Sofi Oksanen
„Es gibt wenige Berufsgruppen, denen so viel Wortfreiheit zugestanden wird wie Schriftstellern, und deshalb ist es fast eine Pflicht, von ihr Gebrauch zu machen“, hat Sofi Oksanen (geb. 1977) einmal gesagt. Das Aufgreifen schwieriger gesellschaftlicher und politischer Fragen in den Medien und in ihrem künstlerischen Schaffen ist eines der Markenzeichen der Schriftstellerin, die ihre Karriere mit einer Ausbildung als Dramaturgin und Theaterautorin an der Theaterhochschule in Helsinki begann. Stalins Kühe (2003) machte sie auf einen Schlag zu einer der Spitzenfiguren der jungen finnischen Literatur. Der engagierte und politische Roman greift sensible Themen ohne Scheu auf und begeisterte sowohl Leser als auch Rezensenten. Den Stoff für ihren dritten Roman Fegefeuer entwickelte die finnisch-estnische Schriftstellerin zunächst in Form eines Theaterstücks, in dem die von Frauen erfahrene sexuelle Gewalt, vertuscht und schambesetzt, zu einem wesentlichen Teil der kollektiven Erfahrung wird. Das Stück wurde 2007 am Finnischen Nationaltheater in Helsinki uraufgeführt und von der Kritik gefeiert. Bald begannen die starken Charaktere ihr eigenes Leben zu führen und Oksanen schrieb auf der Grundlage des Stücks einen Roman, der als einer der bekanntesten und international erfolgreichsten finnischen Romane gilt. In ihrem neuesten Roman Kun kyyhkyset katosivat (Als die Tauben ver - schwanden, 2013) legt Oksanen die Handlung einmal mehr in die estnische Vergangenheit. Auch zu diesem Roman ist ein Theaterstück entstanden, nicht zuletzt deshalb, weil Oksanen zufolge die ganze Sowjetunion ein Theater war, das versuchte, die Illusion einer egalitären Gesellschaft nach außen hin aufrechtzuerhalten. Das Werk zeigt, welch unmögliche Entscheidungen Menschen treffen müssen, die in einer von wechselnden totalitären Regimes geprägten, paranoiden Wirklichkeit leben.