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Heft 06/1991
1. Kindertheater-Festival
Broschur mit 96 Seiten, Format: 220 x 310 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Zeit des Übergangs: Ein Jahr ist es her, seit die ersten Dialoge zwischen den Theaterleitern von »hüben und drüben« stattfanden. Es waren tastende Gespräche, in Berlin und Duisburg und danach an vielen anderen Orten bis nach Ulm und Karlsruhe. Immer waren sie beherrscht von der Angst um den Bestand der Theater in den neuen Bundesländern. Finanznot, Gagengefälle, Verständnislosigkeit der politischen Instanzen, das waren die durchgängigen Motive. Sie sind es noch immer; aber man achtet nun mehr auf die Zeichen des Wandels, auf Nachrichten, daß der Theaterbesuch in vielen Häusern sich bessert, daß die neu eingerichteten Kulturministerien und die langsam funktionierenden Kulturdezernate in den Städten sich um die Probleme der Theater zu kümmern beginnen, daß die ersten Gelder zufließen, Arbeitsgarantien für zwei, drei Jahre gegeben werden und die Todesgrenze vom 30. Juni aufgehoben wird. Man registriert, daß der Gastspielaustausch sich unbürokratisch verstärkt, (Farewell Künstleragentur), daß auch Theater wie Frankfurt/Oder in den Westen reisen können, daß die Spielpläne sich (Was heißt hier Liebe?) westlich ausstatten, Schauspieler auch wieder von Westen nach Osten gehen, daß in der Vorschlagsliste zum diesjährigen Berliner Theatertreffen Aufführungen ostdeutscher Theater den westdeutschen fast die Waage halten, Brücken geschlagen werden wie zwischen Gera und Hof, die an ein gemeinsames Theaterfest denken, daß sich Weimar um gesamtdeutsche Festspiele müht. Es ist zu sehen, daß die Rechtsträgerschaften sich klären, Finanzierungsmodelle sich stabilisieren wie in Sachsen-Anhalt, das über 17 Theater verfügt und die großen Bühnen in Magdeburg, Halle und Dessau nun zur Hälfte, die kleineren Bühnen zu 20 Prozent mitfinanzieren will.
Das sind die Anfänge, noch nicht die Lösung der künftigen Probleme, weil die Kosten für die armen Kommunen trotzdem beträchtlich bleiben, weil die Angleichungen an die finanziellen Niveaus der Bühnen im Westen ja noch bevorstehen. Über die gemeinsame Tarifordnung wird verhandelt. Es gibt Bemühungen, Partnerschaften zwischen west- und ostdeutschen Theatern zu gründen, sich auf neue Aufgaben einzurichten wie etwa im Theater Stendal, das sich in eine Landesbühne Sachsen-Anhalt-Nord verändern will; es gibt deutliche Impulse zu konzeptionellem Arbeiten wie in Parchim, also auch in Theatern, von deren Existenz man im Westen noch kaum etwas weiß. Und wenn man den Beteuerungen glauben darf, so wächst in den Kulturverwaltungen der Wille, die Substanz der Theater zu erhalten, Auflösungen doch weiter hinauszuschieben als zunächst für nötig gehalten wurde. Wenn der Leiter der Kulturabteilung in Mecklenburg/Vorpommern, Reiner Lorenz, heute davon spricht, daß die Auflösung des Theaters in Wismar 1962 der Stadt geschadet hat, daß hier Traditionen abgebrochen worden sind, buchen wir das als eine hoffentlich wirksame Einsicht in die Folgen früherer »Abwicklungen« und nehmen seinen Hinweis darauf, daß »auch Putbus mit seiner eigenen Theatergeschichte wieder ein Kulturträger dieser Region werden muß«, als Zeichen dafür, daß mit neuer Verantwortung auch ein neues Denken eingreift.
