Alle Beiträge von Gunnar Decker
Wolfgang Lotz
von Gunnar Decker
aus dem Buch: Stück-Werk 6
Magazin
Ein Nachruf auf den Schauspieler Otto Mellies
von Gunnar Decker
Es gibt Klischees, die haften einem lebenslang an. Bei Otto Mellies war es das des kultivierten Sprechers, der eine gediegene Klassikeratmosphäre erschafft. Schuld daran ist vielleicht sein Ferdinand in Martin Hellbergs DEFA-Film „Kabale und Liebe“ von 1959. Ulrich Mühe wusste, nachdem er Mellies als Ferdinand erlebt hatte, dass er nur eins werden wollte: Schauspieler. Er sprach von jener Szene, in der Ferdinand in aufsteigender innerer Unruhe durch den Nebel geht. Das habe ihn erschüttert. Ich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2020
Protagonisten
Was bedeutet es, eingesperrt zu sein? Das Berliner Gefängnistheater aufBruch lotet mit der Oper „Fidelio“ die Grenzen der Freiheit aus
von Gunnar Decker
Zum Auftakt zeigt die Kamera vier Streicher hinter Gittern. Sie spielen den ersten Satz aus Beethovens Streichquartett Nr. 1 in F-Dur. Die Inszenierung, so der musikalische Leiter Simon Rössler, Schlagzeuger bei den Berliner Philharmonikern, favorisiere die „hybride Form“, also das Zusammenspiel von Oper, Melodram und Konzert. Und darum wird auch nicht der ganze „Fidelio“ von 1805 hier aufgeführt, sondern Motive daraus in einem musikalischen Beethoven-Arrangement samt einer gewagten Collage…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2020
Künstlerinsert
In memoriam des großen Maskenbildners Wolfgang Utzt
von Gunnar Decker
Im Frühjahr 2003 besuchte ich Wolfgang Utzt in der Maskenbildnerei des Deutschen Theaters Berlin. Es war seine letzte Spielzeit. An der Wand der rotgeschminkte Mund von Inge Keller in Großaufnahme, auf dem Tisch ein Bildband von Francis Bacon. Zu jeder Premiere schenkte er sich einen neuen Band. Nun war es eine ganze Bibliothek geworden. Denn Utzt hatte 1960 als Praktikant am Haus angefangen. Da war er neunzehn Jahre alt. Aus dem Lautsprecher kamen Ansagen für die Schauspielstudenten, auf die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2020
Magazin
Karl Heinz Bohrer: Mit Dolchen sprechen. Der literarische Hass- Effekt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 493 S., 28 EUR.
von Gunnar Decker
Zu Beginn muss Karl Heinz Bohrer, dieser Solitär im Befragen von philosophischen Motiven der Literatur, erst einmal sagen, welche Art Hass für seine Untersuchung relevant ist und welche nicht. So konstatiert er das Ungenügen eines „aggressiv aufständischen Willens“. Schönheit gehöre zur Poesie. Es gehe ihm nicht „um den Hass als politisch-weltanschauliches Gebräu, sondern um seinen Ausdruck als ein Mittel intensiver Poesie“. Bohrer sucht das Kraftzentrum von Dichtung.
Hass ist gewiss eine…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2020
Thema
Das Coronavirus verändert unser Bild der Welt und unser Selbstbild – Zur Geschichte der Seuchen in der Moderne
von Gunnar Decker
Karl Marx verglich 1859 in der Vorrede von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ den Fortschritt mit jenem „heidnischen Götzen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte“. Ein martialisches Bild, das in seiner Drastik so manche Zeitgenossen verwunderte. Was ist denn am Fortschritt, was ihn einem „heidnischen Götzen“ ähnlich mache, fragten sie. Der lange Schatten, den er wirft, wusste der Dialektiker Marx. Fortschritt ist nichts linear Verlaufendes, nichts Konstantes,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2020
Stück
Oliver Bukowski über sein neuestes Stück „Der Sohn“ im Gespräch mit Gunnar Decker
von Oliver Bukowski und Gunnar Decker
Oliver Bukowski, Ihr Stück „Der Sohn“ ist – wie auch schon eine Reihe früherer Arbeiten – in der Lausitz angesiedelt und blickt auf eine Familie: den arbeitslosen Bergmann Thomas Walter, Mitte fünfzig, seine Frau Anja und die beiden Kinder Finn und Tine, beide 16 Jahre alt, aber in ihrer pubertären Protesthaltung völlig gegensätzlich eingestellt. Ein Riss zwischen den Generationen zeigt sich, aber auch ein völliges Unverständnis der beiden Kinder füreinander. Liegt da immer noch der lange…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Auftritt
Mittelsächsisches Theater: „Der Frieden“ von Peter Hacks nach Aristophanes. Regie Ralf-Peter Schulze, Bühne Peter Gross, Kostüme Nina Reichmann
von Gunnar Decker
Einen Kloß für den Käfer! Auf der klugerweise weitgehend leer geräumten Bühne (Peter Gross) laufen die Diener hektisch umher, um immer neue Klöße herbeizuholen. Anfangs sind sie klein wie Tennisbälle, schließlich groß wie Medizinbälle. Das Ungeheuer, das hier gemästet wird, scheint unersättlich, frisst den Eselsdreck schließlich roh. Ein riesiger Mistkäfer, der laut Peter Hacks aber auch eine Allegorie sein kann, soll den attischen Weinbauern Trygaios zu Zeus in die Wolken hinauftragen. Dort…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Auftritt
Staatstheater Cottbus: „Antifaust“ (UA) von Jo Fabian. Regie und Bühne Jo Fabian, Kostüme Pascale Arndtz
von Gunnar Decker
Nach drei Jahren als Schauspieldirektor am Staatstheater Cottbus verabschiedet sich Jo Fabian mit seinem „Antifaust“, zu dem er den Text schrieb, die Regie führte und die Bühne baute. Diesem „Faustkommentar“ als ambitioniertem Gesamtkunstwerk ging im vergangenen Jahr seine Inszenierung des „Faust“ voran. Fabian verlegte ihn ins Museum, auf die Biennale in Venedig.
