Heft 11/2013
double 28
Theaterkunst im Kassenscanner. Wie „der Markt“ das Puppentheater regelt
Rückstichheftung mit 60 Seiten, Format: 210 x 280 mm
Wenn Ryoji Ikeda in seiner Installation „test pattern [100 m version]“ literarische, musikalische und bildnerische Werke zu bar codes umrechnet, diese als überdimensionale, rhythmisierte Schwarz-Weiß-Projektion durch eine 100 Meter lange Halle schickt, eine hämmernde, treibende Musik dazu komponiert und die Besucher diesem Sog überlässt, dann ist das auch als ästhetisches Statement zur ökonomischen Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche zu lesen. Diese und andere so komplexe wie packende künstlerische Installationen waren auf der von Heiner Gobbels verantworteten Ruhrtrienale 2013 wochenlang bei freiem Eintritt zugänglich (und hervorragend besucht). Hierin könnte man ebenfalls einen Kommentar zur sich stetig verfestigenden „marktwirtschaftlichen“ Zurichtung der Künste und zur vermeintlich elitären Zielgruppe von Festivals erkennen.
Wie steht es also um das Verhältnis von Ökonomie und Kunst, macht die Omnipotenz des Marktes aus der Demokratie eine Postdemokratie? Bei der tastenden Suche nach Antworten, richten die Autoren dieser Ausgabe ihre Blicke nicht nur auf die deutsche Figurentheaterlandschaft, deren künstlerische Selbstbehauptung angesichts poröser werdender finanzieller Rahmenbedingungen immer schwieriger wird, sondern interessieren sich auch für Situationen jenseits des nationalen Tellerrands; vor allem jene, die sich historisch einmal als Orte künstlerischer Freiheit markiert und damit einige Bewunderung auf sich gezogen hatten.
In Westeuropa gilt dies sicher für die Niederlande – und seine Produktionsstätten von (Figuren-)Theater; schaute man doch – geprägt von der Geschichte und Dominanz des deutschen Stadt- und Staatstheatersystems – immer ein wenig neidisch auf die inspirierenden Netzwerke und ihre flexible Infrastruktur. Seit einiger Zeit allerdings sieht sich der dortige Kunstbetrieb radikalen Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen ausgesetzt, die unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen.
Ungarn war in Osteuropa lange ein Ort individueller Aufsässigkeit; immerhin wurde hier durch das Zerschneiden der Grenzzäune das Ende der Trennung in zwei sich feindlich gegenüberstehende Blöcke eingeleitet. Doch statt einer Fortsetzungsgeschichte dieser pan-europäischen Idee vernimmt man immer mehr nationalistische Töne aus Budapest, gepaart mit marktradikalen Maßnahmen. In double geben wir Akteuren der ungarischen Puppentheaterszene Raum für ihre Stellungnahmen.
Und aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir einen Bericht über die Situation freier Theater in Istanbul, wo eine junge, urbane und gebildete Mittelschicht jüngst gegen die Vernichtung öffentlichen Raumes protestierte und sich damit auch eindrucksvoll gegen die ökonomische Devise des Wachstums um jeden Preis stellte.
Weniger als Marktplatz denn als Begegnungsraum erscheinen die im weiteren besprochenen Festivals in Erlangen, Apt, Hannover, Bochum und Stuttgart. Und keinesfalls als reine Konsumenten wünscht sich der englischsprachige Essay von Isabelle Kessler die Zuschauer. Darin dürfte sie sich mit den in diesem double porträtierten Preisträgern und Jubilaren einig sein.
Ihnen allen rufen wir zu „Gegen marktkonforme Theater! Für theaterkonforme Märkte!“(1)
SUMMARY
When Ryoji Ikeda’s installation "test pattern [100 m version]" converts “ literary, musical and visual works into bar codes it is possible to view this as a commentary on the increasing influence of the market economy in cutbacks to the arts. In this edition Double questions the current relationship between the economy and the arts and whether the omnipotence of the market is turning democracy into post-democracy. In groping for answers the authors of this edition not only turn their gaze on the German puppet theatre scene whose survival is becoming increasingly more difficult given the ever more porous financial situation, but are also interested in the situation beyond Germany. This is particularly true for those countries which have historically staked a claim to being admirable places of artistic freedom: the Netherlands with its widespread shrinking number of production venues for puppet theatre; and also Hungary, where increasingly nationalistic attitudes have set in motion the political and economic destruction of its own theatre scene. This edition also.
1 In Abwandlung eines Titels von Ingo Schulze: Unsere schönen neuen Kleider. Gegen marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte. Berlin/München 2012.
