Gespräch

Was macht das Theater, Peter Luppa?

von und

Herr Luppa, Sie sind vermutlich der dienst­älteste kleinwüchsige Schauspieler im deutschen Stadttheater. Wie kamen Sie zur Bühne?

Foto: Katharina Poblotzki
Foto: Katharina Poblotzki

Ich war Zahntechniker und dachte mir, es gibt einen höheren Grund, warum ich als kleiner Mann auf die Welt kam. Petrus hätte mir eine Aufgabe gegeben, die ich aber erst finden müsse. Als Kind hatte ich mir vorgestellt, dass Gott die Kinder zusammenbaut, aber auch manchmal gern feiert – sodass auch mal was schiefgeht, ein Arm zu wenig oder wie bei mir das Ganze zu kurz. Was mache ich damit? Umtauschen geht ja nicht, und der Kopf beschäftigt sich damit, was mit dem Körper darunter ist. Ich begriff, dass ich diese Situation zur Einheit bringen musste. Auch wurde mir klar, dass ich mich in dem Zahnlabor vor der Gesellschaft versteckte und nur so tat, als wäre alles normal. In einer Zeitschrift aus dem Wartezimmer las ich über einen kleinwüchsigen Mann, der im Theater gelandet war. Das war für mich wie ein Signal. Ich schrieb ihm, aber er antwortete nicht, vielleicht weil er in mir einen möglichen Konkurrenten sah, denn seine Geschichte war ja so einmalig damals. Ich bewarb mich bei Agenturen, dann auch bei den staatlichen Schauspielschulen. Die Antwort war fast immer gleich: Herr Luppa, bleiben Sie bei Ihrem Beruf. Ein Kleinwüchsiger würde nicht in das Konzept der Ausbildung passen.

Sie waren dann aber doch ohne Schauspielschule im richtigen Moment zur Stelle.

Eine Münchner Künstleragentur hatte Bilder von mir, und Franz Xaver Kroetz suchte einen Kleinwüchsigen für seine Uraufführung von „Der Nusser“ am Residenztheater. In dem Stück nach Ernst Tollers „Hinkemann“ ging es um einen Soldaten, dem im Krieg die Eier weggeschossen wurden. Dieser geschlechtslose Mann, den Sepp Bierbichler spielte, trifft auf ein Zwergerl, der ihm sagt: Du hast eine Behinderung, aber man kann damit trotzdem weiterleben. Steh dazu! Ich sagte zu Kroetz: Damit kann ich etwas anfangen, das ist mein Thema. Steh dazu! Genau so lebe ich mein Leben. Kroetz war etwas skeptisch, denn ich hatte ja keine Ausbildung und keinerlei Erfahrung. Er meinte, klein sein reicht nicht. In zwei Wochen Proben würde er herausfinden, ob ich auch spielen kann. Und er wollte unbedingt wissen, ob ich mir etwas antun würde, wenn er mich wegschicken muss. Er beobachtete, dass ich die anderen Schauspieler kopierte: Peter, du kriegst das hin! So fing alles an.

Immerhin der Beginn von mittlerweile 35 Jahren als Schauspieler. Unterscheidet sich denn diese Laufbahn von anderen Schauspielerkarrieren?

„Der Nusser“ wurde nach Bochum übernommen, aber 15 Jahre hab ich erst mal nur gastiert. Das Angebot lautete immer: Wir suchen für die und die Rolle einen kleinwüchsigen Mann. Ich wusste, ich bin deshalb am Theater etwas Besonderes.

Haben Sie sich mit der Geschichte der Kleinwüchsigen im Theater beschäftigt? Lange spielten die ja nur im Zirkus oder den amerikanischen Freakshows eine Rolle.

Vorher waren sie auch als Hofnarren sehr gefragt.

In den 1970er Jahren gab es Regisseure wie Jérôme Savary und seine Truppe Le Grand ­Magic Circus, wo Kleinwüchsige statt im Zirkus nun im Theater auftraten.

Savary war eine wichtige Inspiration für mich, und ich überlegte sogar, ob ich nicht zu ihm nach Paris gehen sollte. Denn was die Kleinwüchsigen bei ihm machten, war ja etwas anderes als bei uns im Zirkus, wo den Liliputaner-Clowns immer noch derbe Streiche mit Wasser übern Kopf und Mehl ins Gesicht gespielt wurden.

Haben Sie manchmal Diskriminierung, etwa nur durch Blicke, erfahren? Dass jemand Sie nicht als Schauspieler, sondern als eine ins Theater gesetzte Zirkusfigur sah?

Nie. Zunächst mal gab es die Anerkennung der Kollegen, auch von denen hinter der Bühne. Zuschauer haben mich nicht abgelehnt, oft gratuliert.

Was denken Sie über das gerade viel diskutierte Thema Diversität im Theater?

Speziell geht es um die Bewertung körperlicher Behinderung, und da müsste man von ganz unten anfangen. Bei den Schauspielschulen. Die müssten sich öffnen für Leute, die im Rollstuhl sitzen oder nur einen Arm haben, aber Lust darauf, auf die Bühne zu gehen, und dafür eine Chance nach Anlage ihres Talents bekommen sollten. So weit sind die Schulen noch nicht, auch wenn es schon einzelne Beispiele dafür gibt, dass Kleinwüchsige in Bewerbungsverfahren weit nach vorn kamen. Aber das ist wenig bekannt, was auch zu dem Problem gehört.

Ihr autobiografischer Abend, den Sie nun am Berliner Ensemble herausgebracht haben, entlehnt den Titel einem Film Werner Herzogs, in dem Kleinwüchsige eine anarchistische Revolution vorführen.

Die machen nichts, was die Großen nicht auch machen wollen. Und nicht hinkriegen. //

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/2020/03/38609/komplett/