Konsequenzen in der Vielfalt

von

Der Bühnenbildner und der Kostümbildner

Seit sechzig Jahren erfindet Martin Rupprecht sein Theater. Wenn man die Gelegenheit hat, ein gesamtes OEuvre zu überblicken, interessieren natürlich die Anfänge. Vor der Assistenzzeit kam bei Rupprecht die Keller-Theater-Zeit in Westberlin Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, seine ‚Provinz‘. Man hatte sich damals schon von der unmittelbaren Weltkriegserfahrung gelöst und war im Kalten Krieg angekommen, Westberlin galt als Frontstadt, anfangs stand die Mauer noch nicht, man konnte also noch einigermaßen ungehindert am Berliner Ensemble die Inszenierungen von Bertolt Brecht oder Walter Felsensteins Opern-Inszenierungen sehen und die Austattungen von Caspar Neher und Karl von Appen studieren. Die Keller-Theater hatten damals noch kein Geld, die Ausstattungen Rupprechts für die Vaganten-Bühne verraten das: meist ein leerer, hell oder dunkel gestrichener Raum, immer mit der gleichen Ecke, und in diesem Raum sparsam, aber sorgfältig ausgewählt, die Möbel. Man spielte Zeitstücke, das heißt, an den Kostümen konnte man nicht erkennen, ob sie extra dafür geschneidert oder von der Stange gekauft wurden. Das war eine Zeit, den Einfallsreichtum zu schulen, die richtigen Akzente zu setzen. Danach erst kamen die Assistenzen: bei dem großen Regisseur und Filmpionier Ludwig Berger und, dies war seine prägendste Zeit, bei der Bühnen- und Kostümbildnerin Ita Maximowna. 1974 erfolgte dann sein künstlerischer Durchbruch mit dem Bühnenbild für die Uraufführung von Henri Pousseurs Die Erprobung des Petrus Hebraicus für die Berliner Festwochen mit dem Regisseur Gideon Y. Schein. 1975 begann die kongeniale Zusammenarbeit mit dem Komponisten Mauricio Kagel, wieder für die Berliner Festwochen, mit der Uraufführung von Mare nostrum – Martin Rupprecht, das verrät nicht nur sein Werkverzeichnis, sondern das verraten auch die Ausstattungen, hatte sich ‚freigeschwommen‘. Er konnte jetzt sehr frei mit seiner Kunst umgehen. 1976 bildete wieder eine Uraufführung den Beginn einer über zwanzigjährigen inspirierenden Partnerschaft mit dem Regisseur Winfried Bauernfeind. Mit ihm verband Rupprecht die Begeisterung für das Genre der Spieloper sowie die Neugier auf neue Stücke. Eine gemeinsame Leidenschaft war aber auch die ganz große Form. Bauernfeind und Rupprecht schufen gegen Ende der 1980er Jahre, damals noch in der Inselstadt Westberlin, große Metropol-Spektakel, die die Berliner fesselten: 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins am Großen Stern Preußen – Ein Traum und 1988 auf dem Wannsee Inferno und Paradies nach Dante Alighieris Die göttliche Komödie. Gemeinsam entwickelten sie jeweils den Stoff, Rupprecht entwarf die Dekorationen, Aufbauten und Kostüme, Klaus Wichmann, schon damals einer der gewiftesten Techniker (und in seiner aktiven Zeit Technischer Direktor an fast allen Berliner Theatern) sorgte für die professionelle Umsetzung. Dass hier aber in der großen Form an eine Personenregie, wie sie Bauernfeind, geschult an der Opernarbeit Carl Eberts und Gustav Rudolf Sellners, für sich entwickelte, nicht zu denken war – in dem Programmheft des Wannsee-Spektakels ist von vier Quadratkilometern Wasserfläche als Spielfläche vor einem tausend Meter langen Strandstück die Rede, von schwebenden, auftauchenden und wieder versinkenden Objekten, von choreographierten Bild- und Bewegungsabläufen synchron zu Klangcollagen, die musikalisch von gregorianischen Gesängen bis zu Strawinsky reichten – leuchtet ein. Rupprecht bedauert im Nachhinein, dass diese theatralische Großform von ihnen beiden nicht mehr weiterentwickelt wurde. Aber schon Inferno