Heft 06/2017
Schauspiel Leipzig
Martin Linzer Theaterpreis 2017
Broschur mit 96 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Wir sind die Roboter“. An diesen berühmten Song der Elektro-Pop-Band Kraftwerk muss man denken, wann man in Enrico Lübbes neuester Inszenierung „Die Maßnahme / Die Perser“ einem Chor aus rot-blau uniformierten, gesichtslosen Einheitsmenschen gegenübersitzt. Sind dies Avatare der modernen Arbeitswelt? Oder verweisen sie in ihrer Farbgebung auf die großen Jugendorganisationen der DDR, auf Junge Pioniere und FDJ? Enrico Lübbe jedenfalls ist mit Bert Brechts und Hanns Eislers „Die Maßnahme“, die er mit Aischylos’ „Persern“ koppelt, ein großer, nachdenklicher Abend über das Verhältnis von Mensch und Masse im Spannungsfeld einer alles unterordnenden Ideologie gelungen. Eine Inszenierung, die in einer ganzen Reihe bemerkenswerter Arbeiten steht, die in den vergangenen fünf Jahren unter Lübbes Intendanz am Schauspiel Leipzig entstanden sind. Grund genug, sie auf besondere Art und Weise zu würdigen. Erstmalig vergibt Theater der Zeit in diesem Jahr eine Auszeichnung für herausragende künstlerische Leistungen eines Ensembles im deutschsprachigen Raum. Der Preis ist dem langjährigen TdZ-Kritiker Martin Linzer gewidmet, der 57 Jahre lang für Theater der Zeit mit „intellektueller Wachheit und Noblesse“ Theaterkritiken schrieb, und wird durch einen jährlich wechselnden Alleinjuror vergeben. In diesem Jahr ist dies TdZ-Verlagsleiter Harald Müller. In diesem Sinne freuen wir uns, den Martin Linzer Theaterpreis 2017 an das Schauspiel Leipzig zu überreichen, dem wir in diesem Heft neben einem Interview mit Enrico Lübbe zwei Porträts über die beiden Leipziger Hausregisseure Claudia Bauer und Philipp Preuss widmen. Herzlichen Glückwunsch!
„Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn“. Diese Zeile aus einem weiteren Kraftwerk-Klassiker könnte der Soundtrack zu unserem zweiten großen Schwerpunkt in diesem Heft sein. Viele Kilometer haben unsere Korrespondenten hinter sich gebracht, um das Theaterland Baden-Württemberg zu vermessen. Anlässlich der Baden-Württembergischen Theatertage, die vom 30. Juni bis 9. Juli in Ulm stattfinden werden, haben wir Elisabeth Maier, Otto Paul Burkhardt, Björn Hayer und Bodo Blitz in die Metropolen und kleinen Städte, an den Bodensee und auf die Schwäbische Alb geschickt, um die theatrale Kartografie dieses drittgrößten Bundeslands vom kleinsten Stadttheater der Republik in Aalen bis zum größten Mehrspartenhaus in Mannheim zu erkunden.
„Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. Der Titel von Ilija Trojanows Roman klingt gewollt zynisch angesichts der derzeitigen globalen Verwerfungen. Marie Rötzer, neue Intendantin am Landestheater Niederösterreich, setzte nach dem von Sandy Lopičić inszenierten Auftakt der ersten Spielzeit gleich noch einen obendrauf: In Michel Decars „Schere Faust Papier“ twittern Politiker ihren Leichtsinn in die Welt. Das Landestheater habe sich, wie Margarete Affenzeller berichtet, in den letzten Jahren neben Graz und Linz zur drittwichtigsten Bühne außerhalb Wiens entfaltet.
