Eine kurze Geschichte des Theater Erlangen

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Nichts ist so beständig wie der Wandel. Diese Erkenntnis Heraklits trifft nicht nur auf die Theaterkunst an sich, sondern auch auf die Geschichte des Theater Erlangen zu. Denn gewandelt und weiterentwickelt hat es sich immer wieder – in der Form, der technischen Ausstattung, der Gestaltung und der inhaltlichen Ausrichtung. Selbst seinen Namen änderte das Theater über die Jahrhunderte und spiegelte damit das jeweilige Selbstverständnis der Theatermacher und des Publikums wider.

Das Markgrafentheater in Erlangen, Foto Jochen Quast
Das Markgrafentheater in Erlangen, Foto Jochen Quast

Die Eröffnung und die Markgrafenzeit

Alles nahm seinen Anfang, als der Markgraf Georg Wilhelm von Brandenburg-Bayreuth mit seiner theaterbegeisterten Gattin Sophia das »Hochfürstliche Opern- und Komödienhaus« erbaute und am 10. Januar 1719 mit der Oper »Argenis und Poliarchus« eröffnete. Das Theater, nördlich des Schlosses mit dem nach Westen anschließenden Redoutenhaus und dem Marstall städtebaulich eingebunden, blieb zunächst dem höfischen Publikum vorbehalten, einfache Bürger nahmen stattdessen Vorlieb mit den u. a. in Gasthäusern auftretenden Wandertruppen.

Ein neues Kapitel der Erlanger Theatergeschichte schlug nur wenige Jahrzehnte später die mit Friedrich III. verheiratete, künstlerisch vielfältig begabte Markgräfin Wilhelmine auf. Auf ihr Geheiß wurde der venezianische Theatermaler und -architekt Giovanni Paolo Gaspari engagiert, um den modernen Zeitgeist des Rokoko im Theater zu etablieren. In nur einem Jahr wurden seine Pläne umgesetzt und der Innenraum so gestaltet, wie wir ihn heute kennen: Der Baldachin mit den beiden weiblichen Hermen rahmt die fürstliche Mittelloge ein, ionische Pilaster und plastische Engelsköpfchen dekorieren die Proszeniumslogen. Die nur wenigen architektonischen und plastischen Eingriffe lenken den Fokus vor allem auf die blau-gelbgoldene Farbgebung. Insgesamt nimmt sich der Zuschauerraum eher bescheiden aus, das Markgrafenpaar tritt mehr als Liebhaber der Kunst denn als fürstliche Herrschaft in Erscheinung.

1744 konnte das »berühmte neue Theatro« mit dem Singspiel »Sirace« neu eröffnet werden; Wilhelmine selbst dirigierte und inszenierte viele Aufführungen. Für die Erlanger Bürger öffneten sich die Tore des Theaters erst nach dem Tode Wilhelmines und zu Lebzeiten der zweiten Ehefrau Friedrichs, Sophie Caroline. Sie frönte ihrem Faible für Mozart, ermöglichte aber auch Gastspiele mit zeitgenössischer Dramatik, wie etwa Lessings »Minna von Barnhelm«, Goethes »Clavigo« oder, nur ein Jahr nach dessen Uraufführung in Mannheim, 1783 Schillers »Räuber«.

Zwischen-Zeiten: Das Königliche Universitätsspielhaus und Erlanger Stadttheater

Mit dem Ende der Markgrafenzeit fiel das Theater an das Königreich Bayern. Ludwig I. vermachte es 1818 neben anderen Gebäuden der Universität. Dem »Königlichen Universitätsschauspielhaus«, einmalig in der deutschen Universitätsgeschichte, war jedoch kein Erfolg beschieden. Immer wieder fehlte es an Geld für dringend nötige Ausstattungen, oft war es bitterkalt im Zuschauerraum. Da auch das Publikum weitgehend ausblieb, verkaufte die Universität das Theater 1838 an die Stadt, die das »Erlanger Stadttheater« mit Daniel-François-Esprit Aubers Oper »Die Stumme von Portici« wiedereröffnete. Regionale Theatergesellschaften aus Nürnberg, Würzburg und Bamberg sowie die Hoftheater aus Darmstadt, Gera und München bespielten fortan das Haus. Ein Verlustgeschäft, standen die Besucher doch nicht gerade Schlange und die üppige Pacht für die Nutzung des Hauses tat ein Übriges, um die Künstler nicht allzu lange in der Markgrafenstadt zu halten.

