Haider - und wie weiter? Was sich in Österreich anbahnte, wurde auch in dieser Zeitschrift immer wieder behandelt. Elfriede Jelineks Stück "Stecken, Stab und Stangl" (TdZ 3/96) ist eine Stellungnahme von Rang gegen Rechtsradikalismus wie auch gegen seine Verharmlosung durch Medien, Justiz und Politik. Nach Beginn der laufenden Spielzeit wurde der Saisonstart unter dem neuen Burgtheaterdirektor Klaus Bachler nicht nur mit Aufführungskritiken eingeschätzt, sondern mit einer Darstellung der kulturpolitischen Verhältnisse verbunden (TdZ 6/99). In einem Gespräch hat der Dramatiker Wolfgang Bauer (TdZ 4/99) daraufaufmerksam gemacht, dass zu Haiders Aufstieg unter anderem die personenfixierte Überhöhung durch seine Gegner beigetragen habe und man sich indes nicht "mit den Mannen rund um Haider" beschäftige. Das spezifische System Haider zu untersuchen ist bis heute ein Versäumnis des investigativen Politjournalismus geblieben.
Zuletzt, in TdZ I/00, schrieb Elfriede Jelinek in dunkler Vorahnung: "Die Schranken fallen, das Licht springt um auf Rot, aber es hält sie nichts mehr, es ist buchstäblich kein Halten mehr." Nun sitzt die "freiheitliche" Ein-Mann-eine-Stimmung-Partei nicht nur in der Regierung, sondern auch in deutschen Talkshows (wo man es ansonsten unterlässt zu erörtern, warum Neonazis schon durchs Brandenburger Tor marschieren dürfen). Die vorschnelle politische Quarantäne Österreichs durch die EU ist zum Streitfall geworden, der in die Kritikformen der Künstler kulturpolitisch auf widersprüchliche Weise hineinwirkt. Denn die Kritik an Haider, die in Österreich schon lange vorher Züge des offenen wie auch subtileren Protests trug und dabei die wichtigen Themen aufs politische Tablett zu bringen half, ist nun mit einer korrekten Anti-Austria-Kampagne verbunden. Internationale Rockstars wie Lou Reed und Sting machen schon einen Bogen um Wien und scheinen dabei zu vergessen, dass Popmusik auf ihre Art zumeist eine Ermutigung gegen die herrschenden Verhältnisse darstellen konnte. Die F.estivalstädte Wien, Salzburg und Graz müssen mit Absagen, Abgängen und Boykotts rechnen, Klagenfurt gar mit dem Verlust des renommierten IngeborgBachmann-Wettbewerbs der neuen deutschsprachigen Literatur. Das ist "korrekt", wird aber in Österreich und außerhalb, also in Europa, ebensowenig bewirken wie damals in Deutschland die Ankündigung, dass man im Theater wegen des Golf-Kriegs den "Nathan" nicht spielen werden könne.
Elfriede Jelinek untersagt, wie zuvor schon Thomas Bernhard, die Aufführung ihrer Stücke im Heimatland. Neben der eindeutigen Botschaft von wohl kurzfristiger Wirkung ist das ein Boykott der eigenen Wirkungsmacht auf dem Theater. "Man kann sich nicht mehr mit Worten zwischen die Macht und die Wirklichkeit schieben", sagt Jelinek. Ist das schon die Nation der Resig-Nation, der auch Karl Kraus als einzig mögliche sich zurechnen wollte? Theater hat, solange es durch ein totalitäres Regime nicht total verboten oder gelenkt wird, immer eine Chance, über gesellschaftliche Entwicklungen aufzuklären, und dabei auch die Möglichkeit, Stimmungen mit zu beeinflussen - und sei es erstmal die reine Geste wie die des Schauspielhaus Wien. Solange diese Chance gegeben ist, sollte sie auch genutzt werden.