Wem sind die Entscheidungen über Bestand und Auflösung von Theatern (und von wem) zu überlassen? Wer kann um sie kämpfen? Und was wären die Kriterien der Schließung? Nur das Geld? - Aus der Geschichte der Bundesrepublik gibt es ein lehrreiches Beispiel. Im Jahre 1950 ging es den westdeutschen Ländern kaum besser als jetzt den neuen fünf im Osten der Republik. Auch damals standen Wohnungsnot, Wiederaufbau, Sanierungen der verschiedensten Art als Aufgabe vor allen. Das Geld war knapp und auch der Theaterbesuch schrumpfte nach der Währungsreform. Damals beschloß der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, die Städtischen Bühnen zu schließen. Das Datum war festgesetzt, es drohte eine Frühform von »Abwicklung«. Was aber geschah? Der Intendant Richard Weichert rief seine Schauspieler; die Schauspieler, voran Martin Held, gingen auf die Straße, sammelten Unterschriften, luden zu Diskussionen, es entstand eine Bewegung in der Stadt. Sie wurde so stark, daß der Magistrat seinen Entschluß zurücknehmen mußte. Ein neuer Intendant, Harry Buckwitz, wurde berufen, sogar der Wiederaufbau des zerstörten Theaters begonnen und - es ging. Nicht die Zahl der Besucher, nicht das knappe Geld waren jetzt mehr ausschlaggebend, sondern der Wille der Bevölkerung, daß die Stadt ein Theater haben müsse, wenn sie sich nicht selbst berauben wolle, einen Mittelpunkt, an dem sich wieder neues, kulturelles Leben in der Stadt entwickeln könne. Die Zukunft gab der Sache recht. Und die Erfahrung war: für den Bestand des Theaters in der Stadt engagieren sich mehr Leute als nur die Theaterbesucher. Dies also wird das Kriterium in solchen Fällen sein: Was die Bevölkerung wirklich will. Sie muß sich zeigen, und da sie aus Wählern besteht, wird man sie nicht überhören.
Freilich wird sie ihr Votum für das Theater anders begründen, als die Kulturpolitiker, die dem Theater wohhlgesonnen sind. Jüngst wurde in der Karlsruher Diskussion unter Teilnehmern von Bonn bis Brandenburg und Dresden einmütig der Erwartung widersprochen, Kunst müsse rentabel sein. Beim Abhören der Begründungen für Theater wurde der breite bekannte Katalog aufgefächert: Kunstförderung sei soziale Investition, Theater Lebenshilfe zur Bewältigung der Lebensprobleme; Traditionsbewahrung, Bildung, Kritik und Widerspruch nannte man seine Funktionen; schließlich kam man auf seine seismographische Fähigkeit und erst zuletzt auf seine eigentliche Mächtigkeit: Bilder zu schaffen, die das in uns und in der Zeit Verborgene in die Anschauung heben. Der Dresdner Schauspielintendant Dieter Görne saß mit auf dem Podium; er war von München angereist, wo sein Theater für vorbildliche Spielplanarbeit in den letzten zehn Jahren mit dem Deutschen Kulturpreis ausgezeichnet worden war. Der Preis bezeichnete den Standard, den man in Ost und West von Theaterarbeit fordern muß. Es kann nicht angehen, daß die Theater der neuen Bundesländer, nur weil sie nach besseren Einnahmen schielen müssen und Nachlauf-Spielpläne machen, hinter diesem Konsens zurückbleiben. Theater sind leitende Instrumente, wie das Dresdner Beispiel (und nicht nur es) zeigt, keine nachlaufenden. In den Kulturämtern der Länder und Städte muß dies zum Kern des Wissens für das künftige Handeln gehören. Darum verteidigen die Theaterleute so hartnäckig den vorhandenen Bestand an Theatern.
Noch ist die Zeit des Übergangs. In Berlin wird nach Ivan Nagels Gutachten derzeit gestritten, wie und mit welchen Aufgaben die Theater zu erhalten sind. Noch hat Thomas Langhoff seinen Vertrag im Deutschen Theater nicht unterschrieben, noch gibt es keine Lösung für die Volksbühnen in Ost- und West-Berlin, (was vorgeschlagen wird, ist eher diffus und verwirrend). Was wird aus dem Brecht-Theater, da Manfred Wekwerth nun nach Aufforderung des Berliner Kultursenators seine Intendanz freigibt?