Artikel | Seite |
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Thema | |
Die Nische wird kleinerEine Reise durch die Ökonomisierung der deutschen Theaterlandschaftvon Tim Sandweg | Seite 6 |
Lärmendes SchweigenZur aktuellen Situation der niederländischen Kulturszenevon André Studt | Seite 12 |
Streichkonzerte, Fusionen, PrachtbautenPuppentheater ohne Lobbyvon Anke Meyer | Seite 14 |
„Ausheulen und neu anfangen“?Die Abwicklung des Theater Instituut Nederland und seines Museumsvon Ricarda Franzen | Seite 17 |
Anmerkungen zum Theater Instituut Nederlandvon Eliane Attinger | Seite 18 |
Chaos und RatlosigkeitEin kurzer Lagebericht aus der ungarischen Figurentheaterszenevon Kata Csató | Seite 20 |
Die Legende vom Budapester RieseneichhörnchenEin Statement von Mobile Albaniavon Roland Siegwald, Katharina Stephan und Sarah Günther | Seite 23 |
Ich will lieber wieder Amateur seinZwei freie Theatergruppen aus Ungarn zu ihren Arbeitbedingungenvon Iris Cseke, Gábor Pilári und Péter Sisak | Seite 24 |
Die Macht und die KunstBetrachtungen über Theater in Istanbulvon Ayse Selen | Seite 26 |
Essay in English | Seite 28 |
The Art Being a SpectatorWhich came first, the chicken or the egg?von Isabelle Kessler | |
Festivals | Seite 30 |
Die Welt als Tisch18. Internationales Figurentheater-Festival Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabachvon André Studt | |
Zugeflogene TräumeEindrücke vom Festival „Greli-Grelo“ 2013von Silvia Brendenal | |
Festivals | |
Gegenseitige InspirationDer Kunstpiep-Preis 2013 ging nach Frankreichvon Susanne Niemann | Seite 36 |
I, RobotClowneske Maschinen und glückliche Mutationen auf dem Festival Theaterformenvon Tim Sandweg | Seite 37 |
Jubeln! | |
Wahrlich ausgezeichnet!Was das Figurentheater Wilde & Vogel mit George Tabori zu tun hatvon Annette Dabs | Seite 38 |
Liaison der KünsteDie Theaterleiterin Silvia Brendenal und 20 Jahre SCHAUBUDE Berlinvon Esther Slevogt | Seite 40 |
Animierte Stadt oder Doppelt hält besserJubiläumsfestival von FITZ! und Studiengang Figurentheatervon Anke Meyer und Yvonne Dicktmüller | Seite 42 |
Createur und InterpretEin Gespräch mit den neuen Professorinnen des Studiengangs Figurentheater an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgartvon André Studt | Seite 45 |
Inszenierungen | |
Ein Phänomen in der Puppenstube„Die Geschichte von Kaspar Hauser“ im Schauspielhaus Zürichvon Gabi Mojzes | Seite 50 |
Leere lassenSandy Schwermers Performance „GAPS“ in der SCHAUBUDE Berlin uraufgeführtvon Katja Hille | Seite 51 |
Krokodil frisst Kasper, ...Hartmut Liebschs „Herrmann geht nach Engelland“ bei den Mühlenfestspielen in Kocherthürnvon Gerrit Münster | Seite 52 |
Göttliches Märchenspiel„Der Ring des Nibelungen (an einem Abend)“, eine Koproduktion von Theater Erfurt und Theater Waidspeichervon Katja Spiess | Seite 53 |
Der Sänger führt den anderen ArmRückblick auf eine ungewöhnliche Probenzeit in Erfurtvon Mareike Gaubitz | Seite 54 |
Buchbesprechung | Seite 55 |
Überleben unbezahlbar?Zwei neue Bücher mit scheinbar widerstreitenden Perspektiven auf das ökonomische Paradigmavon Anke Mager | |
Notizen & Festivalkalender | Seite 56 |
Impressum | Seite 60 |
Eliane Attinger
Silvia Brendenal
Kata Csató
Iris Cseke
Annette Dabs
Yvonne Dicktmüller
Ricarda Franzen
Mareike Gaubitz
Sarah Günther
Katja Hille
Isabelle Kessler
Anke Mager
Anke Meyer
Gabi Mojzes
Gerrit Münster
Susanne Niemann
Gábor Pilári
Tim Sandweg
Ayse Selen
Roland Siegwald
Péter Sisak
Esther Slevogt
Katja Spiess
Katharina Stephan
André Studt
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