Heft 02/2018
Wovon lebt der Mensch?
Wolfgang Engler und Klaus Lederer
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Eingang. Ausgang. In Zeiten ausufernder Sondierungsgespräche und parteiinterner Krisen werden selbst Ämter zu symbolisch raunenden Räumen. Auf der Suche nach einem geeigneten Setting für unser Coverbild hätte sich kein passenderes Requisit finden können als der achtlos beiseitegerollte Postwagen in der Senatsverwaltung für Kultur und Europa in Berlin. Eingang. Ausgang. Was kommt rein, was geht raus? Tatsächlich sind es solche Grundsatzfragen, vor denen die etablierten Parteien angesichts des Wahlerfolgs der AfD gerade stehen. Auch die Linke sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, zugunsten von Identitäts- und Diversitätspolitik die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft vernachlässigt zu haben. Muss sich die Linke parteipolitisch also neu konstituieren? Darüber sprachen Berlins Kultursenator Klaus Lederer und der Soziologe Wolfgang Engler in unserem Schwerpunkt. Die neoliberale Hegemonie mit einer anderen, neuen Erzählung infrage zu stellen, darin sieht Lederer die Chance für „eine ganz neue Linke, die als zentralen Widerspruch nicht den zwischen Kapital und Arbeit erkennt, sondern die inneren Widersprüche des Kapitalverhältnisses selbst sieht“. Auch die Kunst müsse sich vor dem Gestus der Neoliberalisierung schützen. Sie laufe Gefahr, ohne Kanten überall gleich zu sein, leicht konsumierbar, austauschbar. „Primat der stayer vor dem Jetset“, fordert Wolfgang Engler – auch im Hinblick auf das neue Programm der Volksbühne Berlin, die ihrem Namen nicht mehr gerecht wird.
Die Bühnen der Politik und der Kunst sind sich auch deshalb so nah, weil hier wie dort Sprache ein entscheidender Faktor ist. Sprache determiniert Wahrnehmung, argumentiert Lukas Franke in seinem Kommentar mit Ludwig Wittgenstein und eröffnet damit seine kritische Analyse der Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit um Philipp Ruch, das jüngst mit einem Nachbau des Holocaust-Mahnmals vor dem Wohnhaus des AfD-Politikers Björn Höcke wieder einmal für Schlagzeilen sorgte. Die Aktion war freilich als Protest gedacht und doch weise sie, so Franke, eine zweifelhafte Nähe zum Denken und Auftreten der Neuen Rechten auf. „Was ihre Rhetorik angeht, so haben sich in Höcke und Ruch zwei Antagonisten gefunden, die sich auf der begrifflichen Ebene durchaus gut verstehen. Wo Höcke von der ‚moralischen Pflicht‘ sogenannter Patrioten spricht, kontert Ruch mit der ‚heiligen Pflicht‘ derer, die er Humanisten nennt.“ Auch Bernd Stegemann überführt rechte und linke Denker in seiner Analyse der Bücher „Mit Rechten reden“ und „Mit Linken leben“ einer ähnlichen Strategie. Das Ausnutzen bürgerlicher Wut durch entsprechende Rhetorik führe zu einer unergiebigen Moralisierung der Politik. Wie schnell tatsächlich die Hinwendung von links nach rechts erfolgen kann, zeigt unser Stückabdruck in diesem Heft. In „Zweikampf“ lässt der Berliner Schriftsteller Ralph Hammerthaler mit Anton und Georg zwei einstige Freunde auftreten, die früher gemeinsam in der SPD aktiv waren – heute steht Georg politisch rechts. Der Historiker Volker Weiß diskutiert im Gespräch mit dem Autor über den Erfolg der Neuen Rechten.
Um Affekte im gesellschaftlichen und politischen Raum geht es sowohl unserer Kolumnistin Kathrin Röggla als auch der Bühnenbildnerin Katrin Wittig. Deren Arbeiten zeigen wir in unserem Künstlerinsert. Und auch Stefan Rosinski zeigt sich als ein Experte in Sachen Affekt. Dirk Laucke kommentiert einen Artikel des Geschäftsführers der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle (TOOH), den dieser im Mai 2017 in der Zeitschrift Merkur veröffentlichte. Darin schließt der TOOHChef den Ruf nach „echter“ Kunst mit dem Potenzial neoliberaler Managementstrategien kurz. Ein Schelm, wer darin eine weitere Harke gegen das neue Team der Oper Halle sieht, mit dem Rosinski seit vergangenem Sommer im Clinch liegt.
