Heft 03/2013
Frontmann Hamlet
Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel
Broschur mit 76 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
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Vor ein paar Jahren stellte Friedrich Kittler die These auf, Popstars verkörperten den wiedergekehrten Dionysos als elektrifiziertes Format. Nun sei dem Pop die metaphysische Aufwertung seiner Helden gegönnt, hatte doch bereits Martin Heidegger hervorragenden Fußballspielern den Status von Halbgöttern eingeräumt. Allerdings ist Dionysos nicht eine beliebige Adresse im metaphysischen Who’s who, sondern Gott des Theaters und seiner Chöre. Von da aus scheint es absehbar, dass er sich über kurz oder lang an die Stätten seines Wirkens erinnert. Und tatsächlich macht er jetzt Ernst mit dem Einbruch des Pop in die moralische Anstalt, die Schiller zufolge die Schaubühne hierzulande darstellt.
Die britische Szenografin Es Devlin ist längst in beiden Welten zu Hause. Sie arbeitet, so Matt Trueman, „gleichzeitig für das Londoner Royal Opera House am Bühnenbild für ‚Les Troyens‘ … und am Bühnendesign der Progress-Tour von Take That“. Zwischen Theater, Pop und Oper macht die Ausstatterin von Simon McBurney, der Punkband Wire, Kanye West, Mika und Lady Gaga keine Unterschiede.
Ähnlich sieht man es in Dresden, wo Hamlet als Popstar reüssiert. Gespielt von Christian Friedel, dessen Auftrittslied „I’ll call thee Hamlet“ Gunnar Decker als Kampfansage einstuft – „noch voller unverdorbener Sehnsucht und Trauer um den Vater. Aber dann geht es Schlag auf Schlag, Song für Song. Wenn man nicht schreien kann, soll man singen. Wenn man nicht weinen will, muss man Musik machen.“ In München traf Sebastian Kirsch den Autor, Musiker und DJ Thomas Meinecke und den Intendanten der Münchner Kammerspiele Johan Simons, um neben der neuen Virulenz des Pop auch über den Sound der Sprache als das eigentliche Moment theatralischen Geschehens zu sprechen. Weiter geht es mit Sebastian Kirsch nach Oberhausen, wo Schorsch Kamerun die Hochzeit von Pop und Theater feiert. Arno Raffeiner macht sich derweil daran, Kameruns Songtext „Ich meine ich weine“ unter das analytische Besteck zu legen.
Dem Verhältnis von Musik und Text geht Frank Raddatz bei Richard Wagner, dem Vorläufer von Pink Floyd – so Friedrich Kittler – nach, indem er mit dem „Ring“-Regisseur Hansgünther Heyme und dem versierten Wagner-Exegeten Dieter Borchmeyer jenen Abgrund aufsucht, in den sich die Rezipienten stürzen müssen, wenn sie voll auf ihre Kosten kommen wollen.