Die Anfänge des gVe und das Theater im beginnenden 20. Jahrhundert

Die Wende brachte der 1876 gegründete »Gemeinnützige Theater- und Konzertverein Erlangen« (gVe). Im Auftrag der Stadt wurde er Betreiber des Theaters und sorgte dank seiner tatkräftigen Mitglieder für den Gastspieleinkauf und dringend nötige bauliche Veränderungen. Nun ging es aufwärts: Mit einer neuen Bestuhlung, Gasbeleuchtung, Dampfheizung, dem Bau eines Dekorationshauses, dem Tieferlegen des Orchesters sowie der Erhöhung des Daches für neue Züge wurde das Theater modernisiert. Selbst große Opern wie die »Meistersinger von Nürnberg« zum 25-jährigen Bestehen des Vereins 1901 konnten nun realisiert werden.

Die Stadttheater Nürnberg und Bamberg sowie das Intime Theater Nürnberg gaben sich die Klinke in die Hand und die eingeführten Abonnements fanden immer mehr Zuspruch. Auch die Stadt leistete nun ihren Beitrag: Nach dem Ersten Weltkrieg bezuschusste sie die Vorstellungen und stellte das spielfertige Haus zur Verfügung. Das Theater wandelte sich zum echten Bürgertheater, denn feste Angestellte gab es damals nicht: Der gVe-Schatzmeister saß an der Theaterkasse, in der Beleuchterloge ein Abgesandter des Elektrizitätswerks, an den Zügen die Erlanger Zimmermeister und Soldaten der Garnison traten als Statisten auf. In den 1920er und -30er Jahren waren auch die großen Bühnen in Erlangen zu sehen, die Staatsoper Berlin oder das Berliner Große Schauspielhaus.

Die NS- und Nachkriegszeit

Nach der Machtübernahme der NSDAP und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde der gVe 1934 zunächst in »Deutsche Bühne, Ortsgruppe Erlangen«, 1936 in »Nationalsozialistische Kulturgemeinde, Ortsverband Erlangen« umbenannt. 1937 löste sich der Verein auf und die Programmatik des Theaters wurde in die NS-Organisation »Kraft durch Freude« überführt. Nur sechs Monate nach Kriegsende erfolgte die Wiedergründung und die Stadt übergab das Theater wieder an den gVe. Dieser verpachtete das nun erstmals »Markgrafentheater« genannte Haus an die Theaterunternehmer Albert Doerner und Elly Probst. Es herrschte Aufbruchsstimmung: »Urfaust«, »Electra«, »Hamlet« und viele Produktionen mehr wurden vom ersten eigenen Erlanger Ensemble in Szene gesetzt. 1948 machte die Währungsreform dem umtriebigen Team den Garaus, der gVe setzte den Spielbetrieb wieder in Eigenregie mit Gastspielen aus Nürnberg und der großen Münchner Bühnen fort.

Auch die »Erlanger Volksbühne«, die in den 1920er Jahren auf den Plan getreten war, wurde nach dem Krieg vom Gewerkschaftsbund wiederbegründet und bestritt regelmäßig Vorstellungen ab 1954.

