Heft 09/2005
Festivalschau
Berlin, Leipzig, Stuttgart, Wien...
Broschur mit 107 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Richtung und Herkunft Deutschland steht vor einer Richtungswahl. Heißt es jedenfalls. Vernimmt man solche Worte, die derzeit Politiker der verschiedensten Parteiungen zum Besten geben, sollte einem wohl ein welthistorischer Schauer über den Rücken laufen. Dem ist aber nicht so. Egal, wie die Wahl- wenn sie denn stattfindet - ausgehen mag, dass der viel beschworene Ruck durch die Gesellschaft geht oder auch nur eine grundsätzlich andere Gangart angeschlagen wird, daran glaubt tatsächlich niemand. Der Regisseur Dirk Cieslak meint, bei den Wahlen werde ohnehin über keine Richtung, sondern bloß über Geschmacksfragen entschieden, und Josef Bierbichler fügt hinzu, dass die Richtung sowieso von den unsichtbaren Zügeln des Herrn Hundt vorgegeben werde.
Über der großen Frage des "Wohin?", aufdie niemand plausible Antworten zu wissen scheint, werden jedoch im politischen Diskurs die Fragen des "Woher?" und des "Wo stehen wir jetzt?" gerne vergessen. Im TdZ-Gespräch erklärt Büchner-Preisträger Durs Grünbein solchen Erinnerungsverlust als Folge der Globalisierung, die das Heimische, die Herkunft zum Verschwinden bringe. "Das Haus ist vergangen", wie Adorno sagt. Ob und mit welchen Werten das Haus doch noch gesichert werden könnte, darüber hat TdZ mit dem Regisseur Sebastian Baumgarten und dem CDU-Kulturpolitiker Christoph Stölzl ein Streitgespräch geführt. Während Stölzl die Versenkung in die Tradition als Teil unserer Humanität sieht, glaubt Baumgarten aus ihr keine Antworten mehr gewinnen zu können. Zu schnell gehe im Zeitalter der Globalisierung der Wertewechsel vonstatten.
Nicht nur die Politik, auch die junge Dramatik ist stets auf der Suche nach einer Richtung. Nina Peters benennt in ihrem Essay Tendenzen, die sich an den Ur- und Erstaufführungen der deutschsprachigen Bühnen in der kommenden Spielzeit ablesen lassen. Dass den Autoren neben den neuralgischen Punkten der Gesellschaft - Krieg und Arbeitslosigkeit - auch der Umgang mit der Herkunft zum Thema werden kann, zeigt die überraschende Renaissance des Volksstücks, in dem der Wert "Heimat" jedoch nur als beschädigter auftauchen kann.
Eine beschädigte Gesellschaft gilt es auch in Botho Strauß' neuem Stück "Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte" zu besichtigen, das in dieser Ausgabe von TdZ erstveröffentlicht und am 16. September in Zürich von Matthias Hartmann uraufgeführt wird. Einer verslumten Unterstadt steht bei Strauß das Projekt einer sterilen "gated community" gegenüber, in das privilegierte Wohlhabende ihre Zuflucht nehmen. Das Ehepaar Astel und Kiro, die Architekten dieses Projektes, muss jedoch erkennen, dass sich seine erkaltete, entfremdete Liebe nur über die Erfahrung des Dunklen, das die Unterstadt repräsentiert, neu beleben kann.
Das TdZ-lnsert widmet sich in diesem Monat dem französischen Regietheater, das sich unter gänzlich anderen Bedingungen als das deutsche behaupten muss. Wo durch geringe Subventionierung buchstäblich der Spielraum schrumpft, sind die französischen Regisseure herausgefordert, sich eigene Spielräume zu schaffen.
