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Something is rotten

Christian Friedel, Schauspieler und Sänger der Band Woods of Birnam, über sein Konzert- Theater-Hörspiel-Projekt „Searching for William“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilers

von und

Christian Friedel, „Frontman Hamlet“ lautete 2013 der Titel unserer Märzausgabe von Theater der Zeit, in der wir Sie zum ersten Mal nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Musiker porträtierten. Ihr Hamlet ist in der Inszenierung von Roger Vontobel am Staatsschauspiel Dresden Sänger einer Band, Ihrer Band: Woods of Birnam, die wiederum nach dem berühmten Wald in „Macbeth“ benannt ist. Nun geht es mit Ihrem neuesten Projekt „Searching for William“ weiter. Sie kommen von Shakespeare offenbar nicht los. 

Mich hat die Welt Shakespeares schon als Kind gefesselt, diese Geschichten, die ja auf der einen Seite immer etwas Fantastisches haben wie der Geist in „Hamlet“, der sagt „du musst mich rächen“. Das hat durchaus etwas von Fantasy-Blockbuster-Kino. Auf der anderen Seite gibt es diese unglaublich starke Sprache, die beim mehrmaligen Hören und jetzt auch Sprechen mit einem reift. Wenn man älter wird, entdeckt man die ganzen Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten, die in den Figuren liegen.


Christian Friedel als Elisabeth, Kostüm: Ellen Hofmann, Foto: Clemens Walter
Christian Friedel als Elisabeth, Kostüm: Ellen Hofmann, Foto: Clemens Walter

Warum aber die Verbindung mit Musik?
Ich habe Musik und Schauspiel immer parallel gemacht, die Theatralität ist daher unweigerlich Teil meiner Musik geworden. Als wir 2011 in Dresden unsere Band gründeten, stießen beide Welten, Theater und Musik, in einer neuen Komplexität konstruktiv aufeinander. Unser Bandname Woods of Birnam verbindet daher Theatralität mit dem universellen Bild eines Waldes, der beweglich ist und vielfältige Möglichkeiten offenbart.

Der aber auch ganz schön düster ist. „Macbeth wird nie besiegt, bis einst hinan / Der große Birnams-Wald zum Dunsinan / Feindlich emporsteigt“, heißt es in der Vorhersehung.
Genau. Als Band wollen wir beweglich bleiben, in alle Richtungen offen und uns der Opulenz und Theatralität nicht schämen, auch dunkle und helle Seiten des Lebens beleuchten. All die Songs, die für „Hamlet“ entstanden sind, habe ich vorrangig mit der Überlegung geschrieben, wie Hamlet sie komponieren würde. Das war für mich neu, Songs aus der Sicht einer Figur zu komponieren. Auch zu einem Folgeprojekt in Dresden, Martin Heckmanns „Die Zuschauer“, lieferten wir Shakespeare-Songs. All diese Kompositionen wollen wir nun auf einer Platte bündeln. Aus dem Bandkontext entstand die Idee, das Ganze auch visuell umzusetzen. Theater trifft Konzert trifft Hörspiel.

Wie haben Sie die Auswahl an Texten getroffen?
Ich habe versucht, die bereits existierenden Songs, soweit es möglich ist, inhaltlich zu verbinden. Zudem gibt es eine Gegenüberstellung von gesungenen und gesprochenen Sonetten. Das fand ich spannend, wenn man sich mit der Sprache Shakespeares im Original auseinandersetzt.
Inhaltlich ist es ein Abend, der viel über Sehnsüchte, über Liebe, über das Verlassensein erzählt. Die Theaterfiguren Hamlet und Macbeth bekommen dabei eine besondere Bühne. Über die Sonette, die ja viel von Sehnsüchten handeln, kommt man zu Hamlet, der den Tod seines Vaters verarbeiten muss, der aber im „The Spade Song“, dem Song der Totengräber, damit konfrontiert wird, dass es auch einen anderen Umgang mit dem Tod gibt als den eigenen großen Schmerz.
Und plötzlich steht dieser Geist vor ihm, bei dem man sich inszenatorisch natürlich immer fragt, was kann das sein? Ist das eine Vision? Ist das ein Rausch? Glaubt man wirklich an diesen Geist? In unserem Projekt brechen wir die Szene ab, wenn der Geist sagt, du musst mich rächen. Zurück bleibt das große Gefühl des Verlassenseins. Und da knüpfen wir die Brücke zu Desdemona. Kurz vor ihrem Tod hat sie so etwas vollkommen Offenes, die Brust ist offen, wie es zum Beispiel auf dem Cover von Björks jüngstem Album zu sehen ist. Björk reißt ihre Brust auf und sagt: So, hier habt ihr mein Herz und meine Seele. Mein inneres Gleichgewicht ist dahin.
In dem Moment jedoch, wo man sich extrem öffnet, entsteht möglicherweise wieder eine Sehnsucht nach Abstraktion, nach etwas Überhöhtem, das einen aus der größten Not retten könnte. So landet man im „A Fairy Song“ über einen kurzen puckhaften Moment in einer Fantasie-Welt, die indes wiederum in harte Realität kippt. Wir sind bei Macbeth und den Hexen. Macbeth steht auf dem Schlachtfeld und muss versuchen, sich mit letzter Kraft, mit letztem Willen und Stolz seinem Gegner zu stellen.
Wenn Leute sterben, so heißt es, fallen ihre Masken. Manche Menschen erkennen erst da die Essenz ihres Lebens, das, was sie wirklich ausmacht. Eigentlich viel zu spät. Im Grunde genommen sehe ich dieses Bild auch bei Macbeth. Wir landen nach diesem Teil in einer Klarheit, wo man sagt: Vielleicht ist es wichtiger, im Hier und Jetzt nach der eigenen Essenz im Leben zu suchen. Ich habe am Schluss ein Zitat aus „Heinrich IV.“ eingefügt: „The time of life is short! / To spend that shortness basely were too long“ – „Des Lebens Zeit ist kurz: / Die Kürze schlecht verbringen, wär‘ zu lang‘“. Ich glaube, das ist gerade für eine Dresdner Band angesichts all des Hasses und der Hetze eine wichtige Botschaft.

