Kommentar

Renovierungsbedürfnisse

Anmerkungen zu Susanne Winnackers Kommentar zur Schauspielausbildung

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„Die Schauspielausbildung gehört dringend renoviert“, titelt Susanne Winnacker, Rektorin der Hochschule für Musik und Theater Rostock, im Oktoberheft von Theater der Zeit. Das jüngste Treffen der deutschsprachigen Schauspielschulen in Bern im vergangenen Juni machte erlebbar, wie tief wir bereits in diesen Renovierungsprozessen stecken. Wie andere auch, „renovieren“ wir Berner die Schauspielausbildung bereits seit zehn Jahren. Angesichts der bereits vollzogenen tiefgreifenden Veränderungen, die den Kinderschuhen längst entwachsen sind und sich bereits in einer detaillierten Korrektur- und Vertiefungsphase befinden, freue ich mich aufrichtig, dass nun auch Rostock sich auf den Weg gemacht hat. Doch ist renovieren im Grunde der falsche Ausdruck. Wer nur renoviert, hat weder die Problematik noch die Chancen begriffen.

PENG! Palast
Foto: PENG! Palast

Der Spagat zwischen solide vermitteltem Handwerk und der Fähigkeit zu individueller Kreativität ist vielerorts längst zu einer lustvollen Übung geworden. Viele solcher Beispiele erregen bereits öffentliches Interesse. Cornelius Danneberg entwickelte an der Schauspielschule Bern seine Philosophie der Sprache und hat an der Badischen Landesbühne damit großen Erfolg. Sein Stück „Zwischen Strom und Gestein“ schrieb er als Abschlussarbeit seines Studiums, inszenierte es selbst und spielt es nun auch im Spielplan der Landesbühne. Dennis Schwabenlands Truppe PENG! Palast bringt ihre Bühnenproduktion „the holycoaster s(HIT) circus“ gerade als Film in die Kinos, und Julia Gräfner spielt am Schauspielhaus Graz eine Julia, wie sie wohl noch kein Romeo erblickte. Berner Nischendenken?

Sicher nicht! Wir sind nur auf ein verbreitetes Praxisbedürfnis eingegangen, welches vielerorts schlummert. „Muttis Kinder“, bestehend aus drei Rostocker Absolventen, touren schon lange erfolgreich, und Julia Schubert, auch klassisch in Rostock ausgebildet, reißt nun am Schauspiel Dortmund als Regisseurin das traditionelle Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauer ein und zeigt eine Installation aus neun simultanen Spielorten. „Heimliche Helden – Anatomie eines Großraumbüros“ läuft seit Oktober.

Na bitte, wird mancher rufen, es geht doch auch ohne große Reformen. Nein, es geht um eine andere Frage. Wie können wir mit unseren Studierenden für einen Markt arbeiten, der sich heterogener denn je zusammensetzt? Klassische Stoffe teilen sich die Bühnen wie selbstverständlich mit dokumentarischen und autobiografischen Stoffen, um nur diese Beispiele zu nennen. Wie gehen wir an unseren Schulen damit um, dass wir mit den bewährten Denk-Sprech-Prozessen nicht mehr alle Fragen beantworten können? Wir suchen schon lange nach neuen Ausbildungsstrukturen, weil der Markt es verlangt und ermöglicht, und wir wollen unsere Absolventen dauerhaft ins Geld bringen. Das ist unsere Verantwortung. Machen wir uns nichts vor: Viele von uns arbeiten noch für ein tradiertes Stadttheaterbild. Aber es ist eine wundervolle Aufgabe, unsere Studierenden mit eigenen Ideen in die Praxis zu entsenden, die sie in der Ausbildung bereits entwickeln und ausprobieren konnten. So tragen wir dazu bei, dass sich das Theater weiter an der Realität reibt und sich neue Stoffe, Mittel und Formen erst entwickeln dürfen, ehe sie im Alltag ihre Tauglichkeit zu beweisen haben.

Dafür allerdings müssen wir uns als Professoren und Dozierende zuerst selbst verändern. Wir haben uns aus den lieb gewonnenen Komfortzonen herauszuarbeiten. Wir in Bern stellen uns seit Langem diesem Thema, forschen, probieren aus und stellen uns direkt der Auseinandersetzung mit der Praxis. Das Curriculum steht dauerhaft auf dem Prüfstand. Dabei sollte klar sein: Es ist ein langer Entwicklungsweg. Eine Strukturveränderung allein bewirkt nichts. Aber ich kann versichern, es ist eine Freude, wenn dadurch unsere Arbeit an den Schulen kreativer und befriedigender wird. Susanne Winnacker begibt sich nun auch in Rostock in diese lebendige Realität. Ich freue mich darüber und lade alle herzlich ein, an dieser Auseinandersetzung teilzuhaben. //

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/2016/11/34444/komplett/