Konsequenzen in der Vielfalt

von

Der Maler

Mit dem Maler, dem freien Künstler Martin Rupprecht zu beginnen, ist problematisch. Er malte und arbeitete gleichzeitig am Theater, bis er für sich entschied, Bühnenbildner zu werden. Die Entscheidung war vorbereitet durch seine Ausbildung an der Meisterschule für Kunsthandwerk und seine Lehrer, dem Bühnenbildner Werner Kleinschmidt und der Kostümbildnerin Marianne Herting. Nach seinem Gespräch mit Rudolf Springer hat Rupprecht seine frühen Bilder weggeworfen, was er heute bedauert. Gemalt hat er aber nebenbei immer. Dass die freie Kunst wesentlich wurde, datiert Rupprecht auf 1992/ 1993, als er in Athen mit Michael Hampe Idomeneo vorbereitete und in seinem Hotelzimmer begann, konzentriert zu malen. Es sei ein Ausgleich gewesen, eine Fokussierung, Kon zen trierung gegen das Sich-Verströmen und Sich-Veräußern im Theaterbetrieb. „Da bin ich ganz bei mir“, sagt er von diesem inwischen zweiten, für ihn ganz wichtigen Standbein. Und so verspielt, so phantasievoll und überbordend er in seinen szenischen Entwürfen ist, so streng, abstrakt und minimalistisch ist seine freie Kunst. „Es ist wie Meditation“. Aber es gibt auch hier Verbindungen, lässt sich der Künstler Martin Rupprecht nicht aufteilen in den freien Maler und den anwendenden, verwendenden Szenographen: Hier wie dort verwendet Rupprecht häufig Collagen als Gestaltungsprinzip, wobei die ‚Ausbeutung‘ seiner szenischen Arbeiten für die freie Kunst ein bemerkenswertes Licht auf den Stellenwert des eigenen Bühnenund Kostümbildes für den Künstler wirft. Die Meditation, die Fokussierung und Straffung, die Rupprecht in seiner freien Kunstausübung jedoch anstrebt, verrät ein weiteres: So wie für den Bühnenkünstler alles ‚Material‘ ist für seine Vision der Ausstattung, wird auch für den freien Künstler das Vorgefundene, selbstgeschaffen oder nicht, zum Material, diesmal des Selbst-Ausdrucks, der ganz auf sich selbst geworfenen schöpferischen Persönlichkeit, die eins ist mit sich und der Welt. Meditation bedeutet nichts anderes. Und doch ist der Arbeitsvorgang ein anderer. Die Arbeit an einer Theaterausstattung ist immer verbunden mit einem äußeren Anlass, einem bestimmten Stück oder einer Spielvorlage und vor allem auch immer mit sehr vielen, sehr kreativen Menschen, die alle ihre Vision von etwas haben, das weder die Spielvorlage noch deren bildnerische Umsetzung ist, sondern etwas Drittes: Das ereignishafte In-Szene-Setzen eines komplexen multimedialen, simultanen Vorganges, das man gemeinhin und ganz simpel ‚Theater‘ nennt. Die freie Malerei hat demgegenüber etwas beinahe autistisches, die Kommunikation findet zwischen dem schöpferischen Individuum und seinem Medium statt, in dem er, mit dem er etwas gestaltet, das sich ganz seinem Gestaltungswillen unterwirft, aber für den der Maler auch ganz allein verantwortlich ist. Eine kreative Situation, wie sie sich im Theater nicht einmal bei dem despotischsten, alles selbst entwerfenden und bestimmenden Regiestar so ergibt, ergeben kann. Die Angst vor der nächsten Probe, von der manche Regisseure sprechen, ist eine prinzipiell andere als die vor der unendlichen Leere der unberührten Leinwand. Und auch die Gelassenheit, weder sich noch anderen etwas beweisen zu müssen, die man manchen Alterswerken so wohltuend anmerkt, ist eine prinzipiell andere. Im Theater ist es das oft auch erfahrungsbedingte Vertrauen in den kreativen Zusammenklang, und in der freien Kunst, der freien Malerei ist es das Loslassen, die kreative Energie frei fließen lassen – das Einfache, das so schwer ist und für manche, die ganz dem ‚Machen‘, dem ‚Es-muss-etwas-geschehen‘ hingegeben sind, beinahe unmöglich. Es ist dieser psychodynamisch so existenziell notwendige Ausgleich im eigentlichen Sinne des Wortes: Es wird dem schwerwiegenden, kräftezehrenden, alle (Lebens-) Energien für sich beanspruchenden Theater ein schweres Ausgleichsgewicht geschaffen. Das kann gar nicht das Gleiche mit umgekehrten Vorzeichen sein, sondern muss in sich genauso beanspruchend und kräftezehrend – aber damit auch Kräfte fördernd, herausfordernd sein. Dem Leben Ausdruck verleihen nennt Rupprecht das. Betrachtet man Martin Rupprechts Bildkompositionen einmal unter diesem Aspekt, wird man die Kraft und die Macht dieser Bilder vielleicht etwas besser verstehen.

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