Heft 01/1999
Ausbildung bei Jacques Lecoq
Broschur mit 96 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
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Fassbinder, Walser, Bubis und die neue Normalität: Als Roman Herzog das schöne deutsche Wort "unverkrampft" den politischen Vokabeln hinzufügte, war die Welt wohl noch in Ordnung. Niemand nahm daran Anstoß. Die neue "Normalität" hat die Nation jedoch in einen Debatten-Taumel versetzt, in dem schon verschwundenes Vokabular wieder zum Vorschein kommt. "Instrumentalisierung" - ob mit oder ohne Keule -, das ist ein selbst schon instrumentalisierender Begriff, der darauf hinweisen will, daß bestimmte Argumente ausschließlich für bestimmte Zwecke eingesetzt werden.
Als das Maxim Gorki Theater eine Aufführung von Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" ankündigte, wurde sofort auf Instrumentalisierung erkannt. Es könne da nur um Antisemitismus gehen. Klar zu erkennen in der Figur des "reichen Juden", von dem Fassbinder, über den sofort nach der Veröffentlichung 1975 erhobenen Vorwurf des Antisemitismus erschrocken, in einem Offenen Brief schrieb: Er "ist reich, ist Häusermakler, trägt dazu bei, die Städte zuungunsten der Menschen zu verändern; er führt aber letztlich doch nur Dinge aus, die von anderen zwar konzipiert wurden, aber deren Verwirklichung man konsequent einem überläßt, der durch Tabuisierung unangreifbar scheint". Zehn Jahre später, Frankfurt war als Konzept Mainhattan längst auf den Weg gebracht, wurde eine Aufführung dieses Stücks durch Proteste verhindert. Eine sogenannte "Wiederholungsprobe" vor 130 Kritikern und Beschäftigten des Theaters wurde schließlich als Uraufführung "im juristischen Sinn" anerkannt. Die Mehrheit der deutschen und internationalen Presse wertete damals Stück und Aufführung als nicht antisemitisch. Gerade bringt der Frankfurter Verlag der Autoren eine Neuausgabe des Stücks mit dazugehöriger Dokumentation heraus: "Fortsetzung offen."
Es ist zu bedauern, daß das Maxim Gorki T heater sich so schnell hat bedrängen lassen, dieses Vorhaben wieder aufzugeben. Auch wenn es nicht der beste Theatertext Fassbinders ist, und die Absicht, ein in Deutschland ungespieltes Stück für die Bühne endlich zu enttabuisieren, nur die vage Vermutung zuläßt, man müsse das jetzt am Beginn der Berliner Republik mal probieren - es bleibt ein Vorgang, der eben keine Normalität erkennen läßt. Und "unverkrampft" ist das schon gar nicht, denn ein Theater, das sich solchen Zwängen beugen muß, wird gerade dadurch "instrumentalisierbar".
Wenn das Stück durch ein soeben vereinbartes Gastspiel aus Israel dann doch noch auf diese Berliner Bühne gelangt, wird auch darüber wieder debattiert werden. Nicht allein über Tabus und Provokationen, sondern auch darüber, daß der Weg in eine noch unbekannte "Normalität", wie auch der vorläufige Ausgang des Walset-Bubis-Streits zeigt, nur über solche Debatten führt. "Normal" ist ja nicht synonym mit Verdrängung und Leugnung, wie es die Vorwürfe gegen Walser auch als Reflex auf dieses Schröder-Wort beinhalten. Normal ist, auch über falsche Instrumentalisierungen zu sprechen, auch mit und auf dem Theater.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 1 |
Fassbinder, Walser, Bubis und die neue Normalität | |
Gespräch | Seite 4 |
Marat in der VolksschwimmhalleMichael W. Schlicht, Intendant des Rostocker Volkstheaters, im Gespräch mit Nikolaus Merckvon Nikolaus Merck und Michael W. Schlicht | |
Kommentar | Seite 8 |
Hype aus der TiefkühltruheFrank Castorf inszeniert Tim Staffels "Terrordrom"von Nikolaus Merck | |
Ausbildung | Seite 11 |
Die Reise selbst ist das Zieldie Theaterschule von Jaques Lecoq in Parisvon Barbara Engelhardt | |
Essay | Seite 16 |
Der ModeratorDie Kanzlerfigur Gerhard Schrödersvon Thomas Oberender | |
Porträt | Seite 20 |
Ikarus will fliegenDas Theater des Alexander Hawemannvon Axel Schalk | |
Dramaturgie | Seite 24 |