Derartige Streitigkeiten auf offener Bühne liegen Barbara Nüsse fern. Die große Diva des Thalia Theaters Hamburg, die im Februar ihren 75. Geburtstag feiert, verfügt über die Fähigkeit, das Eigene stark zu machen – ohne dabei aufzuhören, Mitspielerin zu sein, schreibt Gunnar Decker. Wir gratulieren aufs Herzlichste. //
Die Redaktion
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Künstlerinsert | |
Bühnenräumevon Katrin Wittig | Seite 4 |
Im Sog der StadtIn den Bühnenräumen von Katrin Wittig werden Zuschauer zu Mitbewohnern – ein Gesprächvon Dorte Lena Eilers und Katrin Wittig | Seite 8 |
Thema | |
Mehr als Gegenwart plus ZinssatzBerlins Kultursenator Klaus Lederer und der Soziologe Wolfgang Engler über die notwendige Neuausrichtung der Linken und den Streit um die Berliner Volksbühne im Gesprächvon Wolfgang Engler und Klaus Lederer | Seite 11 |
Über die dramatische Situation unserer Zeit„Mit Rechten reden“ und „Mit Linken leben“ – Wenn Moralisierung zum Verhängnis wirdvon Bernd Stegemann | Seite 16 |
In MoralgewitternDie problematischen Parallelen in der Sprache des Zentrums für Politische Schönheit und ihres jüngsten Gegners, des AfD-Politikers Björn Höckevon Lukas Franke | Seite 19 |
Protagonisten | |
Frau ProsperoDer Schauspielerin Barbara Nüsse zum 75. Geburtstagvon Gunnar Decker | Seite 20 |
Randnotiz zu quasibarockem BlablaÜber den Theaterstreit in Hallevon Dirk Laucke | Seite 24 |
Eins und eins ist dreiDer japanische Regisseur Kuro Tanino vermisst die Abgründe von Seele und Verstandvon Renate Klett | Seite 28 |
Kolumne | Seite 31 |
Von Podiumsbewohnernvon Kathrin Röggla | |
Protagonisten | |
Der weiße SchattenDas Schauspiel Wuppertal wurde immer wieder totgesagt – Der neue Intendant Thomas Braus ist dabei, dies zu ändernvon Martin Krumbholz | Seite 32 |
Plan AUnter dem Motto „Sinnsucht“ startet das Theater Augsburg in seine erste Spielzeit unter dem neuen Intendanten André Bückervon Christoph Leibold | Seite 34 |
Kein ZuliefermodellSchauspielausbildung heute – Regina Guhl und Florian Reichert im Gespräch mit Jakob Haynervon Regina Guhl, Jakob Hayner und Florian Reichert | Seite 36 |
Auftritt | |
Berlin: Spielt!Deutsches Theater: „Die Zofen“ von Jean Genet. Regie Ivan Panteleev, Ausstattung Johannes Schützvon Dorte Lena Eilers | Seite 41 |
Bern: Sackgassen überallKonzert Theater Bern: „Die Toten“ (UA) nach dem Roman von Christian Kracht. Regie Claudia Meyer, Bühne Konstantina Dacheva und Claudia Meyer, Kostüme Barbara Kurthvon Harald Müller | Seite 41 |
Düsseldorf: Der geläuterte BürgerDüsseldorfer Schauspielhaus: „Stützen der Gesellschaft“ von Henrik Ibsen. Regie Tilmann Köhler, Bühne Karoly Risz, Kostüm Susanne Uhlvon Martin Krumbholz | Seite 42 |
Göttingen: Die Marke MarilynDeutsches Theater: „America First“ (UA) von Christoph Klimke. Regie Erich Sidler, Bühne Florian Barth, Kostüme Bettina Latschavon Joachim F. Tornau | Seite 44 |
Köln: Selbstvergewisserung im KampfSchauspiel Köln: „Hool“ von Nuran David Calis nach dem Roman von Philipp Winkler. Regie Nuran David Calis, Bühne Anne Ehrlich, Kostüme Tine Beckervon Martin Krumbholz | Seite 45 |
Mannheim: Zugfahrt in die EishölleNationaltheater Mannheim: „paradies spielen (abendland. ein abgesang)“ (UA) von Thomas Köck. Regie Marie Bues, Ausstattung Pia Maria Mackertvon Björn Hayer | Seite 46 |