Sie verwenden in der Inszenierung Videosequenzen von, wie es im Skript heißt, aktuellen Ereignissen. Was wollen Sie da zeigen?
Wir wollen an ein paar Stellen die Brücke ins Heute schlagen, ohne den Zeigefinger zu bemühen. Bei „Something Is Rotten“ heißt es „Etwas ist faul im Staate Dänemark“, aber eigentlich ist etwas faul auf der ganzen Welt und nicht nur „etwas“. Das zu zeigen in unserer digitalen Zeit, wo man mit Bildern nur so bombardiert wird, ist ein Versuch, eine Gratwanderung. Die musikalische Sprache ist an Punk angelehnt, ein Aufschrei. Es soll nicht nur um das persönliche Problem einer Figur gehen, an die das Publikum alles delegieren kann. Wir alle sind gemeint. Warum schreien wir nicht auch?

Nun ist Shakespeares Sprache unglaublich stark. Man sagt jedem Librettisten: „Schreib weniger, wir brauchen Platz für Musik.“ Wie komponieren Sie?
Bei „Hamlet“ wollten wir die Essenz in eine Emotion umsetzen. Deswegen war zum Beispiel bei „I’ll Call Thee Hamlet“ immer klar, dass das der Refrain wird. Dieser verzweifelte Ruf nach dem toten Vater. Bei den Sonetten muss man aufpassen, den Inhalt nicht zu verlieren. Als ich die Sonette für unser Album mit einem Muttersprachler eingesprochen habe, hat er immer gesagt, die Pause sei zu lang, man verliere den Zusammenhang einer Zeile, während ich immer an die Gedichtform dachte, immer schön auf das Ende zu. Du musst aber manches zusammenziehen und das ist in der Musik manchmal schwierig. Trotzdem haben wir versucht, oftmals in der Struktur eines modernen Popsongs, Strophe-Refrain, C-Teil, Interlude, es so zu gestalten, dass ein musikalisch spannendes Verhältnis entsteht, ohne dass die Struktur durch den Text zu rezitativisch wird. Da muss man viel ausprobieren.

Prinzipiell stehen Ihnen alle Stile und Genres offen?
Wir lieben diese Freiheit. Es gibt eine große Welt und eine große Sprache und man kann dem so vielschichtig wie möglich begegnen. „Seals of Love“ ist zum Beispiel ein bisschen R’n‘B-mäßig geworden, ist aber in Shakespeares Stück „Maß für Maß“ eigentlich die Überhöhung eines unerträglichen Liebesliedes. Marianna unterbricht den Knaben, der singt, irgendwann nach dem Motto: Das ist mir jetzt aber ein bisschen zu schmalzig. Wir haben überlegt, ob wir es humorvoll gestalten oder den Text in ein Genre packen, das ernsthaft mit Überhöhungen von Gefühlen arbeitet.

Pop …
… oder Soul, der den Deutschen ja leider etwas abgeht. Dieser Text ist für Shakespeare-Verhältnisse so simpel, aber auch mit Absicht. Wir wollten da eine Coolness reinbringen.

Das heißt, wo man im Theater anfangen würde, mit Humor zu arbeiten oder gar Ironie, kann die Musik einen Schritt weitergehen?
Musik bietet von vornherein die Möglichkeit, in Kontrasten zu denken. Gleichzeitig erleichtert sie den unmittelbaren Zugang.

Es besteht aber auch die Gefahr, alles zu verkitschen.
Ja, vor allem wenn man Inhalt und Musik auf einen Ausdruck begrenzt. Man sollte sie allerdings auch nicht überfrachten.

Dennoch hatte ich beim Hören das Gefühl, gleich eine ganze Landschaft zu betreten. Sie nannten es Hörspiel. Es gibt Momente, wo sich Rhythmen plötzlich in Kriegsgeräusche verwandeln, in das Marschieren einer Armee.
Genau, mit diesen Effekten wollen wir spielen, mit Atmosphären, den unbegrenzten Möglichkeiten eines Theaterraums. Wir denken, der Krieg sei weit weg. Jetzt werden wir mit vielen Flüchtlingen konfrontiert, die klar die Folgen von unmenschlicher Gewalt und Krieg aufzeigen. Diese Menschen suchen ein friedliches Zuhause, wo sie nicht bombardiert werden. Sie wollen all diese schrecklichen Bilder und eben auch Geräusche vergessen. Es ist natürlich naiv und auch dreist, zu glauben, man könne wenigstens einen Teil dieser Atmosphären einem Publikum nahebringen. Aber Theater versucht ja, eine künstlerische Übersetzung zu finden. Eigentlich ist der „Macbeth“-Part in meiner Vorstellung ein Teil, wo alle in einem Hexenkessel sitzen und alle spüren den aufkommenden Krieg und das nahende Unheil. Zum Glück ist es Theater und zum Glück ist es nie zu spät, für Frieden und Toleranz zu kämpfen. //

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/2016/12/34495/komplett/