Im Nachbarland Schweiz errichtet der Musiker Elia Rediger derweil eine fiktive Stadt ohne Namen, einen weißen Fleck, vergessen von der internationalen Gemeinschaft und gerade deshalb mit dem Potenzial, ein neues Miteinander zu kreieren. „Oh Boyoma – 387 Strophen über eine Stadt ohne Namen“ heißt sein Stück, das am 2. Juni am Konzert Theater Bern im Rahmen des Stück Labors Basel Premiere hat. Rediger hat begleitend dazu eine großformatige Postkarte entworfen, die diesem Heft beiliegt. Außerdem erscheint in der digitalen Theatermusik-Edition von Hook Music – dem Label von Theater der Zeit – die Musik aus „Oh Boyoma“. Download und Streaming bei iTunes, Spotify und allen anderen Online-Musikdiensten.
Während Elia Rediger in der Fiktion nach Zukunftsentwürfen sucht, tobt in Halle die Realität der Ebenen. Nachdem das neue Opernteam aus Florian Lutz, Veit Güssow und Michael von zur Mühlen mit einem ästhetisch radikalen Programm sehr erfolgreich gestartet ist, schlägt nun die Mitteldeutsche Zeitung reißerisch Alarm. Ein „Millionenloch“ von 1,5 Millionen Euro soll im Etat der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle (TOOH) klaffen, die MZ macht vor allem die Oper dafür verantwortlich. Sämtliche Zahlen sind vonseiten der TOOH bislang nicht bestätigt. Ist das Alarmismus oder Alarm?
Mit dieser Diskussion um gute Kunst und medialen Rumor verabschiedet sich die Redaktion von Theater der Zeit in die Sommerpause. Das Arbeitsbuch „Heart of the City II. Recherchen zum Stadttheater der Zukunft“ erscheint am 1. Juli. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen erholsamen Sommer. //
Die Redaktion
PDF-Download des Posters "Oh Boyoma" von Elia Rediger (Konzert Theater Bern) – 15 MB
Artikel | Seite |
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martin linzer theaterpreis | |
Martin Linzer Theaterpreis 2017Schauspiel Leipzig | Seite 6 |
Schauspiel Leipzigvon Harald Müller | Seite 7 |
Künstlerinsert: Inszenierungen und Installationenvon Philipp Preuss | Seite 8 |
TraumerzählungDer Regisseur und bildende Künstler Philipp Preuss über Gattungsmontagen, Überblendungen und die Freiheit der Kunst, sich zu verrätseln, im Gesprächvon Thomas Irmer und Philipp Preuss | Seite 12 |
Das mitleidlose Gefühl der PostmoderneDie Leipziger Hausregisseurin Claudia Bauer dekonstruiert die Grammatik des Theaters, um sie in neuer Perspektive wieder zusammenzusetzenvon Hartmut Krug | Seite 14 |
Der Riss im BildDer Intendant des Schauspiels Leipzig, Enrico Lübbe, über Theater als gesellschaftliche Selbstverständigung und die Spur der Wut im Gesprächvon Gunnar Decker und Enrico Lübbe | Seite 18 |
Kolumne | Seite 21 |
Bon Appetit, Deutschland!von Josef Bierbichler | |
thema II: theaterland baden-württemberg | |
Wo Gefahr ist, wächst das RettendeDas Theaterland Baden-Württemberg zwischen Krisenindizien und Neugewichtungvon Otto Paul Burkhardt | Seite 22 |
Ein bisschen Ruhe vor dem SturmBurkhard C. Kosminski, der designierte Intendant des Schauspiels Stuttgart, über das Revolutionspotenzial des Schwaben im Gespräch mit Otto Paul Burkhardtvon Otto Paul Burkhardt und Burkhard C. Kosminski | Seite 26 |