Weniger abgründig dürfte es in unserer neu eröffneten Theoriereihe zugehen, die Luhmannist Dirk Baecker mit einem Aufsatz über Vertrauensspiele eröffnet. Dass Betrug und Verrat dabei das Salz in der Suppe bilden, dürfte sich von selbst verstehen. Doch Theater als eine Strategie zu begreifen, um dem Misstrauen zu begegnen, wirft einige neue Bezüge auf. Reflexe des Misstrauens werden schlagartig wach, wenn EU-Programme in Millionenhöhe in die Theatermetropole Neapel fließen, um dort Weltkünstler wie den 88-jährigen Peter Brook auf die Regiepiste zu schicken. Dass Festivalleiter Luca de Fusco mit den Kultursubventionen „einen industriellen Fließfertiger wie Wilson tatsächlich über längere Zeit binden kann“, scheint für Tom Mustroph nicht ausgeschlossen. Auch dieser Beitrag besitzt Auftaktcharakter: So werden in unregelmäßiger Folge weitere europäische Städte und ihre Visionen von Theater unter die Lupe genommen. In der Sprache der Bakchantinnen (Anhängerinnen des Dionysos, neudeutsch: Groupies): „Theben ist überall!“ //
Die Redaktion
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Thema | |
KünstlerinsertBühnenarbeitenvon Es Devlin | Seite 4 |
Mit Atmosphäre umgebenOb Schauspiel, Oper oder Konzert – beim Live-Erlebnis macht die britische Szenografin Es Devlin keine Unterschiedevon Matt Trueman | Seite 8 |
Popstar zerbrochenDer Schauspieler Christian Friedel zeigt Hamlet in der jugendlichen Orientierungslosigkeit seiner Generationvon Gunnar Deckerzum Online-Extra: Audio-Stream Hamlet | Seite 12 |
Booklet „Hamlet“-Songtextevon Woods of Birnam | Seite 15 |
Der Rest ist GeräuschDer Autor, Musiker und DJ Thomas Meinecke und Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, im Gespräch über Pop im Theater und das politische Moment von Rhythmus und Klangvon Sebastian Kirsch, Johan Simons und Thomas Meinecke | Seite 18 |
An die Welt glaubenVom Aufstand und seinen Sackgassen – ein Porträt des Regisseurs, Autors und Sängers Schorsch Kamerunvon Sebastian Kirsch | Seite 21 |
Ich meine ich weineGerade erschien Schorsch Kameruns neues Album „Der Mensch lässt nach“. Eine Songtextkritikvon Arno Raffeiner | Seite 24 |
Kolumne | Seite 25 |
Präsentabel 2.0Über die letzte verbleibende marktwirtschaftlich nicht ausschlachtbare Protestformvon Nis-Momme Stockmann | |
Essay | |
Schauspiel und Gesellschaftvon Nicole Gronemeyer | Seite 26 |
VertrauensspieleÜber die Präsentation des Selbst im Alltagvon Dirk Baecker | Seite 27 |
Ausland | Seite 31 |
Zwischen Fischmarkt und PalazzoNeapel sucht den Anschluss ans Welttheatervon Tom Mustroph | |
Protagonisten | Seite 34 |
Mit Richard Wagner in den Abgrund springenRegisseur Hansgünther Heyme und Wagner-Experte Dieter Borchmeyer trafen sich zu einem Gespräch mit Frank Raddatzvon Dieter Borchmeyer, Frank M. Raddatz und Hansgünther Heyme | |
Look Out | |
Die Lehre der TiereDer Schauspieler und Autor Oleg Zhukov lässt sich nicht fangen – nur suchenvon Friederike Felbeck | Seite 38 |
Musik zum SehenDer Komponist Matthias Krieg interessiert sich nicht für Stile, sondern für das Erlebnis der Musikvon Alexander Schnackenburg | Seite 39 |
Auftritt | |
Dresden: Ende einer SommerliebeStaatsschauspiel Dresden: „Der geteilte Himmel“ nach Christa Wolf. Regie Tilmann Köhler, Bühne Karoly Risz, Kostüm Susanne Uhlvon Gunnar Decker | Seite 41 |
Essen: Sister Act im No Man’s LandSchauspiel Essen: „Skin Deep Song“ (UA) von Noah Haidle. Regie Thomas Krupa, Bühne Andreas Jander, Kostüme Sabina Moncysvon Friederike Felbeck | Seite 42 |
Frankfurt am Main: Penetrante HerzensgüteSchauspiel Frankfurt: „Kleiner Mann – was nun?“ nach Hans Fallada. Regie Michael Thalheimer, Bühne Olaf Altmann, Kostüme Nehle Balkhausenvon Christoph Leibold | Seite 43 |