Die Redaktion
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 1 |
Haider - und wie weiter? | |
Neubeginn | Seite 4 |
Berlin 68 - 89 - 00Die Schaubühne geht auf Expeditionvon Barbara Engelhardt | |
Report | Seite 10 |
Chemnitz, sächsischer Rubin...Schauspiel in der postmarxistischen Metropolevon Martin Linzer | |
Gespräch | Seite 15 |
Das Sachsen-NetzRolf Stiska, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen des Deutschen Bühnenvereins, im Gesprächvon Martin Linzer, Thomas Irmer und Rolf Stiska | |
Dresden | |
Erste Adresse für ErkundungenDas Dresdner "Theater in der Fabrik"von Nikolaus Merck | Seite 18 |
The heart of the matterEin Schreibworkshop am Dresdner Schauspielvon Barbara Schneider | Seite 22 |
Rollenbild | Seite 24 |
Der beleibte WeltprobiererPeter Kurth spielt Mephisto im Leipziger "Faust"von Thomas Irmer | |
Kulturpolitik | Seite 26 |
Fusionsnot im Drei-Länder-EckDer Zittauer Intendant Klaus Stephan im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Klaus Stephan | |
Essay | Seite 28 |
Ein Utopie-SamplingTheater als Real Lifevon Sven Schlötcke | |
Shakespeare | |
Im Schatten von DutrouxDer belgische Regisseur Luk Perceval im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Luk Perceval | Seite 30 |
Dicke Kringel machenShakespeares Königsdramen im Zürcher Schauspielhaus-Keller | Seite 34 |
Der Rest ist SeifeShakespeares Rosenkriege im "New Globe" der Berliner Volksbühnevon Nikolaus Merck | Seite 37 |
Schweiz | Seite 40 |
Beglückt vom EigensinnZeitgenössische Tanztage Schweiz 2000 in Luzernvon Eva Bucher | |
Griechenland | Seite 43 |
Hellas' neue ModernaKünstler, Orte, Strukturen im Theater Griechenlands der 90er Jahrevon Eleni Varopoulou | |
Auftritt | |
"Katzen haben sieben Leben" von Jenny ErpenbeckGrazvon Alexander Irmer | Seite 46 |
Uraufführung von Gion Mathias CaveltyBiel-Solothurnvon Stefan Koslowski | Seite 47 |
"Das Totenhaus" von Philippe MinyanaLuzernvon Elke Krafka | Seite 48 |
Dirk Dobbrows "Legoland" uraufgeführtFrankfurt/Odervon Thomas Irmer | Seite 50 |
"POEtry" von Bob Wilson/Lou Reed im ThaliaHamburgvon Stefan Grund | Seite 51 |
Uraufführung von "Mister Mazel"Dortmundvon Ulrich Deuter | Seite 52 |
David Hares neuestes Stück "Der Judaskuss"Essenvon Ulrich Deuter | Seite 53 |
Armin Petras' Triptychon zu "Mythen der Republik"Kasselvon Jörg Buddenberg | Seite 54 |
Xavier Durringer und Jaan Tätte erstaufgeführtWürzburgvon Michael Truppner | Seite 56 |
Die 6. Zonenrand-Ermutigung mit einem antike-ProjektCottbusvon Peter Ullrich | Seite 57 |
Matthias von Hartz inszeniert "Pussy Talk"Leipzigvon Evelyn Finger | Seite 58 |
"Die Perser" in der Wiedergabe von Durs GrünbeinBerlinvon Thomas Irmer | Seite 60 |
"David und Lisa" im Grips-TheaterBerlinvon Ingeborg Pietzsch | Seite 61 |
"Muñeca" von Gianluigi Gherzi im "Jungen Forum"Ulmvon Tristan Berger | Seite 62 |
Kolumne | Seite 63 |
Stück | |
Ein schmaler Grat zum UnwirklichenDirk Dobbrow im Gespräch mit Barbara Engelhardtvon Barbara Engelhardt und Dirk Dobbrow | Seite 64 |
LEGOLANDvon Dirk Dobbrow | Seite 66 |
Magazin | |
Schiff ahoiDas Zürcher Schauspielhaus eröffnet einen neuen Spielortvon Kathrin Straub | Seite 79 |
Stein-Arbeitvon Martin Linzer | Seite 80 |
Ernst Busch 1900-1980von Martin Linzer | Seite 80 |
BücherBotho Strauß: Der Gebärdensammler. Verlag der Autoren, Frankfurt/M., 1999, 317 S.von Thomas Irmer | Seite 81 |
Auftritt | Seite 81 |
BücherBrigitta M. Schulte: Ilse Langner 1899-1987. Christel Göttert Verlag Rüsselheim 1999, 332 S.von Christel Weiler | |
Magazin | Seite 82 |
BücherKarin Uecker (Hg.): Frauen im europäischen Theater heute. EVA, Hamburg 1998, 246 S.von Nora Eckert | |
BücherErnst Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1998, 1022 S., 16 S. Abb.von Jens Knorr | |
Meldungen | Seite 84 |
Premierenkalender | Seite 85 |
Autoren | Seite 88 |
Impressum | Seite 88 |
Tristan Berger
Eva Bucher
Jörg Buddenberg
Robin Detje
Ulrich Deuter
Dirk Dobbrow
Nora Eckert
Barbara Engelhardt
Evelyn Finger
Stefan Grund
Alexander Irmer
Thomas Irmer
Jens Knorr
Stefan Koslowski
Elke Krafka
Martin Linzer
Nikolaus Merck
Luk Perceval
Ingeborg Pietzsch
Sven Schlötcke
Barbara Schneider
Klaus Stephan
Rolf Stiska
Kathrin Straub
Michael Truppner
Peter Ullrich
Eleni Varopoulou
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