Der SupertankerMal fluchend, mal singend – Auf der Dramaturgenbrücke des Badischen Staatstheaters Karlsruhevon Konstantin Küspert | Seite 28 |
Am Ende der SaturiertheitDer Heidelberger Stückemarkt 2017 geht den Gefährdungslagen unserer Zeit nachvon Björn Hayer | Seite 30 |
Eine Frage der HaltungKonfrontation oder Integration? Pforzheim und Mannheim zeigen, wie Theater und Migration zusammenpassenvon Björn Hayer | Seite 32 |
„In Stadthallen lässt sich kein neues Publikum generieren“Die drei Intendanten der baden-württembergischen Landesbühnen Carsten Ramm, Friedrich Schirmer und Thorsten Weckherlin im Gespräch mit Elisabeth Maiervon Carsten Ramm, Thorsten Weckherlin, Elisabeth Maier und Friedrich Schirmer | Seite 34 |
Kleines Haus, große KunstFlache Hierarchien, Offenheit und Transparenz – Das Zimmertheater Tübingenvon Jakob Hayner | Seite 37 |
Vernetzte KulturenAalen, Baden-Baden, Ulm, Heilbronn – Eine Reise durch die baden-württembergische Theaterlandschaftvon Elisabeth Maier | Seite 38 |
Schwäbisch-SibirienZwischen Heimweh und Hinausweh – Der Melchinger Lindenhofvon Otto Paul Burkhardt | Seite 41 |
Utopie als SuchbewegungDas Theater Freiburg gestaltet Zukunft und bewältigt dabei den Abschied von Ensemble und Intendanzvon Bodo Blitz | Seite 42 |
Alles wird UferAnspruchsvoll unaufgeregt – Die Programmatik des Zimmertheaters Rottweilvon Otto Paul Burkhardt | Seite 45 |
Theater als Kultur- oder als Kunstbetrieb?Johanna Wehner, Regisseurin und Oberspielleiterin am Stadttheater Konstanz, im Porträtvon Bodo Blitz | Seite 46 |
Protagonisten | |
Handwerk und KritikBarbara Ehnes und Kattrin Michel über den Studiengang Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste Dresden im Gespräch mit Nicole Gronemeyervon Nicole Gronemeyer, Barbara Ehnes und Kattrin Michel | Seite 48 |
Eine Bombe zum Kaffee?Unter der neuen Intendanz von Marie Rötzer twittern Politiker am Landestheater Niederösterreich ihren Leichtsinn in die Welt und ein Friedenschor wartet auf seinen Auftrittvon Margarete Affenzeller | Seite 50 |
Die Kunst des Theater-ZensMit Maß und Mitte brachte Dagmar Schlingmann das Saarländische Staatstheater während ihrer zehnjährigen Intendanz wieder ins Spiel. Eine Bilanzvon Björn Hayer | Seite 52 |
Heimat hoch zweiDas Apollo-Theater Siegen hat sich in den zehn Jahren seit seiner Gründung zu einem Ort entwickelt, der Identität und Differenz ausspieltvon Martin Krumbholz | Seite 54 |
Aus allen TälernFünf Jahre Tiroler Landestheater unter der Intendanz von Johannes Reitmeiervon Ursula Strohal | Seite 56 |
Look Out | |
Potenziert feinfühligDie Kölner Schauspielerin Sophia Burtscher besticht in ihren Rollen durch Sensibilität und einen subtilen Sinn für Komikvon Martin Krumbholz | Seite 58 |
Mephistoland EuropaDer ungarische Regisseur András Dömötör spiegelt in energiegeladenen Inszenierungen die Gegenwart Europasvon Anna Volkland | Seite 59 |
Auftritt | |
Bern: Die Entzifferung des VerworfenenKonzert Theater Bern: „Die Reise von Klaus und Edith durch den Schacht zum Mittelpunkt der Erde“ von Lukas Bärfuss. Regie und Bühne Claudia Meyer, Kostüme Barbara Kurthvon Harald Müller | Seite 63 |
Braunschweig: Wofür kämpfen?Staatstheater Braunschweig: „Überzeugungstäter“ (UA) von Auftrag : Lorey. Projektleitung Auftrag : Lorey. Bühne Marvin Ott, Carla Maria Ringleb, Kostüme Carlotta Oettervon Theresa Schütz | Seite 63 |
