Beatrice Knop

Die letzte deutsche Primaballerina

von und

... Ich kann mir vorstellen, dass Sie den Proben zu „Onegin“ entgegengefiebert haben? Es war ein wahr gewordener Traum, auch wenn ich hinten probieren musste, weil ich ja nur zweite Besetzung war. Aber trotzdem war es ein Traum, an dieser Rolle arbeiten zu können. Das war eine unheimlich spannende Zeit, und abends habe ich viel über den Tag geredet und bin in Gedanken noch mal alles durchgegangen. Völlig entgegen meiner Vorstellung gestaltete sich aber die Erarbeitung der Rolleninterpretation durch die Vorgaben der Choreologen. Ich dachte, ich bin jung und es sollte doch kein Problem sein, ein junges Mädchen darzustellen. Aber so, wie ich dachte, es machen zu müssen, war es nicht richtig. Das Mädchen musste in den Augen der Choreologen viel einfacher und unscheinbarer sein, als ich geglaubt habe. Die Darstellung meiner Tatjana war viel zu sehr ich selbst: wie Bea sich verliebt, wie Bea sich verhält, wenn sie einen Liebesbrief schreibt und wenn sie enttäuscht wird. Die Rolle der Tatjana in Puschkins Roman wurde eben ganz anders beschrieben: ein auf dem Land lebendes, russisches Mädchen, schlicht und unscheinbar, in ihre Bücher vertieft. Ich war vom Typ her ganz anders: Ich war ein junges Mädchen, das einfach nicht so schlicht wirkte und so schlicht war. Diese Schlichtheit und dieses In-sich-Gekehrte darzustellen, musste ich tatsächlich lernen. Ich hatte ein ganz anderes Bild, weil ich dachte, ich spiele mich in dieser Rolle. Das war natürlich ein Trugschluss, weil jeder Mensch ein ganz anderer Typ ist und einen anderen Charakter hat. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich das verstanden habe. Damals war ich eben dreiundzwanzig Jahre alt. Ich war im Leben gerade im Spiegel-Pas de deux angekommen – der Zeit des Verliebtseins. Diesen Moment konnte ich wunderbar darstellen, weil ich gerade selbst verliebt war. Aber dann kommt der zweite Akt, in dem Tatjana auf ihrem Geburtstag eine große Enttäuschung erlebt, und anschließend der dritte Akt, in dem Tatjana als Frau an der Seite von Fürst Gremin zur Ruhe gekommen und erwachsen geworden ist. Doch dann trifft sie nochmals auf ihre große Liebe und damit auf den Schmerz, den sie jahrelang nicht überwunden hat. Diesem Mann noch mal gegenüberzustehen und die Kraft zu haben, ihn wegzuschicken – all das hatte ich in meinem Leben bis dahin nicht mal ansatzweise erlebt und Enttäuschungen in Liebesbeziehungen noch nicht kennengelernt. Ich war aber der Meinung, dass man mit schauspielerischen Fähigkeiten in der Lage sein muss, so etwas darstellen zu können, auch wenn man das einer Dreiundzwanzigjährigen rein optisch schwerer abnimmt als einer gereiften Frau. Das waren zwei Seiten einer Figur, die sich gar nicht so einfach darstellen ließen. Darum war es mehr Arbeit an mir selbst und an meiner Idee von dieser Rolle, als ich dachte.

Als Tatjana mit Dmitry Semionov als Onegin in „Onegin“, Staatsballett Berlin, 2011, Foto Maria-Helena Buckley
Als Tatjana mit Dmitry Semionov als Onegin in „Onegin“, Staatsballett Berlin, 2011, Foto Maria-Helena Buckley

Man kann doch nicht alles erleben, was man auf der Bühne darstellen muss?
Nein, aber ich glaube, man kann bestimmte Dinge einfach authentischer darstellen, wenn man selbst zumindest Ähnliches erlebt hat, und so noch besser in der Lage sein, sich in eine Situation hineinzuversetzen. Ich glaube schon, dass das etwas ausmacht und Alter wie auch Lebenserfahrung eine große Rolle spielen. Ich habe die Tatjana getanzt und war unglaublich stolz, dass ich das mit sehr wenigen Proben geschafft habe. Aber ich habe gleichzeitig sehr wohl gemerkt, dass ich vom Alter her noch nicht ganz reif dafür war.

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