von Gerhild Fuchs und Sabine Schrader
Die zeitgenössische Theatergeschichtsschreibung hat in Anlehnung an Michel Foucaults Überlegungen zur Geschichtsschreibung immer wieder darauf hingewiesen, dass die europäische Theatergeschichte voller Widersprüchlichkeiten ist und keinem linearen, evolutionären Modell folgt1, auch wenn manche Theatergeschichten für sich in Anspruch nehmen, eine solche Entwicklung nachzeichnen zu können. In Italien gestaltet sich die Komplexität auch räumlich, denn während in Frankreich der Theaterbetrieb spätestens ab dem 17. Jahrhundert mehrheitlich zentral organisiert in der Hauptstadt stattfindet, verteilen sich in Italien die Theateraktivitäten – wie alle anderen Kunstaktivitäten – geographisch breit gestreut. Es existieren somit sehr unterschiedlich gelagerte Kultur- und Theaterzentren, abhängig zum einen von den regionalen bzw. sprachlichen Traditionen und zum anderen vom politischen System. Es ist Ludovico Zorzi zu verdanken, erstmals in einer Kulturgeschichte des Theaters die heterogenen Traditionen und Entwicklungen der einzelnen Städte bzw. Fürstentümer herausgearbeitet zu haben.2 Aber auch die einzelnen Städte bzw. Höfe verfügen mitnichten über ein geschlossenes, geschweige denn institutionalisiertes Theatersystem, wie Raimondo Guarino am Beispiel von Venedig dargelegt hat.3
Das vorliegende Buch präsentiert die Theatergeschichte Italiens in ihrer Vielfalt und dient Studierenden wie Interessierten als Einführungslektüre. Der Schwerpunkt wird auf den Zeitraum vom späten 15. bis…mehr
aus dem Buch: Italienisches Theater
Die aufklärerische Tragödie zwischen Mitleidsästhetik und Erhabenheit
von Daniel Winkler
Der Merope-Stoff macht die von einem schweren Schicksal gezeichnete Frau von Kresphontes zum Thema: Bevor die Handlung beginnt, hat sie bereits zwei ihrer Kinder und ihren Mann verloren, durch die Hand von dessen Bruder Polyphontes, der diesen als Herrscher von Messene ablöst. Der Stoff stammt aus der griechischen Antike und geht historisch gesehen auf das Dramenfragment1 Kresphontes des Theaterautors Euripides zurück. Ihre Präsenz im 18. Jahrhundert verdankt die Geschichte um die Mutter Merope v. a. der Erwähnung durch Aristoteles in seiner Poetik, die in der Renaissance in Italien eine intensive Rezeption erfuhr. Der Stoff avanciert aber erst im 18. Jahrhundert zu einem europaweit populären Tragödiensujet, auch wenn es schon zuvor einige Bearbeitungen gab. Nachdem Apostolo Zeno auf Basis des Stoffes ein Libretto verfasst hat (1711), das noch im gleichen Jahr von Francesco Gasparini vertont und im Dezember im San Cassiano in Venedig uraufgeführt wird, schreibt der Veroneser Kunstsammler Scipione Maffei kurz darauf die Tragödie La Merope, die in der Folge (1713–14) von dem Schauspieler und Theaterreformer Luigi Riccoboni umgesetzt wird. Der erfolgreichen Aufführungsserie in Venedig folgen im Laufe des 18. Jahrhunderts zahlreiche Auflagen des Stückes sowie Neubearbeitungen durch andere Autoren wie Voltaire und Vittorio Alfieri, der die kompakteste aller Merope-Tragödien verfasst. Begleitet wird dieser Boom des Stoffes aber auch von intensiven poetologischen Debatten über die…mehr
aus dem Buch: Italienisches Theater
Gespräch
Carsten Brosda, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins und Hamburger Kultursenator, im Gespräch mit Thomas Irmer über die ökonomischen Folgen der Corona-Maßnahmen für die Theater
von Carsten Brosda und Thomas Irmer
Herr Brosda, es gibt in Heidelberg, aber vielleicht nicht nur dort, eine Diskussion um das im vorletzten Jahr gezahlte Kurzarbeitergeld für Angestellte des Theaters. Unterm Strich wurde am Theater Heidelberg 2020 ein Plus erwirtschaftet, und ein Antrag der Grünen fordert nun die Rückzahlung dieser Gelder.
