Heft 02/2000
George Tabori und Martin Wuttke
Gespräche über Brecht und Politik
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Kopflosigkeiten - Was für eine Koinzidenz: In dem Moment, da ein Ehrenwort mehr gilt als das Gesetz, Parteispenden von Waffenhändlern mit Koffern voller Bargeld auffliegen und Schwarzkonten, als das Vermögen jüdischer Emigranten auf die perfideste Art getarnt, entdeckt werden, greift der Intendant der Dresdner Semperoper in Peter Konwitschnys Inszenierung der "Csardasfürstin" ein. Die drei zensierten Szenen, so argumentiert Christoph Albrecht, würden von "Menschen, die Kriege erlebt haben", als "gravierende Tabuverletzung" empfunden. Ja, das Jahrhundert der Kriege hat auch seine Operetten geprägt, sicher auch zur Entspannung der Waffenhändler, die ja, wie ihre Opfer - aber vielleicht doch ein bisschen anders -, einen Kunstbedarfhaben nach ihren schwierigen Geschäften.
Als besonders anstößig galt in Dresden der Tanz mit einem Soldaten ohne Kopf. Da möchte man sich die Augen reiben. Dass serbische Soldaten mit den Köpfen ihrer Opfer Fußball gespielt haben sollen, war, wie gerade in einer SPIEGEL-Serie belegt, ein wesentliches Element der massiven Gräuelpropaganda des "Verteidigungsministers" Rudolf Scharping, um mit aller Härte auch gegen zivile Einrichtungen losschlagen zu können, deren Zerstörung man später gebetsmühlenartig entschuldigte ("Nato deeply regrets"): Graphitbomben gegen Krankenhäuser und Heizkraftwerke, Raketen auf von Zügen befahrene Eisenbahnbrücken, einen Fernsehsender und die chinesische Botschaft nur den Urheber von Krieg und Vertreibung wollte oder konnte man nicht treffen mit den geriihmten Präzisionswaffen, für die alle Waffenhändler der Welt nun neuen Bedarfsehen dürften. Was sagt Christoph Albrecht dazu? Immerhin steht sein Theater in einer Stadt mit einem sehr schweren Kriegstraurna. Dresdens Tourismus beruht heute auch darauf, dies zu überwinden, sich aus den alten Trümmern nochmals zu erheben, ohne den ursächlichen Zusammenhang dabei vergessen zu machen. Der weltweit beachtete und finanzierte Wiederaufbau der Frauenkirche, gleich neben der Semperoper gelegen, steht symbolisch dafür ein. Als der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut im Februar 1945 Kriegsgefangener und Augenzeuge der Zerstörung durch die eigenen Bomber ("Schlachthof 5") - bei einem Dresden-Besuch 1998 für die Frauenkirche Geld spendete, bemerkte er dazu: "Ich finde es trotzdem absurd."
"Kein Theaterstück und keine Operette kann ihren Hintergrund vollständig verdrängen", heißt es in der Erklärung von Konwitschnys Anwalt. Tatsächlich wäre diese "vollständige" Verdrängung ja die gravierende Verletzung der Aufgaben von Literatur und Theater-Kunst - und in diesem Sinne die institutionelle Verdrängung einzelner Szenen auf jeden Fall eine Form von Zensur. So ist nun auch die Erklärung von Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, eine zweischneidige Angelegenheit: "Von Zensur kann hier überhaupt nicht die Rede sein, denn nicht der Staat, sondern ein grundgesetzlich durch die Freiheit der Kunst geschütztes Opernhaus hat in die Inszenierung von Peter Konwitschny eingegriffen." Demnach hat der Staat immer noch das Monopol auf die Zensur. Was zu bezweifeln ist.
