Ausland

Feier des Lebens

Ein Porträt der südafrikanischen Choreografin Dada Masilo

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Eigentlich als düsteres Stück konzipiert, verknüpft „Sacrifice“ von Dada Masilo Leben und Tod über florale Motive. Foto John Hogg
Eigentlich als düsteres Stück konzipiert, verknüpft „Sacrifice“ von Dada Masilo Leben und Tod über florale Motive. Foto John Hogg

Nomen est omen: Sie heißt nicht nur Dada, sie ist es. Dada ­Masilo, Tänzerin und Choreografin aus Südafrika, hat eine Art burlesken Investigations-Dadaismus erfunden, der das klassische Ballett veralbert, verschmachtet, verklärt und verrückt. Sie nimmt sich auch Opern vor, und immer sind es kluge, auch liebevolle Fragen, die sie an die Objekte ihrer Begierde stellt. Die ätherischen Traumwelten der westlichen Klassik unterwandert sie gern mit den lebensprallen Tänzen der afrikanischen Tradition. Das erzeugt eine Intensität, die radikal und komisch zugleich ist und alles andere als oberflächlich.

Masilo, 1985 in Soweto geboren, tanzt schon als Kind in der ­Jugendgruppe Soweto Peacemakers. Mit 12 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung an der Dance Factory in Johannesburg, später studiert sie an der National School of the Arts ebendort und am Jazz Art Dance Theatre in Kapstadt. Sie lernt klassisches Ballett und zeit­genössischen westlichen sowie traditionellen afrikanischen Tanz, Flamenco und Jazz Dance und bekommt eines der begehrten Zwei-Jahres-Stipendien für P.A.R.T.S, Anne Teresa de Keers­maekers berühmter Tanzschule in Brüssel. „Ich war 19, als ich da hin ging, und Brüssel hat mir gar nicht gefallen, weil es so dunkel und kalt war. Aber die Schule war groß­artig. Ich habe so viel gelernt, so viele Anregungen bekommen. Es war eine ganz wichtige Erfahrung für mich.“

Zurück in Johannesburg, wurde sie Artist in Residence an der Dance Factory. 2008 erhält sie den renommierten Standard Bank Award für Tanz und wird vom National Festival of the Arts in Grahamstown (heute Makhanda) beauftragt, drei klassische Ballette zu choreografieren: 2008 Prokofjews „Romeo und Julia“, 2009 „Unraveling Carmen“ nach Bizet und 2010 Tschaikowskys „Schwanensee“. Dabei entwickelt sie einen sehr eigenen, sehr ­ungewöhnlichen Stil, der sie später weltberühmt macht.

Schon das erste Stück enthält viele Elemente ihrer späteren Handschrift: das Einfügen fremder Musikstücke – hier von Vivaldi bis Philip Glass und Arvo Pärt, den Austausch von Männer- und Frauen­rollen und die Verlängerung des Balletts in afrikanischen Tanz.

Ihre „Carmen“, die sie später noch einmal überarbeitet, zeigt die von ihr bravourös getanzte Heldin als selbstbewusste, sinnliche Frau, die eine Herausforderung für die Männerwelt ist. Der ge­demütigte José vergewaltigt sie aus Rache und wischt sich mit ­ihrem Kleid den Schweiß von der Stirn. Später stehen die Tänzer im Kreis und sehen zu, wie Escamillo den José umbringt. Die ­Aufführung zeigt in rasantem Tempo die verschiedenen Stationen des Dramas wie eine Revue in der Masilo-Mischung aus Fla­menco, Klassik, Modern und Afrikanisch.

Und dann kommt der ganz große Wurf, bei dem sie den romantischen „Schwanensee“ in einen afrikanischen Ententeich verwandelt, die Geschichte und ihre Protagonisten neu inter­pretiert, die schwarzen Ballerinen in ihren weißen Tutus barfuß herumtoben lässt. Wie sie klassische Positionen in afrikanisches Bodenstampfen verwandelt, Arabesken und Pas de deux durch Hüftschwung, Beckenkreisen und exzessive Energie ad absurdum führt, ist schlicht genial. Es ist anstrengend für Tänzer wie Publikum und gerade deshalb unvergesslich.