Das Kurzarbeitergeld war ein Segen für die Theater in der Zeit, in der nicht gespielt werden konnte. Es hat geholfen, mit dieser Situation betriebswirtschaftlich klarzukommen. Das war die wirksamste Hilfe für die Kulturbetriebe mit Festangestellten, die wir während der Pandemie gehabt haben. Wir hoffen sehr, dass es diese Hilfe weiter geben wird, denn sie wird wahrscheinlich auch künftig gebraucht. Es mag vereinzelt so sein, dass unterm Strich sogar Rücklagen aufgebaut werden konnten wie offenbar in Heidelberg. Das ist aber keineswegs an allen Häusern so der Fall, sondern von Theater zu Theater sehr unterschiedlich. Es gab Theater, die besonders im zweiten Lockdown intensiv weitergearbeitet haben und deshalb gar nicht so viel von der Kurzarbeit Gebrauch machen konnten. Aber ich würde allen Trägern, deren Theater Rücklagen aufbauen konnten, dazu raten, die erst mal in den Häusern zu belassen. Das wird in der zu erwartenden angespannten Haushaltslage nach der Pandemie helfen, wenn der Staat möglicherweise nicht mehr ausreichend Mittel bereitstellen kann. Diese Phase wird voraussichtlich betriebswirtschaftlich für die Theater anstrengend, auch weil ungewiss ist, ob das…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2022
von Thomas Irmer und Burghart Klaußner
Das Datum Ihrer Geburt im September 1949 liegt zeitlich ganz nahe zur Gründung der Bundesrepublik. Bedeutet Ihnen das etwas, sozusagen ein „Windelkind“ der Bundesrepublik zu sein?
Das bedeutet mir schon was. Ich denke immer wieder mal darüber nach, dass ich ein „Windelkind“ zweier deutscher Staaten bin, einer Nachkriegsordnung.
Inwiefern zweier deutscher Staaten?
Die wurden ja relativ kurz nacheinander gegründet, und wenn man in Berlin geboren ist und lebt, dann ist die Nähe unweigerlich größer. In Berlin sagte man ja auch all die Jahre: Wir fahren jetzt mal nach Westdeutschland.
Wo genau war das in Berlin?
Ich bin in Friedenau geboren. Im elterlich-großelterlichen Haus in der Hähnelstraße 14. Das war mal eine Art Villenkolonie, wie im Südwesten Lichterfelde, die von dem Kaufmann und Stadt- entwickler Carstenn gegründet wurde. Oder die Kolonie Alsen in Wannsee. Hier waren sogenannte Terraingesellschaften aktiv, die die Grundstücke parzellierten und verkauften, und so wurde wohl auch Friedenau gegründet. Also schon durchaus gehoben, was man – da Friedenau relativ unzerstört geblieben ist – auch heute noch gut sehen kann: sehr bürgerlich.
... also in der Nähe der Niedstraße, der berühmten Literatur meile, wo Günter Grass und Uwe Johnson wohnten und quasi die halbe westdeutsche Literaturszene versammelt war?
Die Friedenauer Presse, die Verlagsgründung aus der Gegend, ist ja auch nicht umsonst so genannt worden. Aber ich kannte diese Adressen damals nicht und wohnte…mehr
aus dem Buch: KLAUSSNER
von Thomas Irmer und Burghart Klaußner
Das klingt, als wäre es trotzdem leicht gewesen, sich eine eigene Position zu erarbeiten und weder in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden noch eine Belastung verarbeiten zu müssen.
Es fiel mir im Gegenteil sehr schwer, eine eigene Position zu erobern, denn die Unveränderbarkeit der Lebensumstände schien gewaltig. Der Antikommunismus war die Haltung, auf die sich im westlichen Lager alle einigen konnten, natürlich auch die Sozialdemokraten. Deshalb war der Schwenk vom antikommunistisch erzogenen kleinen Jungen, der Berlin den Amerikanern verdankte, hin zu einem, der in der 68er-Bewegung plötzlich hinter einer roten Fahne herlaufen sollte, größer nicht vorstellbar.