Fragen nach Richtung und Herkunft wurden den Sommer über nicht nur in der Politik, sondern glücklicherweise auch im Theater auf unterschiedlichste Weise gestellt: auf den Festivals in Stuttgart, Salzburg, Leipzig und anderswo. Von letztgültigen Antworten ist nicht zu berichten. Zum Glück.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Insert | Seite 0 |
Spielräume – SpielartenFranzösisches Theater an der Bruchstelle zwischen Text und Performace | |
Editorial | Seite 1 |
Richtung und Herkunft | |
Essay | Seite 6 |
Wir sind kein VolkÜber Tendenzen der Ur- und deutschsprachigen Erstaufführungen in der neuen Spielzeitvon Nina Peters | |
Gespräch | Seite 12 |
Im SinkflugDer Schriftsteller Durs Grünbein im Gesprächvon Frank M. Raddatz | |
Vor den Wahlen | |
Wozu Wahlen? | Seite 18 |
Wahl von Josef Bierbichler | Seite 19 |
Haltungsschäden von Dirk Cieslak | Seite 21 |
Wertedebatte | Seite 22 |
Wozu Werte?Der Regisseur Sebastian Baumgarten und der CDU-Politiker Christoph Stölzl diskutierenvon Nikolaus Merck und Dirk Pilz | |
Festival | |
Ankern verboten!Theater der Welt in Stuttgart hat „Heimweh nach der Zukunft“von Otto Paul Burkhardt | Seite 27 |
Vorsicht! Freiheit im QuadratDie 13. Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheimvon Ralf-Carl Langhals | Seite 32 |
Hart, aber herzlichDie Wiener Festwochen zeigen ein intellektuell sperriges Programm und müde alte Männervon Karin Cerny | Seite 36 |
Der Liebestrank aus der ThermosflascheMarthaler & Viebrock deuten „Tristan und Isolde“ in Bayreuth als antitoxisches Lehrstückvon Friedrich Dieckmann | Seite 40 |
Postkoloniale AusdrucksmöglichkeitenDas 4. Festival InTransit im Berliner Haus der Kulturen der Weltvon Elisabeth Wellershaus | Seite 44 |
Einstürzende AltbautenDas Leipziger Festival WESTEND 05 beackert das Feld von Kapitalismus und Demokratievon Christian Horn | Seite 48 |
Bedrückender KleinbürgermiefDie Ruhrfestspiele erweisen sich als ein Ärgernis der Saisonvon Jörg Buddenberg | Seite 50 |
Barbarische OberflächenDas Young Directors Project der Salzburger Festspiele sucht nach Definitionen für Barbareivon Ralf-Carl Langhals | Seite 52 |
Kolumne | Seite 57 |
Bühne oder Plattform?von Wolfgang Engler | |
Stück | |
Zeremoniell des AbstandhaltensÜber Botho Strauß' „Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte“von Thomas Oberender | Seite 58 |
„Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte“von Botho Strauß | Seite 61 |
Magazin | |
Autorentheatertage vom 4. bis 17. Juni 2005 am Thalia Theater Hamburgvon Hella Kemper | Seite 83 |
Contemporary Drama Festival in Budapest, 21. bis 28. April 2005von Nina Peters | Seite 84 |
Klaus Baschleben verstorbenvon Martin Linzer | Seite 86 |
Zum Tod von Konstanza Kawrakowa-Lorenzvon Silvia Brendenal | Seite 86 |
Bücher/DVDsTheater fürs 21. Jahrhundert. Hrsg von Heinz Ludwig Arnold in Zusammenarbeit mit Christian Dawidowskivon Dirk Pilz | Seite 87 |
Bücher/DVDsCorinne Holtz: Ruth Berghaus. Ein Porträtvon Wolfgang Behrens | Seite 88 |
Bücher/DVDsJoachim Werner Preuß: Theater im ost-/westpolitischen Umfeldvon Martin Linzer | Seite 88 |
Bücher/DVDsRoswitha Schieb: Peter Stein. Ein Portraitvon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 89 |
Bücher/DVDs"Ausländer raus! Schlingensiefs Container". | Seite 90 |
Meldungen | Seite 90 |
Premierenkalender | Seite 92 |
September 2005 | |
Impressum | Seite 95 |
Vorschau | Seite 96 |
Oktober 2005 | |
Kommentar | Seite 96 |
Wir wollen doch nur spielenvon Dirk Pilz |
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