Die Redaktion
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Editorial | Seite 1 |
Kopflosigkeiten | |
Später Saisonstart | |
Neu oder nicht neu, schwierige FrageClaus Peymann macht das Berliner Ensemble wieder aufvon Martin Linzer | Seite 4 |
Hollywood-ElegienGeorge Tabori im Gespräch mit Holger Teschkevon Holger Teschke und George Tabori | Seite 8 |
Gespräch | Seite 11 |
Ich habe erlebt, dass Theater eine politische Kraft haben kannMartin Wuttke im Gespräch mit Klaus Dermutzvon Klaus Dermutz und Martin Wuttke | |
Neubeginn | Seite 14 |
Brechtsongs und Erbsensuppe"Baal" und "Woyzeck" eröffneten am Theaterhaus Jena eine neue Etappevon Frank Quilitzsch | |
Kulturpolitik | Seite 18 |
Wir haben keinen Auftrag, erfüllen wir ihn!Wie neue Erfolgskonzepte Einzug in die Theater haltenvon Michael Schindhelm | |
Rollenbild | Seite 22 |
Machtverzerrte GesichterDieter Kölsch spielt Papst Gregor VII. in "7 Tage Canossa"von Kathrin Tiedemann | |
Kinder- und Jugendtheater | Seite 24 |
Zielgruppe 4 bis 80Paula Bettina Mader, Dietrich Kunze und Manuel Schöbel im Gesprächvon Manuel Schöbel, Dietrich Kunze und Paula Bettina Mader | |
Schweiz | Seite 30 |
"Wir brauchen ästhetische Ohrfeigen"Die freie Theaterszene der französischsprachigen Westschweiz im Aufbruchvon Alexandre Demidoff | |
Ausland | Seite 34 |
Theater in Zeiten der website-KulturRobert Lepages "Sturm" un Brechtvon Pia Kleber | |
Gespräch | Seite 38 |
Barbara Engelhardt / Thomas Irmer: So wie es bleibt, ist es nichtGautam Dasgupta und Bonnie Marranca werfen einen amerikanischen Blick aufs deutsche Theatervon Barbara Engelhardt, Thomas Irmer, Bonnie Marranca und Gautam Dasgupta | |
Auftritt | |
Uraufführung von Thomas Jonigks "Täter"Hamburgvon Stefan Grund | Seite 42 |
Uraufführung von Rainald Goetz' "Jeff Koons"Hamburgvon Thomas Irmer | Seite 43 |
Frank Castorf inszeniert "Das obzöne Werk: Caligula"Berlinvon Barbara Engelhardt | Seite 44 |
"Caligula" in der Regie von Michael ThalheimerBaselvon Alfred Schlienger | Seite 45 |
Vera Kissel uraufgeführt / Nicolas Stemann inszeniert "Die Dollarprinzessin"Düsseldorfvon Ulrich Deuter | Seite 46 |
Roland Sprangers "Tiefseefische" / "Ecce Homo" von WisniewskiMeiningenvon Michael Truppner | Seite 47 |
Das deutsche Theater unter Mark ZurmühleGöttingenvon Jörg Buddenberg | Seite 49 |
"Kronprinz Friedrich" zur NeueröffnungRheinsbergvon Thomas Irmer | Seite 51 |
Peter Konwitschny inszeniert "Die Csárdásfürstin"Dresdenvon Frank Kämpfer | Seite 52 |
Theater zwischen Mailand und MünchenBozenvon Wilfried Passow | Seite 53 |
Kolumne | Seite 55 |
Lebt man eigentlich, während man im Theater sitzt?von Petra Kohse | |
Stück | Seite 56 |
DIE BRECHT-AKTEDt. von Ursula Grützmacher-Taborivon George Tabori | |
Magazin | |
Der ChefGustaf Gründgens hatte immer Rechtvon Dagmar Walach | Seite 73 |
Autorenforum für Kinder- und Jugentheatervon Barbara Engelhardt | Seite 74 |
Prager ExkursionenDas Festival deutscher Sprache macht gute Figurvon Heinz Kluncker | Seite 74 |
Russisches Kammertheater in Berlinvon Oliver Kranz | Seite 75 |
"Methodika" in Italienvon Andrea Gotzes | Seite 76 |
BücherRoland Koberg: Aller Tage Abenteuer, Henschel Verlag, Berlin 1999, 400 S. Mit zahlreichen Abb.von Thomas Irmer | Seite 76 |
BücherIstván Eörsi: Hiob proben und andere Stücke, Verlag der Autoren, Frankfurt/M., 1999, 204 S.von Martin Linzer | Seite 77 |
BücherIm Schatten Wagners. Thomas Mann über Richard Wagner. Frankfurt/M., 1999, fischer Taschenbuch Verlag, 360 S.von Nora Eckert | Seite 77 |
BücherErnst Barlach: Dramen II. Sämtliche Werke, Bd. 2 und 3, Leipzig: E.A. Seemann, 764 und 560 S.von Jens Knorr | Seite 78 |
BücherCd-Edition "Vertriebene deutsch/jüdische Schauspieler". Edition Mnemosyne/Verlag für alte Hüte & neue Medienvon Martin Linzer | Seite 78 |
Meldungen | Seite 79 |
Premierenkalender | Seite 81 |
Autoren | Seite 84 |
Impressum | Seite 84 |
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