Wenn Hetterle wegen Alters geht, wer wird sein Nachfolger am Maxim Gorki Theater? Wer übernimmt in Weimar das Nationaltheater, wenn nicht Wendrich abermals? Personalfragen überall und wenig Hilfe in Sicht. Wir sehen westdeutsche Regisseure und Intendanten in Theater der neuen Länder als Direktoren einrücken. Preuß in Frankfurt/Oder, Muhr in Parchim, Fabricius in Eisenach, Tauber in Erfurt, Krüger in Schwerin, August in Stendal, Bayer in Stralsund, Pachl in Rudolstadt, Brandt in Zwickau, Huonder in Potsdam, jetzt Klaus Froboese als Leiter des Musiktheaters in Halle: Nirgendwo eine erste, sondern eher »brave« Lösungen, die den Mut zum Risiko insofern in sich tragen, als ganz offen ist, ob es tragfähige Entscheidungen sind. Ex occidente lux? Vorsicht. Der Westen ist kein Patent. Und das Theater in den neuen Ländern kein Patient. Dazu ist es zu stark, Leistung und Verdienst sind - siehe Christoph Heins Rede zum Dresdner Preis und die Vorschläge für das Berliner Theatertreffen - evident. Hier wird keine Treuhand, wohl aber Aufmerksamkeit benötigt.
Günther Rühle
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Entrée | Seite 1 |
Zeit des Übergangsvon Günther Rühle | |
Autoren | Seite 2 |
Impressum | Seite 3 |
Kinder- und Jugendtheater | Seite 4 |
Nahe den Kindern und der KindheitEindrücke vom »1. deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival«von Silvia Brendenal | |
Gespräch | Seite 10 |
Dem Gefühl vertrauenvon Ray Nusselein und Klaus-P. Wiegang | |
Inszenierungen | Seite 12 |
Hoher Anspruch - wenig ResonanzZwei Inszenierungen an den Uckermärkischen Bühnenvon Volker Trauth | |
Gespräch | Seite 12 |
Chancen nicht verspielenvon Volker Trauth und Hinrich Enderlein | |
Uraufführungen | Seite 16 |
Schlachtszenen am Ernst-Reuter-PlatzReiner Groß' »Nacht« und »Nördliche Stadt« von Alexander Lang am Schiller Theater uraufgeführtvon Martin Linzer | |
Inszenierung | |
Sieben Häute hat die Zwiebel»Weisman und Rotgesicht« von George Tahori am Maxim Gorki Theater Berlinvon Ingeborg Pietzsch | Seite 18 |
Der eingeholte WegweiserAm Berliner Ensemble: Schwierigkeiten mit dem »Guten Menschen«von Friedrich Dieckmann | Seite 20 |
Schauspiel | |
Partielle Partituren für eine PassionDeutsches Schauspielhaus Hamburg und Schiller Theater Berlin: »Tod und Teufel« von Peter Turrinivon Jochen Gleiß | Seite 23 |
Tote Hose?Volksbühne Berlin: »Wann haben Sie zuletzt ... Ihre Hosen gesehen?« von Galton / Antrobusvon Martin Linzer | Seite 24 |
Elf Jahre späterDresden / Staatsschauspiel: »Der Tanz auf dem Birnbaum« von Jordan Raditschkowvon Joachim Knauth | Seite 24 |
Nomen est omenDeutsches Nationaltheater Weimar: »Das Mißverständnis« von Camusvon Rainer Junghanß | Seite 25 |
Erfolgreiches DebütMülheim / Theater an der Ruhr: »Die Strafkolonie« nach Kafkavon Heinz-Norbert Jocks | Seite 26 |
Hin - zu sich selbstBerlin / Renaissancetheater: »Die Katze auf den heißen Blechdach« von Tennesse Williamsvon Ingeborg Pietzsch | Seite 26 |
Israelisches Zeitstück mit RealitätsverlustenStaatstheater Wiesbaden: »Jerusalem-Syndrom« von Joshua Sobolvon Leopold Schuwerak | Seite 27 |
»Zwei Schwestern« aus TemesvarZum Gastspiel in Karlsruhevon Dieter Kranz | Seite 28 |
Inszenierung | Seite 30 |
Eine Reise nach WienWien / Burgtheater: Szene aus George Taboris »Baby-Ion-Blues«, inszeniert vom Autorvon Ingeborg Pietzsch | |
Figurentheater | Seite 34 |