Immer noch und immer wieder: Anwalt des Textesvon Ralf Waldschmidt | |
Heiner Müller | |
Der zweikammrige Geistvon Gautam Dasgupta | Seite 28 |
[Ich sitze auf einem Balkon...](Aus dem Nachlaß)von Heiner Müller | Seite 31 |
Stadttheaterreport | Seite 33 |
Ende einer Ära, die (noch) gar keine istMainzvon Sabine Heymann | |
Kindertheater | Seite 36 |
Träume in der WirklichkeitDie Nürmberger Theater "Mummpitz" und "Pfütze"von Tristan Berger | |
Musiktheater | Seite 40 |
Wozu musikalisches Theater?Aspekte eines Geschichts- und Zeitphänomensvon Stefan Amzoll | |
Ausland | Seite 44 |
Mitteleuropa auf dem BalkanMelancholische Gedanken zu Festivals in Belgrad und Ljubljanavon Heinz Kluncker | |
Auftritt | |
Zweimal "Familiengeschichten" von Biljana SrblanovicBelgrad / Hamburgvon Heinz Kluncker | Seite 48 |
Kriegstheater zu Gast in StuttgartSarajevo / Stuttgartvon Otto Paul Burkhardt | Seite 49 |
Roberto Ciulli collagiert "Faust"Mülheimvon Ulrich Deuter | Seite 51 |
Sarah Kanes "Gesäubert", erstaufgeführt von Peter ZadekHamburgvon Stefan Grund | Seite 52 |
Kleist-Festtage mit drei PremierenFrankfurt/Odervon Carl Ceiss | Seite 53 |
50 Jahre sorbisches BerufstheaterBautzenvon Dietrich Scholze | Seite 55 |
Kampfnagel eröffnet mit "Dumb Type"Hamburgvon Matthias von Hartz | Seite 56 |
Bukowski und Hübner für KinderBerlinvon Ingeborg Pietzsch | Seite 57 |
Strauss im MecklenburgischenRostock / Schwerinvon Nora Eckert | Seite 58 |
Kusej inszeniert Luigi NonoStuttgartvon Nora Eckert | Seite 60 |
Bach bei der euro-sceneLeipzigvon Dieter Zumpe | Seite 61 |
Jahresregister | Seite 62 |
1998 | |
Premierenkalender | Seite 66 |
Januar und Februar | |
Stück | |
Irvine Welshvon Thomas Irmer | Seite 70 |
YOU' LL HAVE HAD YOUR HOLE(Du hast fertig) Aus dem Englischen von Peter Torbergvon Irvine Welsh | Seite 71 |
Magazin | |
Das ist unser Tegelmarsch, unser Leben ist im ArschDie freie Gruppe AufBruch in der JVA Tegelvon Tom Mustroph | Seite 86 |
Die Frauen, der Knast und das Theatervon Saskia Draxler | Seite 86 |
Zur Neueröffnung des Dresdner "Societaetstheaters" -zweiter Startvon Cornelia Oehme | Seite 87 |
Schattensprüngevon Annette Braatz | Seite 88 |
Zehntes Frankfurter Autorenforum für Kinder- und Jugendtheatervon Thomas Irmer | Seite 88 |
Und die Musik spielt dazu?von Barbara Engelhardt | Seite 89 |
Manövriermasse Landesbühnen?von Otto Paul Burkhardt | Seite 89 |
Expeditionen in die Provinzvon Stefan Mahlke | Seite 90 |
BücherHans-Dieter Schütt: Inge Keller / Alles aufs Speil gesetzt. Verlag Das Neue Berlin 1998, 256 S.von Martin Linzer | Seite 91 |
BücherStefan Koslowski: Stadttheater contra Schaubuden. Zur Basler Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts. Chronos, Zürich 1998, 271 S.von Mirko Theus | Seite 91 |
BücherReiner Zimmermann: Giacomo Meyerbeer. Eine Biographie nach Dokumenten. Parthas Verlag Berlin 1998, geb. m. SU, 376 S., Abb.von Jens Knorr | Seite 91 |
BücherRenate Schostack: Hinter Wahnfrieds Mauern. Gertrud Wagner - Ein Leben. Hoffmann und Campe Hamburg 1998, geb., 448 S.von Jens Knorr | Seite 92 |
BücherAstrid Varnay: Hab mir's gelobt. 55 Jahre in fünf Akten und einem Prolog. Memoiren einer Opernkarriere, Henschelverlag 496 S.von Nora Eckert | Seite 92 |
BücherMartha Mödl: So war mein Weg. Gespräche mit Thomas Voigt. Berlin 1998, Parthas-Verlag. 220 S., Abb.von Nora Eckert | Seite 92 |
Meldungen | Seite 93 |
Kolumne | Seite 94 |
Sparen bis zur Wendevon Martin Linzer | |
Autoren | Seite 96 |
Impressum | Seite 96 |
Stefan Amzoll
Tristan Berger
Annette Braatz
Otto Paul Burkhardt
Carl Ceiss
Gautam Dasgupta
Ulrich Deuter
Saskia Draxler
Nora Eckert
Barbara Engelhardt
Stefan Grund
Sabine Heymann
Thomas Irmer
Heinz Kluncker
Jens Knorr
Martin Linzer
Stefan Mahlke
Nikolaus Merck
Heiner Müller
Tom Mustroph
Thomas Oberender
Cornelia Oehme
Ingeborg Pietzsch
Axel Schalk
Michael W. Schlicht
Dietrich Scholze
Mirko Theus
Matthias von Hartz
Ralf Waldschmidt
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