Kommentar

Korrigiert euch!

Theaterdämmerung in Berlin, Rostock, Dessau

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Fehler machen kann jeder. Aber sie korrigieren, das offenbar nicht. Liegt es daran, weil einer dazu zu dumm ist (BE-Intendant Claus Peymann über den Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner, mit der freundlichen Einschränkung „ein bisschen“), oder weil er seine Fehler nicht für Fehler hält, sondern für besonders weitblickend, also klug? Wenn dem so ist, dann herrscht Kulturkampf in diesem Land.

Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de
Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Natürlich ist es dumm, die hundertjährige Volksbühnen-Tradition (unter besonderer Berücksichtigung eines Vierteljahrhunderts Castorf’scher Intendanz) mit einem Schulterzucken ad acta zu legen und einen weiteren „Eventschuppen“ (Peymann) daraus zu machen. Ebenso dumm wäre es gewesen, den manisch von der Idee, das Rostocker Volkstheater sei noch zu retten, getriebenen Neuintendanten Sewan Latchinian gleich wieder fortzuschicken: wegen zu großen Erfolgs! Nun hat die Rostocker Bürgerschaft (dieselbe, die mit 26 zu 21 Stimmen entschieden hatte, aus dem Vierspartenhaus ein Zweispartenhaus zu machen, ohne akute finanzielle Not, einfach so) mit 29 zu 18 Stimmen beschlossen, Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling anzuweisen, die fristlose Kündigung des Intendanten zurückzunehmen. Einen zweifelhaften Vergleich (von Mecklenburg-Vorpommerns Kulturabbaubeschlüssen mit den Zerstörungen der Terrorgruppe Islamischer Staat), der betont, keine Gleichsetzung sein zu wollen, hätte ohnehin kein Arbeitsgericht dieser Welt (auch nicht in Mecklenburg-Vorpommern) als hinreichenden Kündigungsgrund anerkannt.

Interessant dabei ist nicht nur, dass vor der entscheidenden Sitzung über 800 Rostocker für Latchinian demonstrierten, sondern auch, dass der vormalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eigens nach Rostock reiste. Er sagte einen für sozialdemokratische Kulturpolitik bedeutsamen Satz: „Einen erfolgreichen Intendanten entlässt man nicht!“ Das scheint nicht nur für die Ohren des Rostocker Oberbürgermeisters bestimmt gewesen zu sein, nicht nur für seinen Schweriner Parteifreund Mathias Brodkorb, den Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern, sondern gewiss auch für Berlins Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller und seinen Staatssekretär Tim Renner sowie auch für Sachsen-Anhalts sozialdemokratischen Theologen und Kultusminister Stephan Dorgerloh, der André Bücker, den erfolgreichen Dessauer Intendanten, zumindest nicht halten wollte (siehe auch S. 36).

Das Problem in Rostock ist mit der Rücknahme von Latchinians Kündigung noch nicht gelöst worden. Es werden nun wohl ein Bürgerbegehren für das Vierspartenhaus und weitere Proteste folgen. Thierse hat das Problem erkannt: Die SPD hat ein Missverhältnis zum Erfolg, der aus dem Schaffen von Werten und nicht aus Opportunitäten und Großen Koalitionen resultiert. Tricksen allein ersetzt keine Visionen! Die SPD kann nicht mehr gewinnen, auf sie fällt der Schatten der überall im Lande in Mittelmäßigkeit vor sich hin dümpelnden Großen Koalitionen am längsten.

Das immer stärkere Gefühl, in einer „bleiernen Zeit“ zu leben, wird zuerst der SPD und nicht der CDU angelastet. Wenn die SPD von Reform spricht, dann ahnt jeder, es wird schlechter und bürokratischer. Nun könnte man das für ein innerparteiliches Problem der SPD halten – wenn sie nicht mehr erfolgreich sein will, was geht es uns an? Aber leider geht es uns doch etwas an, wenn die SPD sozialdemokratische Werte (darunter das Recht auf bezahlbare Kultur und Bildung für alle!) aufgibt. Denn in den Ländern und Kommunen werden derzeit unter SPD-Beteiligung lang gewachsene Strukturen zerstört, auch das Stadttheater, um das uns die ganze Welt beneidet. Orte öffentlicher Selbstverständigung über die Grundwerte unserer Gesellschaft, Schulen der Demokratie, unverzichtbar gerade auch in kleinen und mittelgroßen Städten!

Die offenkundige Dummheit von Politikern, in deren Verantwortung es läge, die Kultur dieses Landes zu schützen und weiterzuentwickeln, die aber nur fortgesetzte Spardebatten führen, als wäre auf diesem Gebiet noch nicht Unheilvolles genug getan worden, lässt die Frage der Kultur in föderaler Hoheit in anderem Licht erscheinen. Die Idee solcherart Dezentralisierung war einst, kulturelle Vielfalt zu garantieren, imperiale Anwandlungen eines allzu mächtigen Zentrums zu begrenzen. Heute aber scheint es, dass dieser Kulturföderalismus nur die machteitle Einfalt überforderter Landes- und Kommunalpolitiker befördert.

Man kann mich korrigieren, besser aber wäre es, die Politik (siehe Volkstheater Rostock, Anhaltisches Theater Dessau, Berliner Volksbühne) beginnt endlich, sich selbst zu korrigieren. //

Quelle: https://classic.theaterderzeit.de/2015/05/32621/komplett/