Bremen: Räuberjagd mit OhrstöpselnTheater Bremen: „Still out there“ von kainkollektiv. Regie Fabian Lettow und Mirjam Schmuck, Choreografie Ina Sladic, Ausstattung Alexandra Tivigvon Alexander Schnackenburg | Seite 64 |
Essen: Recht auf Rettung?Schauspiel Essen: „Umständliche Rettung“ (UA) von Martina Clavadetscher. Regie Thomas Ladwig, Ausstattung Martina Stoianvon Lisa Kerlin | Seite 65 |
Jena: Castros EnkelTheaterhaus Jena: „Die Stiere“ (UA) von Marcos Díaz und Rogelio Orizondo. Regie Moritz Schönecker, Ausstattung Benjamin Schönecker und Veronika Bleffertvon Lilli Helmbold | Seite 67 |
Senftenberg: Der Lange-nachder-Wende-BluesNeue Bühne Senftenberg: „Sterne über Senftenberg“ (UA) von Fritz Kater. Regie Dominic Friedel, Ausstattung Peter Schickartvon Thomas Irmer | Seite 68 |
Stück | |
Elia Rediger: „Oh Boyoma – 387 Strophen über eine Stadt ohne Namen“ | Seite 69 |
Reformation auf PlattdeutschHolger Teschke über sein neuestes Stück „Leben und Sterben des Kaplans Joachim Slüter zu Rostock“ im Gespräch mit Gunnar Deckervon Gunnar Decker und Holger Teschke | Seite 70 |
Leben und Sterben des Kaplans Joachim Slüter zu Rostock (Auszüge)von Holger Teschke | Seite 72 |
Magazin | |
„Es gibt kein Kinder- und Jugendtheater als eigene Sparte“Fazit der 27-jährigen Ära Podt / Schmidt an der Münchner Schauburgvon Christoph Leibold | Seite 83 |
Schauspieler in virtuellen SchleifenEuropäische Künstler denken in Karlsruhe über Theater und digitale Medien nachvon Elisabeth Maier | Seite 84 |
kirschs kontexte: Er ist zu Schiff nach FrankreichZum Ende kommenvon Sebastian Kirsch | Seite 85 |
Hörspiel als GegengattungDer Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Lucas Derycke für „Screener“von Thomas Irmer | Seite 86 |
Mit lässiger SachlichkeitZum Tod des Dramaturgen und Theatertheoretikers Hans-Joachim Ruckhäberlevon Stefan Hageneier | Seite 87 |
Nächtliche AktionWilliam Minke: No Way Home. Volksbühne 2004 – 2017. Herausgegeben von Betty Fink und Laura Benz, Kerber Verlag, Bielefeld 2017, 288 S., 30,00 EUR.von Thomas Irmer | Seite 88 |
Wohltuend unzeitgemäßAlvis Hermanis (English edition). Herausgegeben von Laima Slava. Neputns, Riga 2016, 640 S., 49,00 EUR.von Erik Zielke | Seite 89 |
Die Sprachströme des Valère NovarinaValère Novarina: Die Rede an die Tiere. Übersetzt von Leopold von Verschuer, Matthes & Seitz, Berlin, 2017, 98 S., 12,00 EUR.von Tom Mustroph | Seite 89 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 90 |
TdZ on Tour | Seite 91 |
PremierenJuni 2017 | Seite 92 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 95 |
Autoren Juni 2017 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 96 |
Was macht das Theater, Oper Halle?von Dorte Lena Eilers und Oper Halle |
Margarete Affenzeller
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Barbara Ehnes
Dorte Lena Eilers
Nicole Gronemeyer
Stefan Hageneier
Björn Hayer
Jakob Hayner
Lilli Helmbold
Thomas Irmer
Lisa Kerlin
Sebastian Kirsch
Burkhard C. Kosminski
Hartmut Krug
Martin Krumbholz
Konstantin Küspert
Christoph Leibold
Enrico Lübbe
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