München: Viel Lärm um nichtsMünchner Kammerspiele: „Trommeln in der Nacht“ von / nach Bertolt Brecht. Regie Christopher Rüping, Bühne Jonathan Mertz, Kostüme Lene Schwindvon Maximilian Schäffer | Seite 47 |
Potsdam: Flüchtige Bilder einer JugendHans Otto Theater: „Skizze eines Sommers“ (UA) nach dem Roman von André Kubiczek. Regie Niklas Ritter, Ausstattung Bernd Schneidervon Hannah Klein | Seite 48 |
Ulm: Ramazotti und die Angst vorm HindukuschTheater Ulm: „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz. Regie Andreas von Studnitz, Ausstattung Mona Hapkevon Björn Hayer | Seite 49 |
Zürich: Seid umschlungen, BillionenSchauspielhaus Zürich: „Mir nämeds uf öis“ (UA) von Christoph Marthaler und Ensemble. Regie Christoph Marthaler, Bühne Duri Bischoff, Kostüme Sara Kittelmannvon Barbara Villiger Heilig | Seite 50 |
Stück | |
Die Geister der VergangenheitDer Historiker Volker Weiß und der Autor Ralph Hammerthaler im Gespräch über das Stück „Zweikampf“, die Neue Rechte und Botho Strauß als Kultfigur in reaktionären Kreisenvon Ralph Hammerthaler und Volker Weiß | Seite 52 |
Zweikampfvon Ralph Hammerthaler | Seite 54 |
Magazin | |
Heimat als Idee oder IdeologieDie neu eröffnete Spielstätte Diskothek am Schauspiel Leipzig forciert Debattenvon Gunnar Decker | Seite 67 |
Ein zärtlicher BerserkerNachruf auf den Schauspieler Michael Lucke von Wolfram Kochvon Manfred Koch | Seite 68 |
Große GesteFür Günther Heeg, Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig, anlässlich seiner Emeritierungvon Gerald Siegmund | Seite 69 |
Weder zeigen noch verbergenEin Forschungsworkshop in Bern erkundet das Sprechen im gegenwärtigen Theater – ein Teilnehmerberichtvon Frank Schubert | Seite 70 |
Reisebüro Rinck: Die Heimkehrvon Monika Rinck | Seite 71 |
Unter dem Himmel einer einzigartigen IdeeIn die Luft schreiben. Luc Bondy und sein Theater. Hg. von Geoffrey Layton im Auftrag der Akademie der Künste, Berlin. Mit Fotografien von Ruth Walz. Alexander Verlag, Berlin 2017, 320 S., 30 EUR.von Martin Krumbholz | Seite 72 |
Allerlei AnderesAndreas Englhart: Das Theater des Anderen. Theorie und Mediengeschichte einer existenziellen Gestalt von 1800 bis heute. transcript Verlag, Bielefeld 2017, 502 Seiten, 39,99 EUR.von Vincent Sauer | Seite 72 |
Festgehaltene ErinnerungenGroßes Berliner Theater – Vol. 4. Hommage an starke Frauen – große Schauspielerinnen. Drei Schwestern – Der Menschenhasser – Egmont. Hg. von Hans-Dieter Schütt. Studio Hamburg Enterprises, Hamburg 201von Gunnar Decker | Seite 73 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 74 |
PremierenFebruar 2018 | Seite 76 |
TdZ on Tour | Seite 78 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren Februar 2018/Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Ene-Liis Semper?von Thomas Irmer und Ene-Liis Semper |
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Wolfgang Engler
Lukas Franke
Regina Guhl
Ralph Hammerthaler
Björn Hayer
Jakob Hayner
Thomas Irmer
Hannah Klein
Renate Klett
Manfred Koch
Martin Krumbholz
Dirk Laucke
Klaus Lederer
Christoph Leibold
Harald Müller
Florian Reichert
Monika Rinck
Kathrin Röggla
Vincent Sauer
Maximilian Schäffer
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Ene-Liis Semper
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