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von Monika Rinck
Es fällt alles auseinander und ist doch katastrophisch miteinander verbunden. Wie das? Es ist beides: Hier ist die Desintegration, die alles in Stücke haut und verteilt – dort tritt der Sog hinzu, der das Ungute mit dem verbindet, was auch nicht besser ist. Man nennt dies die Dialektik der Verschlimmerung, und die Preise steigen. Eben noch kostete ein Flug von Wien nach Berlin 63 Euro, nun sind es schon 270. Mieter können gar nicht tief genug sitzen, um zu verhindern, dass die Dielen sich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2018
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von Monika Rinck
Öffnet die Fenster und Türen, denn ich habe gute Nachrichten. Ich komme gerade aus dem Marjan Grill in Berlin-Moabit und kann sagen: Die Männer sind noch da. Es geht ihnen gut. Man findet sie an großen Tischen in der genannten Restauration. Sie sind ganz natürlich und scheinen sich wohlzufühlen. Sie agieren in großen Gruppen, und ihre Wünsche werden zügig und mit vollendeter Expertise erfüllt. Auch tragen sie der Saison entsprechende Kleidung. Wenn weitere Männer hinzukommen, springen die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2018
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von Monika Rinck
Liebe Theater, Ihr könnt Euch zurücklehnen, die beste Aufführung von Büchners „Woyzeck“ hat in diesem Jahr bereits Ende Februar stattgefunden, und zwar auf der kleinen Bühne im Hinterzimmer der Neuen Nachbarschaft in Moabit, wo an anderen Tagen die Deutschkurse für Neuankömmlinge aus Krisenländern stattfinden.
Der Abend wäre ausverkauft gewesen, wenn er Eintritt gekostet hätte, aber wie bei allen Veranstaltungen der Initiative Neue Nachbarschaft war der Eintritt frei. Zunächst wurde der…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2018
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von Monika Rinck
Anfangs war es nichts als ein Kribbeln, später ein leicht pochender Druck. Mir schien: Eine sehr kleine Herde im Dunkeln weiß nicht wohin, so flieht sie versuchsweise an Ort und Stelle, im Kreis. Es prickelte. „Ich perforiere von innen mit der Bleistiftspitze“, sagte der irre Hirte. „Zum Ausgleich“, fuhr der Hirte fort. Im Lippeninnenraum ward alles Mögliche herumexpediert, über die Alpen. Ein manisches Gewoge, hin- und her schoben sich Armeen, Mehrspänner, Katen auf Rollen, nein, Hütten auf…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2018
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von Monika Rinck
Es gibt Bücher, die besser anfangen, als sie weitergehen. Es gibt die furiose Eröffnung, auf die eine fade Durchführung folgt. Es gibt Trailer, die ganze Filme ersetzen. Es gibt die Ouvertüre, die die Oper bereits nach wenigen Takten in ihren gleißenden Schatten gestellt, ja weggewischt haben wird. Es gab den ersten Vollmond in diesem Jahr schon am 2. Januar – und es wird dreizehn davon geben, insgesamt. Es gibt die, die schon immer besser waren im Beginnen, als sie im Beenden sind – und die,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2018
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von Monika Rinck
Auf den Inseln jenseits der Zeit sei keine Zuflucht zu finden, sagte der Kritiker vor zwanzig Jahren, immer das weiße alte Hotel am Hang der Insel vor Augen, den Seeblick, die Terrasse, die lava-artigen Blütenfälle der Bougainvilleen. Alle Stunde kommt ein Schiff, das letzte legt gegen 19 Uhr ab, dann bleibt die Insel in einem beruhigten Leben zurück und kühlt ab. Etwas Ermattendes geht von ihr aus. Die Pagen lungern, die Portiers haben über den Papieren die Hände zusammengelegt. Die Erinnerung…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2018
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von Monika Rinck
In den nächsten neun Stunden, die Sie in einer Atmosphäre aus Glas, Angst und Luxus verbringen, wird Ihr innerer Apparat zu einer Bühne, die sich im Terminal A auf Höhe des Gates 217 befindet, wo in mehreren Stunden das Boarding beginnen wird. Aber bitte bleiben Sie noch sitzen, wir rufen zunächst unsere Priority-Fluggäste und Besitzer der Gold Card auf, danach Familien mit kleinen Kindern, und irgendwann, wenn uns danach ist, auch den Rest. Die Klimaanlage rauscht, der Boden ist blank, niemand…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2017
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von Monika Rinck
Es ist 7.30 Uhr im Quartier. Junge Dämonen schlittern in den glitzernden Passagen über Ornamente, die in spiegelglatten Marmor eingelassen sind, verstecken sich in Wasserspielen oder Werbesäulen, rappeln an den noch geschlossenen Ladentüren, die Lüftung rauscht, und die Bepflanzung wedelt. Die Kunden hingegen haben sehr schlecht geschlafen. Sie träumten einen teuren Schlaf, in einem Doppelzimmer zu 280 Euro pro Nacht und pro Kopf, und ließen ihr Leben wie ein schlechtes Hotel über sich ergehen,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2017
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von Monika Rinck
Bitte versammeln Sie sich eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn am Haupteingang und verhalten Sie sich ruhig und konzentriert. Nachdem Sie das Drehkreuz passiert haben, folgen Sie den Anweisungen des Sicherheitspersonals. Bitte bewegen Sie sich zügig durch den Audiotunnel aus hellen Schreien, vielstimmigem Quietschen, Gelächter, Klatschen und Schwappen. Der Raum ist bewusst überheizt. Sollten Sie an Kreislaufschwankungen leiden, wenden Sie sich bitte an den Installationsarzt, die zweite Tür…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2017