und Paradies stieß, zumindest in der veröffentlichten Meinung, auch auf Kritik, und vielleicht wurde diese kunstvoll inszenierte Form des Massenspektakels dann ein Jahr später auch von dem ganz anders inzenierten Spektakel Loveparade abgelöst. Eines wird hier aber deutlich: Martin Rupprecht ist ein Bühnenbildner und Kostümbildner, der unentwegt neue Herausforderungen sucht. So ist auch zu verstehen, wenn er beinahe regelmäßig neben seinen Opern- und Operettenarbeiten, nicht zu vergessen seine Uraufführungen im zeitgenössischen Musiktheater, auch immer wieder avantgardistische Projekte mit seinen Studierenden organisiert hat, sei es Cage-Up 1978 in den Gärten der damaligen Hochschule der Künste, Wassily Kandinsky – Bilder einer Ausstellung 1983, eine Rekonstruktion der Dessauer Uraufführung 1928, Majakowskis Die Wanze 1992 am Hebbel-Theater, Hin und Weg 1993 an einem fertiggestellten Teilstück der Berliner Ringbahn oder 1995 Chlebnikows Schramme am Himmel. Sehr glaubhaft versichert Rupprecht, dass es für ihn keine wichtigen und weniger wichtigen Theaterarbeiten gibt – in allem steckt seine Phantasie und sein Engagement, steckt sein künstlerisches ‚Herzblut‘. So geht auch die Frage nach dem Verhältnis von Regisseur und Bühnen-/Kostümbildner immer wieder aussagekräftig ins Leere. Nach Rupprecht stellt das Bühnenbild die Säulen einer Inszenierung dar, auf denen der Regisseur dann sein Kunstwerk errichtet. Er zitiert den Opernregisseur Joachim Herz mit dem Satz, dass eine große Inszenierung eine sei, für die der Regisseur das Bühnenbild gemacht und der Bühnenbildner Regie geführt habe. Die Idee für ein Bühnenbild ist in der Regel sofort beim Lesen des Stückes da, erzählt Rupprecht, und dann komme es darauf an, diese dem Regisseur zu „verkaufen“. Und wenn der Regisseur zu schwach, das Bühnenbild zu stark ist, oft ein Grund dafür, dass manche Bühnenbildner beginnen, selbst Regie zu führen? Für eigene Regiearbeiten habe er neben seiner Tätigkeit an der Hochschule keine Zeit mehr gehabt – er war damals ständig in Zeitnot. Aber wenn das tatsächlich nicht zusammenging, dann musste man sich trennen. So lapidar klingt das bei Rupprecht. Und was ist mit Stücken, die immer wieder in seiner Werkbiographie auftauchen, wie zum Beispiel Idomeneo – nimmt er da seine alten Entwürfe wieder auf, arbeitet er daran weiter? Auch hier kommt die Antwort sehr schnell und entschieden: Rupprecht hat so viele Ideen, dass er sich nicht wiederholt, sich nicht ‚zitiert‘. – Auch andere Bühnenbild-Ideen, Bühnenbild-Erfindungen nicht? Das ist mir nicht bewusst, antwortet er vorsichtig, und setzt entschieden nach: Nein, das braucht er nicht. Er kann sich begeistern für andere seines Faches, für die Lehrmeister und Vorbilder: Teo Otto, Karl von Appen, Caspar Neher, Edward Gordon Craig, für Kollegen wie Andreas Reinhardt, Karl-Ernst Herrmann, auch Achim Freyer. Bei Jean-Pierre Ponnelle ist er kritisch: zu viel Kitsch, zu viel aussagemäßig leere Ausstattung. Aber seine Operninszenierungen waren meisterhaft! Und wie ist das heute? – Eine schwierige Frage für einen so berufserfahrenen, lebensklugen achtzigjährigen Bühnen- und Kostümbildner. Auf seine Schülerinnen und Schüler ist er stolz. Es sind viele und prominente. Aber er erzählt auch immer wieder von dem Erlebnis, als er in einer Kostümabteilung an der Wand Kostümskizzen entdeckte und sich lobend über sie äußerte und die Gewandmeisterin ihn darauf hinwies, das seien sechs verschiedene Kostümbildner, die alle die gleiche digitale Entwurfstechnik benutzten. Das zeichnerische buchstäbliche ‚Handwerk‘ drohe zu verkümmern und damit auch die Phantasie.

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