ein Theater, das sich immer noch als Agora der Gesellschaft, vielleicht auch als moralische oder paradigmatische Anstalt begreift, tatsächlich nicht nicht dazu verhalten.

Zurzeit aber ist das Theater selbst zum Gegenstand eines politischen Konflikts geworden: genannt „Kulturkampf von rechts“. Und die Frage ist, ob dieser Kampf auf einer realen oder symbolischen Ebene stattfindet. Ob es bei diesem Kampf ausschließlich um die Freiheit der Kunst geht oder eben um viel mehr. „Rechts“ meint hier im Kern die AfD, die mit einer nationalistischen und völkisch-identitären Agenda gezielt und öffentlichkeitswirksam das symbolische Feld der Kultur beackert und gerne auch bestellen würde. Ausgehend von ihrer Kampfansage an sogenannte Eliten und linkes Mainstream-Denken im Fahrwasser der 68er, werden spätestens mit dem Einzug der AfD in die Landesparlamente und den Bundestag deutschlandweit von ihr Kulturinstitutionen ins Visier genommen und attackiert. Attackiert wird alles, was AfD-kritisch ist oder in ihren Augen eine „Ideologie des Multikulturalismus“ fördert.

Die AfD geht dabei sowohl mit rechtlichen als auch mit ­politischen Mitteln vor. So klagte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch im Herbst 2015 gegen das an der Berliner Schaubühne ­uraufgeführte Stück „Fear“ von Falk Richter, da Fotos von ihr auf der Bühne Verwendung gefunden hatten. In Paderborn zeigte 2018 der dortige Parteikreisverband das Theater wegen Verleumdung und Volksverhetzung an: weil im Programmheft zu Max Frischs „Andorra“ in einer Grafik Wahlergebnisse der AfD und der NSDAP gegenübergestellt wurden. Als systematisches Instrument in ihrer Auseinandersetzung mit unliebsamen Theatern hat die Partei jedoch parlamentarische Anfragen für sich entdeckt, in denen sie die Zulässigkeit von öffentlichen Förderungen für ­Theater und Projekte infrage stellt. So „erfragte“ Ende des ver­gangenen Jahres der AfD-Abgeordnete Andreas Kalbitz anlässlich des Theaterstücks „KRG. – Eine Heimatbetrachtung“ am Piccolo Theater in Cottbus von der Landesregierung eine Aufschlüsselung der Fördergelder der Bühne – vor allem hinsichtlich von Stücken „mit dezidiert aktuellem gesellschaftlichem und oder politischem Bezug ähnlich dem Theaterstück ‚KRG.‘“. In diesem hatte der Theaterjugendclub das Szenario einer faschistischen Diktatur in Deutschland entworfen, das die Menschen zur Flucht zwingt, und zwar in den Nahen Osten. Solche vermeintlich neutralen, sach­lichen Anfragen fungieren als symbolische Infragestellungen der jeweiligen Institution, indirekt auch als Drohungen. Gerade in Bundesländern, in denen die AfD bei kommenden Wahlen vielleicht bald mehr oder Schlüsselpositionen in den Parlamenten besetzen und ihre Androhung von Kürzungen öffentlicher Förderungen umsetzen könnte – wie es der kulturpolitische Sprecher der AfD in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, schon 2016 für Intendanten, die ein „zu buntes Agitprop-Repertoire mit Regenbogen-Willkommens-Trallala auf die Bühne bringen“, androhte. Die AfD werde ganz genau auf die Programmatik der Bühnen schauen, und gegebenenfalls „würden wir natürlich sagen, das Ding muss zugemacht werden. Ganz einfach.“

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