Kein Artenschutz für Klassiker, so lautete der Slogan. Denn was außer Hybris hat der immer nur strebende Doktor Faust zu bieten?…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Protagonisten
Der neue Intendant des Volkstheaters Rostock Ralph Reichel versucht aus einem angeschlagenen Theater wieder ein attraktives kulturelles Zentrum zu machen
von Gunnar Decker
Schon seltsam, wenn man plötzlich einen Doppelgänger hat. Gerade war Ralph Reichel im letzten Herbst Intendant des Volkstheaters Rostock geworden, da kamen immer wieder Menschen auf ihn zu, ihm zur Wahl zu gratulieren – als Oberbürgermeister! Denn er sieht dem frisch gewählten dänischen Oberbürgermeister Rostocks Claus Ruhe Madsen ähnlich wie ein eineiiger Zwilling dem anderen. Zumal sie das gleiche Brillengestell tragen und den gleichen silbrigen Vollbart von Männern um die fünfzig. Er sitzt…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Thema
Russland zwischen Osten und Westen
von Gunnar Decker
Dass die Deutschen die Russen gelegentlich auf eine arrogante Weise übersehen haben, wenn es um ihren Beitrag zur Aufklärung geht (auch jener romantischen über die Grenzen von Aufklärung!), ist nicht neu. László F. Földényi hat in seinem Essay „Dostojewski liest Hegel in Sibirien und bricht in Tränen aus“ anhand einer prägnanten Szene durchgespielt, wie der Osten immer erwartungsvoll nach Westen schaute, der Westen aber eher selten mit gleicher Erwartung zurück.
Fjodor Dostojewski wurde 1849…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2020
Magazin
Sarah Kirsch / Christa Wolf: Der Briefwechsel. Hg. von Sabine Wolf unter Mitarbeit von Heiner Wolf, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 456 S., 32 EUR.
von Gunnar Decker
Den ersten Brief schicken Sarah und Rainer Kirsch 1962 an Christa und Gerhard Wolf. Beide Ehepaare hatten bis eben in Halle an der Saale gewohnt, nun waren die Wolfs nach Kleinmachnow gezogen. Sarah Kirsch wechselt in den folgenden Jahren noch häufig ihre Lebenspartner, die Wolfs häufig ihre Wohnorte. Man fühlt sich dennoch eng verbunden. Sarah Kirsch vertraut Christa Wolf auch ihre intimen Geheimnisse an, wie jenes von der kurzen Liebesaffäre mit Wolfgang Kohlhaase, der „so schöne…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2020
Protagonisten
Die Schauspielerin Cordelia Wege will lieber scheitern als funktionieren
von Gunnar Decker
Das Nachwende-Berlin ist fast schon so versunken wie das der 1920er Jahre. Aber es bildet mythische Kerne. Das Tacheles in Berlin-Mitte gehört dazu. Ganz früher einmal war es ein Kaufhaus, dann, nach 1989, ein alternatives Kulturzentrum mit magischer Anziehungskraft. Hier dachte und lebte man alternativ. 2012 wurde das Tacheles zur Spekulationsmasse, wie die ganze Stadt.
Im Kunsthaus Tacheles inszenierte Sebastian Hartmann im April 1998 „Kalter Plüsch“. Aufgefallen sind mir dabei zwei…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2020
Auftritt
Staatstheater Braunschweig: „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow. Regie Dagmar Schlingmann, Ausstattung Sabine Mader
von Gunnar Decker
Die Bühne von Sabine Mader ähnelt einer hausgroßen Umzugskiste, im Kirschholzton gehalten. Darin sitzen sie nun alle gefangen. Wohin die Reise geht, weiß niemand. Vielleicht nirgendwohin. Oben über ihren Köpfen ist das Dach eingebrochen, durch das Loch fällt manchmal Schnee, was der profanen Szenerie etwas Poetisches gibt. Auch unter ihren Füßen ist der Boden schadhaft. Es sieht aus, als sei hier eine Bombe hindurchgegangen.
Die Schauspieler betreten das Landhaus von Ljubow Andrejewna…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2020
Protagonisten
Sven Müller, neuer Intendant am Theater Neubrandenburg und Neustrelitz, führt das Haus gemeinsam mit Schauspielchefin Tatjana Rese mit neuem Selbstbewusstsein
von Gunnar Decker
„Wo ist die Uhr, die immer falsch ging?“ So lautet die Eingangsfrage in Lewis Carrolls rasanter Zeitreise „Alice im Wunderland“, die vor Weihnachten in Neustrelitz in der Regie von Tatjana Rese zur Premiere kam. Ein absurder Wettlauf mit der Zeit! Wer hat gewonnen? Sie ist davongelaufen! Welch eine geballte Ladung Philosophie hüpft, schlendert, schleicht und tanzt da über die Bühne, die ein fantastischer Raum ist, in den man nur durch einen Spiegel gelangt (Ausstattung Jan Pusch und Wobine…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2020
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