Freiburg: Die Firma regiert mir ins BettTheater Freiburg: „Nicht Fisch nicht Fleisch“ von Franz Xaver Kroetz. Regie Johanna Wehner, Ausstattung Elisabeth Vogetsedervon Bodo Blitz | Seite 44 |
Lübeck: Der Wille zur – was?Theater Lübeck: „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller. Regie Pit Holzwarth, Ausstattung Werner Brennervon Mirka Döring | Seite 45 |
Köln: AbschiedsgesängeSchauspiel Köln: „Die Troerinnen“ nach Euripides. Regie Karin Beier; „Oh it’s like home“ (UA) von Sasha Rau. Regie Christoph Marthalervon Sebastian Kirsch und Hanna Höfer-Lück | Seite 46 |
Mainz: Spiel mit UnbekanntenStaatstheater Mainz: „Nullen und Einsen“ (UA) von Philipp Löhle. Regie Jan Philipp Gloger, Bühne Franziska Bornkamm, Kostüme Karin Judvon Shirin Sojitrawalla | Seite 48 |
Stuttgart: Mit Mephisto flirtenSchauspiel Stuttgart / DT Berlin: „Das Himbeerreich“ (UA) von Andres Veiel. Regie Andres Veiel, Bühne Julia Kaschlinski, Kostüme Michaela Barthvon Otto Paul Burkhardt | Seite 49 |
Magazin | |
Dialektik des DämonischenManfred Karge zum 75. Geburtstagvon Gunnar Decker | Seite 51 |
Exotische UnterhaltungWarum die Themen Asyl und Migration auf Berliner Bühnen bloß Klischees reproduzieren anstatt transkulturelle Räume zu öffnenvon Mehdi Moradpour | Seite 52 |
Inflationär produzierte SpracheIm Zentrum der Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft in München stand das gesprochene Wortvon Sabine Leucht | Seite 54 |
kirschs kontexte: Reichsdeutscher ErdbeermundZum Fall Kinskivon Sebastian Kirsch | Seite 55 |
Performer des AntikapitalismusZum Tod von Friedrich Schenkervon Christoph Nix | Seite 56 |
Geschichtenerzählen als HeimatZum Tod von Jakob Arjounivon Ronald Richter | Seite 57 |
Mit Schnauz und SchneidZum Tod von Gerd Imbsweilervon Wolfgang Schneider | Seite 57 |
Linzers Eck: Flachzangen feiern TriumpheDas Deutsche Theater Berlin untersucht die opake Welt des Kapitalismusvon Martin Linzer | Seite 59 |
„Esst mehr Brecht!“Alexander Karschnia, Michael Wehren (Hg.): Kommando Johann Fatzer. Neofelis Verlag, Berlin 2013, 214 S., 18 EUR.von Christina Schmidt | Seite 60 |
Im Bauch des VerlagesPeter Handke und Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, Berlin 2012, 798 S., 39,95 EUR.von Gunnar Decker | Seite 61 |
Aktuell | Seite 62 |
Meldungen | |
Aktuell: in nachbars garten | |
FilmIn Gedankenwelten tauchenvon Ralf Schenk | Seite 64 |
HörspielZerschmetternde Tragikvon Gerwig Epkes | Seite 64 |
KunstHerzensgefühltvon Dominic Eichler | Seite 65 |
MusikDüsteres Utopiavon Ulrike Rechel | Seite 65 |
Aktuell | Seite 68 |
PremierenMärz 2013 | |
Impressum/Vorschau | Seite 71 |
Gespräch | Seite 72 |
Was macht das Theater, Friedrich Schirmer?von Bodo Blitz und Friedrich Schirmer |
Dirk Baecker
Bodo Blitz
Dieter Borchmeyer
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Es Devlin
Mirka Döring
Dominic Eichler
Gerwig Epkes
Friederike Felbeck
Nicole Gronemeyer
Hansgünther Heyme
Hanna Höfer-Lück
Sebastian Kirsch
Christoph Leibold
Sabine Leucht
Martin Linzer
Thomas Meinecke
Mehdi Moradpour
Tom Mustroph
Christoph Nix
Frank M. Raddatz
Arno Raffeiner
Ulrike Rechel
Ronald Richter
Ralf Schenk
Friedrich Schirmer
Christina Schmidt
Alexander Schnackenburg
Wolfgang Schneider
Johan Simons
Shirin Sojitrawalla
Nis-Momme Stockmann
Matt Trueman
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Popstar zerbrochenDer Schauspieler Christian Friedel zeigt Hamlet in der jugendlichen Orientierungslosigkeit seiner Generationvon Gunnar Deckerzum Online-Extra: Audio-Stream Hamlet |
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