Dazu muss man sich die dritte Station meiner Kindheit in Berlin vor Augen halten. Ich war ein Jahr auf dem altsprachlichen Gymnasium in Steglitz, dem „Heese-Gymnasium“. Bis zum durch die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten bedingten Umzug 1962 nach Bayern. Das Altgriechische blieb mir so erspart. Der Direktor hatte auf der Inaugurationsveranstaltung der neuen Jahrgänge im Titania-Palast eine Rede gehalten, die Griechisch begann und mit einem griechischen Zitat endete. Da wurde einem Zehnjährigen natürlich schwarz vor Augen, weil man dachte: „Was kommt da auf mich zu?“ Heutzutage sage ich „schade“. Wie bei so vielen Dingen, die einem als Kind schrecklich erscheinen und später unter Umständen nützlich sind.
Da wir keine Verwandten im Osten hatten, bin ich als Kind nie dagewesen, habe ich damals…mehr
aus dem Buch: KLAUSSNER
von Sebastian Kirsch
Was bedeutet das alles nun für das Theater? In einem Vortrag mit dem Titel »Barocke Heterotopien« aus dem Jahr 2009 hat Ulrike Haß die verblüffende Tatsache näher beleuchtet, dass die drei angeführten Raumvorstellungen sich nahtlos auf Bühnenformen des 17. Jahrhunderts abbilden, konkret: Descartes auf Nicola Sabbattini, Newton auf Giacomo Torelli, und Leibniz auf Andrea Pozzo.29 Die von Haß skizzierte Verschwisterung der architektonischen Konzepte mit den physikalischen Raummodellen ist in der Tat frappierend und lässt sich wohl nur recht einschätzen, wenn man sie wiederum als Ausdruck der selbstähnlichen Wissensorganisation der frühen Neuzeit begreift, mit der sich die einzelnen Diskursbereiche und Disziplinen wie Falten einer Halskrause übereinanderlegen. So entwickelt Sabbattini für die Architektur, genau wie Descartes für die Physik, ein System strikter Zweiteilungen, nicht nur zwischen Bühneninnenraum und Gebäudefassade, sondern auch zwischen scene und machine, zwischen dem szenischen Bildraum und dem maschinellen Bühnenapparat also, dessen Effekt die sichtbaren Erscheinungen der scene sind. Vor allem aber konstruiert er diesen Erscheinungen gegenüber einen idealen Betrachterstandpunkt im Raum – der Punkt, an den der Fürst in seiner Loge sein Gesicht bringt – der alle Züge der »res cogitans« aufweist: Er ist selbst ohne Ausdehnung, körperlos, und an ihm ist die maximale Einsehbarkeit gegeben. Dieser Punkt verhält sich zur scene damit letztlich genau wie die »res…mehr
aus dem Buch: Das Reale der Perspektive
von Thomas Irmer und Burghart Klaußner
Das heißt, der ‚Klaußner‘ war ein gehobenes Lokal, keine Berliner Eckkneipe.
Unter keinen Umständen. Vor dem Krieg war es sogar eher ein Treffpunkt für Kunst und Politik. Im Gegensatz zu irgendwelchen Kneipen oder auch im Gegensatz zum Beispiel zur Wirtschaft des bayerischen Schauspielers Josef Bierbichler in Ambach, in der gelebt und zum Teil auch gewohnt wurde, war das bei uns vollkommen anders: Das „Geschäft“ hatte mit dem Haushalt nichts zu tun, hatte sich nicht zu kreuzen. Wir Kinder hatten im Geschäft überhaupt nichts zu suchen, sondern da wurde höchstens mal auf dem Heimweg von der Schule hingegangen, wobei es noch die Dependance des ‚Zum Klaußner‘ im Albrechtshof – ein Ensemble von Häusern mit Hinterhof und Biergarten – gab. Da, wo heute in Steglitz der Kreisel steht. Da gab es dann ab und zu mal ein Eis nach der Schule oder, beliebt auch, Pariser Schnitzel, und das war es. Also, von dem ganzen Kneipen- wie Restaurantleben war nichts zu spüren. Mein Vater war nie zu Hause. Wenn er mal da war, wollte er „erziehen“, was sofort zu Riesenkrächen auf allen Seiten führte. Die Großmutter wohnte im Haus. Sie hat aus irgendwelchen Gründen immer bei uns gewohnt und wollte wohl auch ein Auge auf ihre Tochter behalten, denn mit der Heirat mit meinem Vater war sie nicht so recht einverstanden. Ich habe das in meinem Roman Vor dem Anfang einmal karikiert: „Was willst du bloß mit dem Budiker?“ Budiker ist in Berlin einer, der eine Budike hat, eine Boutique, also eine Kneipe. Aber…mehr
