Die treibende Kraft der Kunst

Im Gespräch mit Intendantin Katja Ott

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Was bedeutet Theatermachen für dich als Intendantin? Was ist dir in der künstlerischen Ausrichtung des Theater Erlangen wichtig oder steht im Zentrum?
Das sogenannte Kerngeschäft sind die Inszenierungen. Theater heißt immer, Menschen in ihrem Handeln zu hinterfragen. Dabei kann das auf ganz unterschiedliche ästhetische Art und Weise geschehen. Ich finde, alles ist erlaubt, solange es nachvollziehbar ist und eine Relevanz hat. Was da oben auf der Bühne passiert, darf nie beliebig sein, muss den Zuschauer intellektuell und/oder emotional bewegen, ästhetisch herausfordern und den Blick auf Welt, Gesellschaft oder auf sich selbst richten. Das muss immer das Ziel sein. Da hängt die »Latte« (der eigene künstlerische und inhaltliche Anspruch) hoch und da läuft man auch mal drunter durch. Aber entscheidend ist, dass auf der Bühne darum gerungen und nicht nur mit bunten Murmeln gespielt wird. Theater ist ein gesellschaftliches Instrument, das durch den ästhetischen Diskurs etwas erkennen lassen kann. Theater ist keine Informations-, sondern eine Erfahrungskunst, deren Wirken nicht eindeutig definiert ist und auch nicht definiert werden sollte.
Natürlich ist ein Stadttheater ein »Gemischtwarenladen«, aber im besten Sinne. Die Erzählweisen, die Texte und die ästhetischen Formen sind möglichst verschieden, um den unterschiedlichen Publikumsinteressen gerecht zu werden. Aber ganz gleich, welche Form gewählt wird, es muss immer eine Relevanz haben.

Alexander Kluge sagte in seiner Grabrede für den Dramatiker Heiner Müller: »… Müller sagte, wenn ein Jahrhundert endet, muss man Bilanz machen. Eine Bilanz, die überhaupt nicht aus Zahlen besteht, wie im Geschäftsverkehr, sondern sie besteht aus Metaphern, aus Behältern, Flaschen, Tiegeln, Kannen, in denen man menschliche Erfahrungen durch die Wüste transportieren kann.« Ein Zitat, dem du sicherlich zustimmen würdest.
Ja, sicher. Das Theater und seine Erzählungen sind ein Reservoir menschlicher Erfahrungen. Manche kehren immer wieder, weil sie existentiell sind, unauflösbar zum menschlichen Dasein gehören und von jeder Generation aufs Neue gemacht werden. Manche werden nach einer Zeit des Vergessens neu entdeckt, weil man sie wieder gebrauchen kann. Andere werden fortgeschrieben und neu verpackt. Wieder andere sind nur für eine kurze Zeit lesbar und versickern im Sand. Manche sprechen plötzlich die Sprache einer ganzen Generation. Andere wiederum erweitern unerwartet unseren Horizont, obwohl oder weil sie uns fremd sind. Diese Erfahrungen, dieses Archiv gelebten Lebens und sein täglicher wachsender Bestand sind der Treibstoff des Theaters. Und indem wir Theaterleute diese Text auf die Bühne holen, setzen wir uns mit unserer kulturellen Identität, unseren Werten und Normen immer wieder neu auseinander. Zum Beispiel Lessings »Nathan der Weise« wurde im Zuge des Syrien-Kriegs und der vielen muslimischen Geflüchteten zum Stück der Stunde. Das Stück führte 1779 eine Toleranzdebatte, die 2015 wieder für Zündstoff sorgte und eine Auseinandersetzung mit der heutigen Situation ermöglichte. Theater sucht also u. a. im Bestehenden die Innovation, schafft Neues, hinterfragt.

Und wie würdest du die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen am Haus beschreiben?
Als Intendantin begreife ich mich als Ermöglicherin für kreative Menschen und unterstütze immer wieder neue Impulse. Man muss sich ausprobieren dürfen, etwas wagen. Als Regisseurin ist es wunderbar, wenn man Schauspieler*innen oder Bühnenbildner*innen oder Dramaturg*innen oder Musiker*innen immer wieder begegnet und manchmal über Jahre hinweg gemeinsam arbeiten kann. Es gibt dann eine ganz andere Vertrauensebene und Art der Verständigung, eine große Qualität in der künstlerischen Zusammenarbeit. Darin besteht sogar meine Idealvorstellung. Allerdings ist dies an einem kleinen Haus – wie dem Theater Erlangen – nur bedingt möglich, da die Fluktuation dem immer wieder entgegensteht.

Eine Inszenierung pro Spielzeit setzt du als Regisseurin um und zeigst dabei eine ganz andere Seite, deine eigene künstlerische Handschrift. Was ist das Besondere daran, eine regieführende Intendantin zu sein?
Man könnte natürlich meinen, es sei das Glück der regieführenden Intendantin, die Produktionsmittel, also Probenzeiten und Budget, Besetzung und Stückauswahl, selbst in der Hand und somit größere Freiheiten als Regisseurin zu haben. Leider stimmt das so nicht, denn die Realität sieht oft schon bei der Stückauswahl ganz anders aus: Beispielsweise wenn ein künstlerisches Team, das für eine Inszenierung in der Planung vorgesehen war, Terminschwierigkeiten hat, oder es bedarf eben noch einer Regie auf einer bestimmten Position, dann übernehme ich dies in der Regel. Als Intendantin auch Regie zu führen, finde ich allerdings theaterintern extrem wichtig, denn ich mache mich hier als Künstlerin angreifbar. Das ist entscheidend für die Beglaubigung der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die Schauspieler*innen nehmen mich ganz anders wahr, begegnen mir anders und ich erlebe auch die Abteilungen in der Technik oder den Werkstätten aus der Perspektive des kollegialen Miteinanders und nicht nur als Vorgesetzte. Man ringt mit allen gemeinsam um die Sache. Der Nachteil der regieführenden Intendantin, im Gegenteil zu einer freien Regisseurin, ist natürlich, dass ich zwischen den Proben auch noch ins Büro muss. Das ist der ewige Konflikt zwischen der künstlerischen Arbeit und den vielen administrativen Aufgaben einer Intendantin. Die permanente Arbeitsverdichtung ist allerdings grundsätzlich und insbesondere am Theater nicht zielführend, handelt es sich doch um ein reflexives und künstlerisches Berufsfeld.

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