ErlesenesEindrücke von der Internationalen Festwoche des Figurentheaters in Stuttgartvon Silvia Brendenal | |
Puppenspiel | Seite 36 |
In Sachen PuppenspielkunstGesprächvon Silvia Brendenal und Konstanza Kavrakova-Lorenz | |
Oper | |
Raum wird ZeitHamburger Staatsoper: »Parsifal« von Richard Wagnervon Nora Eckert | Seite 40 |
Ein großer Opernahend!Deutsches Nationaltheater Weimar: »Turandot« von Puccinivon Klaus Thiel | Seite 41 |
HochstapelndVolkstheater Rostock: »Rigoletto« von Giuseppe Verdivon Uwe Hübner | Seite 42 |
Verdi-SoundLandesbühnen Sachsen-Anhalt Lutherstadt Eisleben: »Rigoletto« von Verdivon Wolfgang Lange | Seite 42 |
Essay | Seite 44 |
Abstraktion und EinfühlungÜber das Bildertheater des Achim Freyervon Nora Eckert | |
Musiktheater | Seite 49 |
Musiktheater im Zeichen von Theodor W. Adorno?von Gerd Rienäcker | |
Tanz | |
Neuer LeistungswilleDresden / Staatsoper: Ballettabendvon Werner Gommlich | Seite 51 |
Familien-MozartkugelLeipziger Schauspiel / Tanztheater (Neue Szene): McMozart's von Irina Pauls / W. A. Mozartvon Marina Dafova | Seite 52 |
Heiter bis deftigStuttgarter Ballett: »Junge Choreographen»von Volkmar Draeger | Seite 54 |
»Dialoge - Ein Kammertanzabend«Berliner Choreographieeleven erobern Leipzigvon Ralf Stabel | Seite 54 |
Gespräch mit Daniela Kurzvon Volkmar Draeger und Daniela Kurz | Seite 54 |
Trance oder Wirklichkeit?Städtische Bühnen Erfurt: Ballettabend 91 - »Crash and Love« und »Die Rückkehr« von Vogel bzw. Jarre / Unger / Trittmacher-Kochvon Dietmar Fritzsche | Seite 55 |
»Dansa València«Festival des modernen spanischen Tanzesvon Gisela Ullrich | Seite 56 |
Porträt | Seite 58 |
Neues versuchenDie Tänzerin Carola Schwabvon Genia Bleier | |
Freie Gruppen | Seite 62 |
Tanz-FantasienFreie Gruppen erproben Tanztheatervon Ralf Stabel | |
Gespräch | Seite 64 |
Qualität durch ExperimentGespräch mit Nele Hertlingvon Nele Hertling und Dietmar Fritzsche | |
Off-Theater | Seite 66 |
Zwiespalt off stagevon Christiane Lange | |
Stück | Seite 70 |
»Karate-Billi kehrt zurück«von Klaus Pohl | |
Stücke | Seite 72 |
Go, Ossi, go!Ostdeutsche in westdeutschen Stücken - zum Beispiel »Karate-Billi kehrt zurück«von Martin Linzer | |
Magazin | |
Werner Knoedgen: »Das unmögliche Theater«Zur Phänomenologie des Figurentheaters. Verlag Urachhaus Stuttgart, 1990, Edition Bühnenkunst Band 2., 137 S., 32,- DMvon Gerd Taube | Seite 88 |
Fritz Hennenberg: »Gesang & Gesichter«Roswitha Trexler in Begegnungen mit Musikern und Musik Henschel Verlag Berlin 1990, 172 Seiten, zahlr. Fotos und Abb., 29,50 DMvon Uwe Hübner | Seite 88 |
Ein Almanach der Musikbühne: »Oper heute 12«Herausgegeben von Horst Seeger und Wolfgang Lange Henschel Verlag Berlin 1990, 300 S., zahlr. Fotos und Abb.von Uwe Hübner | Seite 89 |
Spielpläne | Seite 90 |
Juni 1991 | |
Premieren | Seite 94 |
Juni 1991 | |
Besetzungen | Seite 95 |
Ur- und Erstaufführungen |
Genia Bleier
Silvia Brendenal
Marina Dafova
Friedrich Dieckmann
Volkmar Draeger
Nora Eckert
Hinrich Enderlein
Dietmar Fritzsche
Jochen Gleiß
Werner Gommlich
Nele Hertling
Uwe Hübner
Heinz-Norbert Jocks
Rainer Junghanß
Konstanza Kavrakova-Lorenz
Joachim Knauth
Dieter Kranz
Daniela Kurz
Christiane Lange
Wolfgang Lange
Martin Linzer
Ray Nusselein
Ingeborg Pietzsch
Klaus Pohl
Gerd Rienäcker
Günther Rühle
Leopold Schuwerak
Ralf Stabel
Gerd Taube
Klaus Thiel
Volker Trauth
Gisela Ullrich
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