Sie reibt sich gern an der Hochkultur, nicht um sie billig zu parodieren, sondern um sie mit Respekt, Humor, dezidiertem Standpunkt, veränderten Geschlechterrollen und afrikanischem Blickwinkel zu interpretieren. Spätestens seit diesem „Schwanensee“ ist sie Kult und kann machen, was sie will. Die Aufmerksamkeit ist ihr sicher. „,Swan lake‘ haben wir 250 Mal gespielt“, sagt sie, „jahrelang und auf der ganzen Welt. Und mit ‚Giselle‘ kamen wir bis dicht an die 100.“

Sie bezeichnet sich nicht als Feministin, aber sie steht immer, in all ihren Stücken, auf der Seite der Frauen, die sie nicht trösten, sondern aufrütteln will. Dafür nimmt sie sich berühmte, von Männern erfundene Frauenfiguren vor, die sie zerlegt, neu zusammensetzt und unterwandert. Und stets gelingt es ihr, aktuelle Themen wie Homosexualität, Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung und Rassismus ins klassische Ballett hineinzuschmuggeln.

Zu diesen Klassikerübermalungen gehört auch jene „Giselle“, die sie von aller Romantik befreit und als raues Gesellschaftsbild aus Unterdrückung, Betrug, Verhöhnung und Untergang erzählt. Philip Miller hat dafür die Musik umgearbeitet und mit Verweisen aufs Original eine gespenstische Musikcollage erfunden. Die Wilis sind Albtraumgeister, und Giselle verschafft sich die Genugtuung, ihren verräterischen Geliebten eigenhändig zu töten. Es ist eine böse Welt bei den Menschen wie den Geistern.

Dada Masilo tanzt, wie in allen Stücken, die Hauptrolle, und das tut sie mit viel Energie, einer fantastischen Bühnenpräsenz und großem Können. Die Frau aus Soweto mit dem rasierten Schädel ist eine Bühnenhexe, von großem Talent und sanftem Irrsinn umspült. Sie weiß genau, was sie will, und sie kriegt es: von sich, ihrer Compagnie und vom Publikum.

2012 folgt das Solo „The Bitter End of Rosemary“, ein Stück voller Trauer und Wut, fulminantes Requiem für Frauen, die ihr Leben nicht länger ertragen können, wahnsinnig werden, verstummen, oder sich umbringen. Ausgangspunkt ist Shakespeares Ophelia. Sie tanzt nackt, schleudert Arme und Beine in irrem Tempo, fällt nieder, springt auf, flucht und kreischt – eine Rachegöttin aus alter Zeit und ferner Welt.

Masilo betont im Gespräch, dass sie nur in Südafrika arbeiten kann, weil es das liberalste Land des Kontinents ist: „Ich tanze gerne topless, und meine Themen sind gewagt – das würde in keinem anderen afrikanischen Land akzeptiert. Und wenn man mich bittet, in Europa zu arbeiten, wo all das möglich wäre, dann sage ich: Meine Wurzeln sind in Afrika, und es ist mir wichtig, mich mit meinen Wurzeln zu verbinden.“

2012 beginnt auch ihre Zusammenarbeit mit William Kent­ridge. Der berühmte Künstler ist ein großer Fan von ihr. Sie passen gut zusammen, gleichen sich aus: sein kühler Intellekt und ihre emotionale Fantasie. Was wie ein Männer-Frauenklischee klingt, erweist sich in der Arbeit als gleichberechtigte, sehr kompatible ­Fusion. „Dancing with Dada“ ist ein kleines, kostbares Stück der Annäherung zweier Künstler, die einander erforschen und be­flügeln. Eine Versuchsanordnung, die als try out nur drei Mal im ­Market Theatre in Johannesburg gezeigt wurde. In einer besonders schönen Szene stehen die beiden nebeneinander, er den Arm, sie das Bein hochstreckend, wie in einem Dialog der Gliedmaßen.

