Kolumne

In welcher Sprache träumst du, Alida?

Wau Wau Wau, die sprühendste Frau der Balkanliteratur

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Kolumnistenfoto
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In Prishtina, auf dem Polip-Festival, hab ich Alida Bremer kennengelernt, das ist jetzt bald zehn Jahre her. Gerade haben wir uns wiedergetroffen, wieder in Prishtina, wieder auf Polip, aber dieses Jahr ist vieles anders, weil dem Virus eingefallen ist, das kleine Land Kosovo bevorzugt heimzusuchen, ohne doppelt Geimpfte zu verschonen. Im Oda Theater versammelt sich die Literarische ­Internationale wie eine verschworene Gemeinschaft, alle maskiert und mit leuchtenden Augen; nur beim Vorlesen oder Diskutieren wird die Maske vom Gesicht gezogen, und wem danach ist, der schielt ab und zu in die Kamera, weil da draußen ja das Publikum sitzt, vereinzelt vor seinen Monitoren. Polip wird um seine langen Nächte gebracht. Nach der letzten Lesung müssen wir rennen, um in den Bars noch etwas zu bekommen. Um halb zehn nämlich machen sie zu, Polizisten drehen ihre Runden, klopfen an die Scheiben und rufen nichts Nettes durch die Tür. Ab zehn herrscht Ausgangssperre. Jetzt sollte ich mein Hotelzimmer beschreiben.

Alida ist eine sprühende Frau. Ein treffenderes Wort als sprühend fällt mir nicht ein, höchstens der Superlativ dazu, sie ist die sprühendste Frau der Balkanliteratur. Von der jüngeren kroatischen Szene hab ich nicht das Schlechteste durch ihre Übersetzungen mitgekriegt, Ivana Sajko, Edo Popović, Renato Baretić. Aber übersetzen allein genügt ihr nicht. Sie tritt als Moderatorin auf, als Vermittlerin und Mentorin. In Berlin hat sie einmal Robert Perišić vorgestellt, einen Autor, den hierzulande so gut wie niemand kennt, dabei steht sein Name in dem Band „Neue Literatur aus Kroatien“ für die beiden tollsten Geschichten. Alida hat ein offenes, freundliches Gesicht, so offen und freundlich, dass sie wie ungeschützt wirkt, selbst mit Maske. Aber das täuscht. Denn sie lacht viel, und ich bilde mir ein, dass dieses Lachen sie schützt.

Als sie den Brücke Berlin Theaterpreis erhielt, sie als Übersetzerin zusammen mit der serbischen Dramatikerin Iva Brdar für das Stück „Daumenregeln“, hab ich im Deutschen Theater die Laudatio gehalten. Zwei Tramperinnen sehen einen toten Hund auf der Straße liegen, eine davon redet mit dem Kadaver, und weil sie nicht sicher ist, ob der Hund sie versteht, versucht sie es so, wie der Mensch denkt, dass der Hund spricht: „Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau Wau“, dreißig Mal Wau, weil man korrekt zitieren muss, selbst wenn dieses Zitat den für mich eh zu engen Platz der Kolumne zusätzlich bedrängt. Aber der Hund antwortet nicht, vielleicht weil er tot ist.

„Olivas Garten“ heißt Alidas erster Roman. Für mich hat sie ihn mit dem handschriftlichen Hinweis versehen: „Die Beschreibung meines Split-Sehnsuchtsorts findest Du auf der Seite 52!“ (Weil ich sie einmal, denn auch einfältige Fragen sind erlaubt, nach ihrem Lieblingsort auf dem Balkan gefragt hab.) Gemeint ist die Fähre von Split zur Insel Brač. In Split nämlich ist sie geboren und aufgewachsen, in Belgrad und Rom hat sie Sprachen studiert, in Münster aber ist sie hängen geblieben, das ist mir ein Rätsel. Vor Kurzem kam ihr zweiter Roman heraus, „Träume und Kulissen“, über den bewegten Sommer 1936 in Split, und zwar im Salzburger Verlag Jung und Jung, der auch Peter Handke pflegt ab und zu, ausgerechnet. Denn dass Handke den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, dagegen hat sie damals protestiert, auch in Stockholm. Sie zog haarsträubende Interviews aus serbischen Gazetten hervor und machte sie publik. Wau Wau Wau. Aber Handke antwortete nicht, vielleicht weil er tot war, vom Verstand und Gefühl her.

In Prishtina sitzt sie als teilnehmende Moderatorin mit dem griechischen Dichter Dimitris Lyacos und dem mazedonischen Dichter Nikola Madžirov auf dem Podium, Slavenka Drakulić ist aus Istrien zugeschaltet. Eigentlich geht es um Bücher, die uns helfen sollen, die Welt von heute zu verstehen, Krisen, die Pandemie. Niemand schlägt Camus vor, dafür Brecht, Deleuze und Fernando Aramburu. Unversehens verkehrt sich alles ins Existenzielle, ohne dass Literatur überflüssig würde, es geht um Leben und Tod. Nikola und Slavenka erzählen von schweren Covid-Erkrankungen. Einen Monat lag Nikola im Krankenhaus und kämpfte ums Überleben, links und rechts starben Menschen; Slavenka leidet bis heute unter den Folgen. 1956 lag Brecht in der Charité und hörte am Morgen die Vögel singen. Dass sie weitersängen, auch wenn er nicht mehr sein würde, tröstete ihn.

Am nächsten Tag frag ich Alida, in welcher Sprache sie träume. Ich weiß ja, dass sie ihre beiden Romane auf Deutsch geschrieben hat und sich im Stillen eine Germanistik-Professur in New York ausmalt. Aber träumen, das ist noch mal etwas anderes. Auf Deutsch, glaube ich, antwortet sie. Und schränkt es gleich wieder ein, da sie im Moment dauernd mit Handwerkern in Split telefoniert, die ihre Mutter übers Ohr zu hauen drohen. Oder auf Kroatisch, fügt sie hinzu. Das leuchtet mir ein. Denn im Fluchen sind die Balkansprachen schwer zu schlagen. //

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