Die 1950er Jahre: Umbau und Wiedereröffnung

Völlig unerwartet stand das Theater 1956 vor dem Abgrund, wegen Baufälligkeit musste der Spielbetrieb quasi von heute auf morgen eingestellt werden. Nach heftigen, öffentlich geführten Diskussionen entschied sich der Stadtrat für die Generalsanierung unter teilweiser Erhaltung des wertvollen Zuschauerraums. Das Vorderhaus mit Foyer, Gängen und Garderobe wurde dabei komplett neu im Stile der fünfziger Jahre gestaltet und der Innenraum behutsam instand gesetzt. So wurden etwa Geschosse erhöht, das Bestuhlungspodest in Richtung Bühnen geneigt und die Säulen, die auch heute noch den Zuschauern in den Rängen die Sicht versperren, im Maß vereinheitlicht. Aus dem ehemaligen Kulissenhaus entstand der heutige Garderobentrakt, die Bühnentechnik erfuhr eine Modernisierung. Die Zuschauer mussten während der dreijährigen Umbauphase auf ihr Theatervergnügen nicht verzichten und wurden in Bussen nach Nürnberg und Fürth gefahren.

Am 4. Januar 1960 war es endlich soweit: Die Compagnia d´Opera Italiana di Milano eröffnete mit Verdis »La Traviata« das neugestaltete Markgrafentheater. In den folgenden dreißig Jahren leitete der gVe, abermals in städtischem Auftrag, die Geschicke des Theaters und organisierte renommierte Gastspiele aus dem In- und Ausland, u. a. vom Burgtheater und dem Theater in der Josefstadt Wien, dem Bayerischen Staatsschauspiel München, der Bühne 64 Zürich und dem Schweizer Tournee-Theater Basel. Auch die »Internationalen Theaterwochen der Studentenbühnen«, 1949 von der Studiobühne initiiert, spielten im Markgrafentheater und sorgten bis 1968 für großes internationales Renommee.

Der erste Erlanger Theaterleiter: Manfred Neu

Als Gegenpol zum eher konservativ geprägten Markgrafentheater entstand 1974 aus der Studentenbewegung das »Theater in der Garage« unter Manfred Neu. Die unkonventionellen Theatermacher produzierten mit einem eigenen kleinen Ensemble zeitgenössische Stücke und gaben nationalen und internationalen freien Theatergruppen ein Forum. In der Theaterkneipe (zu Beginn nur durch einen Vorhang von der »Bühne« getrennt) wurde u. a. Woody Allens »Gott« höchst kontrovers und in über sechzig Vorstellungen überaus erfolgreich aufgeführt, in der Schiffstraße fuhren auf eigens geschaffenen Kanälen Gondeln bei Goldonis »Krach in Chiozza«. Die Arbeit der jungen Wilden polarisierte – während die innovativen Projekte in der Presse auch überregional Beachtung fanden, zeigte sich das bürgerliche Lager entsetzt.

Die Intendanzen Hänsel und Henne

Nach der Finanzaffäre um angeblich veruntreute Gelder bei den Internationalen Theaterwochen und nächtlichen Kneipenschlägereien war 1989 das Ende von Manfred Neus Intendanz besiegelt. Andreas Hänsel übernahm das Ruder und erkämpfte sich über die Jahre eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem gVe, der bis dato noch immer maßgeblich den Spielplan des Markgrafentheaters konzipierte. Erstmals wurden nun auch Inszenierungen des Erlanger Ensembles im Markgrafentheater gezeigt und in die Platzmieten mit aufgenommen. Das Erlanger Modell entstand: Gastspiele, Eigenproduktionen und Produktionen freier Gruppen sollten friedlich unter dem Label »Theater Erlangen« vereint werden.

Künstlerisch gewann das Theater durch Hänsel immer mehr an Profil, was u. a. mit zahlreichen Auszeichnungen bei den Bayerischen Theatertagen und dem Bayerischen Theaterpreis für das Ensemblemitglied Adele Neuhauser honoriert wurde. Die Diskussionen um die Existenzberechtigung eines eigenen Ensembles rissen dessen ungeachtet nicht ab.

Aufgrund der schwierigen klimatischen Bedingungen im Markgrafentheater (die man übrigens auch heute noch erleben kann) waren 1999 erneut Renovierungsarbeiten im Zuschauerraum nötig. Die Decke wurde restauriert, Schäden in der Holzsubstanz ausgebessert, Farbfassungen konserviert, die Bestuhlung ausgetauscht und ein Jahr später auch der Dachstuhl erneuert. Während der Instandsetzung des Markgrafentheaters löste Hartmut Henne Andreas Hänsel, dessen Vertrag von der Stadt nicht verlängert wurde, als Intendant ab.