Es folgt eine überbordende Kammeroper von Philip Miller, in der Tanz, Musik, Gesang, Zeichnungen, Filme, Physik, Philosophie, Metronome, Maschinen und ein ständiger Gedankenfluss durcheinanderwirbeln. Das ist Kentridges Auseinander­setzung mit dem Vergehen von Zeit und Leben, Kunst und Erkenntnis. All dies sind Vorbereitungen zur grandiosen Installation „The Refusal of Time“, die der Höhepunkt der documenta 13 werden sollte.

Masilos jüngste Arbeit „The Sacrifice“ wurde beim Impuls-Festival Wien im Juli 2021 als Weltpremiere präsentiert, nach viel Corona-bedingtem Hin und Her, die Einreise betreffend. Es ist ein Riesenerfolg. Ursprünglich sollte Strawinskis „Le sacre du prin­temps“ als Vorlage dienen, aber während der Corona-geschwängerten Probenzeit veränderte sie das Konzept.

Die fabelhaften Tänzer- und Musiker:innen erschaffen eine ganz eigene Welt, eine Dorfgemeinschaft aus Zartheit und Magie, der man mit Freude und Bewunderung zusieht. Aber es zeigt sich auch eine andere Seite – schließlich gibt es ein Opfer!: Die Rhythmen des Botswana Dance, das gemeinsame Vollziehen des ­Rituals, die Trauer der Mutter, die ihr Kind tötet, und die weißen ­Lilien, die es erhöhen – das alles ist souverän und furios getanzt und sehr klug erdacht.

Auf der Rückwand des Theaters sind die Stämme verzweigter Bäume zu sehen, die während der Vorstellung zu wachsen scheinen, die Musik von Tlale Makhene, die vielen Blumen und der Gesang von Ann Masina mit ihrer unbegreiflich vielschichtigen Stimme – all das fügt sich zu einer widerborstigen Hymne auf Leben und Tod.

„Bei ‚The Sacrifice‘ wollte ich neue Fusionen eingehen“, sagt Dada Masilo, „diesmal mit meiner eigenen Tradition. Also lernten wir Botswana Dance, was sehr schwer ist, weil die Rhythmen so verrückt sind. Ich zwinge mich immer wieder, etwas Neues auszuprobieren, damit die Arbeiten nicht selbstgefällig und vorhersehbar werden, und es ist immer schön, etwas Neues zu lernen, gerade wenn es schwierig ist.“

Eigentlich sollte „Sacrifice“ ein düsteres Stück werden, doch angesichts des Covid-Elends, das sich überall ausbreitete, änderte sie die Intention. Nun ist es eine Feier des Lebens. „Meine Lieblingsblumen sind Lilien, und das sind Totenblumen. Ich wollte auch ausdrücken, dass der Tod nicht immer nur schrecklich ist – er kann auch eine Feier des Lebens sein. Ich bin mit dem Ritual getöteter Opfer aufgewachsen, natürlich Tier-, nicht Menschen­opfer. Wir geben damit unseren Ahnen etwas zurück.“

Nach dieser sehr großen Produktion – 11 Tänzer, 4 Musiker – will sie als Nächstes ein Solo für sich selbst erarbeiten. Titel „A Handful of Ashes“. „Das hat mein Ballettlehrer mal gesagt, und es ist mir hängen geblieben.“

Auf die berühmte letzte Frage nach der Definition von Tanz antwortet sie, ohne zu zögern: „Für mich ist Tanz das ­Leben. Ich denke mit meinem Körper. Ich drücke alles mit meinem Körper aus. Der Körper kann nicht lügen.“ Und man glaubt es ihr sofort. //

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