Mit seiner »1. Erlanger Theaterermutigung«, vierzehn Produktionen an vier Tagen, und der programmatischen Umbenennung in »ensemble theater erlangen« startete der neue Chef verheißungsvoll in seine Amtszeit. 2001 dann die Katastrophe: Völlig überraschend starb Hartmut Henne, mitten in den Vorbereitungen seiner dritten Saison. Dramaturg Johannes Blum setzte als Interims- Theaterleiter die gemeinsam begonnene Arbeit fort.

Die Intendanzen Dhein und Ott

Als erste Frau in der Geschichte des Theaters kürte der Stadtrat die gebürtige Erlangerin Sabina Dhein 2002 zur neuen Intendantin. Turbulent ging es bereits in der zweiten Spielzeit zu: Das Theaterstück »Die Wölfe« des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Hans Rehberg geriet zum Politikum – nationale und internationale Medien, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis hin zur New York Times, berichteten über die Skandalinszenierung, die Premiere fand unter Polizeischutz statt. Zahlreiche Uraufführungen und Projektentwicklungen entstanden in den Folgejahren, darunter die Auftragsarbeit »Der Wilhelmine-Code« zum 300-jährigen Geburtstag der Markgräfin und das Musiktheaterprojekt »Erlangen« mit über hundert beteiligten Erlanger Bürgern.

2009 wechselte Sabina Dhein als Betriebsdirektorin ans Hamburger Thalia-Theater. Ihre Nachfolgerin wurde die Regisseurin und Braunschweiger Schauspieldirektorin Katja Ott, die den bis dato üblichen En-suite-Spielbetrieb in einen modernen Repertoirebetrieb umwandelte. Schwerpunkte Otts waren der Ausbau des Kinder- und Jugendtheaters und der Theaterpädagogik sowie die kontinuierliche Vernetzung des Theaters innerhalb der Stadtgesellschaft. Im Rahmen des deutschlandweit geführten Diskurses um das Stadttheater der Zukunft entwickelte das Theater neue kommunikative Formate, um mit der Bürgerschaft vermehrt in den Austausch gehen zu können, und realisierte Projekte im öffentlichen Raum, wie etwa Arthur Millers «Hexenjagd« in der Hugenottenkirche, das partizipative Stück »Abschaffen und Anfangen« auf dem Rathausplatz oder das »Utopienfest« an Spielorten in der ganzen Stadt. 2017 verlängerte der Stadtrat den Vertrag mit Katja Ott um weitere sechs Jahre.

Hier endet diese kurze 300-jährige Geschichte des Erlanger Theaters. Wie das Haus in der fernen Zukunft aussehen, wer es ästhetisch weiter prägen und mit Leben füllen wird, steht in den Sternen. Ebenso wie ein möglicher Startpunkt für die so dringend benötigte Generalsanierung. Fest steht: Das Erlanger Theater war und ist ein Ort der Begegnung, der Impulse in die Gesellschaft hinein zu geben vermag, ein Ort, an dem gelacht, geweint, gestritten werden darf, der kontrovers und anstrengend, lustig und überdreht ist. Der ein analoges Gemeinschaftserlebnis ist und immer sein wird. Es ist einer der Orte, von denen es angesichts der Kommerzialisierung in sich immer ähnlicher werdenden Städten nur noch wenige gibt; einer, der von Zuschauern wie Theaterleuten Offenheit und Mut erfordert, weil jeder Abend ein einzigartiges Wagnis ist. Buchstäblich Millionen Menschen waren in diesem besten Sinne neugierig und haben das Erlanger Theater in den letzten 300 Jahren besucht, gestaltet, erdacht – Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt!

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/index.php/buch/300_jahre_theater_erlangen/37032/komplett/