aus dem Buch: KLAUSSNER
von Sabine Schrader
Ruzzante è stato il primo e anche il più radicale satirico dell’Arcadia, dei suoi falsi pastori e nobildonne bugiarde che parlavano d’amore petrarcheggiando: deodorati e riccioluti in mezzo a pecore che non puzzano. Una sorta di palinsesto della pubblicità televisiva ante litteram.1
So feiert Dario Fo hymnisch den Theaterautor und Schauspieler Angelo Beolco aus Padua (um 1496–1541), genannt Ruzante, bei der Verleihung des Literaturnobelpreises 1997 als einen seiner Vorgänger.2 Den Namen Ruzante bezieht Beolco von der Hauptfigur seiner Stücke, einem ebenso naiven wie schlauen Bauern aus dem paduanischen Hinterland, den er auf der Bühne selbst verkörpert, so dass Ruzante auch sein Schauspielername wird. Ziel der Streiche und Listen der Figur Ruzante ist die Sicherung der roba, der existenziellen Bedürfnissen wie Essen, Trinken und Sexualität. Gespielt wird im paduanischen Dialekt. Ruzante ist also die Schlüsselfigur von Beolcos Konzeption des ‚snaturàl‘, des Natürlichen, das er jenseits der Commedia erudita auf die Bühne bringen möchte.3
Angelo Beolco debütiert wahrscheinlich in Padua mit dem von Dario Fo oben erwähnten Stück La Pastoral (1517 o. 1518);4 in den 1520er Jahren spielt er oft in Venedig, seine Schaffenszeit fällt dort mit der Blütezeit des venezianischen Theaters zusammen. In den Jahren 1529 und 1530 wird er nach Ferrara geladen, wo seine Darbietungen möglicherweise unter der Regie von Ariosto zwischen denen der buffoni zu sehen sind. Im Gegensatz zur Commedia…mehr
aus dem Buch: Italienisches Theater
von Thomas Irmer und Burghart Klaußner
Als Sie zum Studium nach Berlin zurückgingen, waren Sie ja nicht gleich auf der Max-Reinhardt-Schule. Warum?
Meine Mutter wollte, dass ich Akademiker werde oder zumindest ein entsprechendes Fach anfange. Sie selber hatte ein Kunstgeschichtsstudium auf der Humboldt Universität begonnen und gehörte zu den Gründungskindern der Freien Universität. Das war ihr Mythos. Ich sollte es auch in dieser Richtung versuchen. Es war natürlich die Hochzeit der 68er-Bewegung, und die Uni war in heller Aufregung. Ich habe dann Germanistik nicht wirklich studiert und in Theaterwissenschaft ein bisschen rumdilettiert, ein paar Vorlesungen gehört, vor allem aber ein paar Seminare besucht u. a. bei meinem heute noch befreundeten akademischen Urvater Arno Paul. Arno hatte im selben Jahr seine Dozentur begonnen wie ich mein Studium. Wir waren genau zehn Jahre auseinander, beide Anfänger und hatten eine ähnliche Vergangenheit: Arno hatte in München studiert. Ich war in Bayern zur Schule gegangen. Wir kannten unseren Karl Valentin und Arno erschien in halblangen Lederhosen zu seinen Vorlesungen.
Mit Manfred Wilke machten wir interessante Seminare über das Theater im Dritten Reich und besuchten als Zeitzeugen, so habe ich auch den noch kennengelernt, den berühmten Kritiker Herbert Jhering in seinem Dahlemer Haus. Das war natürlich wirklich sehr spannend, diese Sachen über Jessner und Fehling zu hören. Über Fehlings berühmten Richard III. am Gendarmenmarkt mit schwarzen Uniformen, die das Publikum an…mehr
aus dem Buch: KLAUSSNER
von Timon Beyes
Im Netz des GeheimnissesDen Kopfhörer aufgesetzt, werde ich von der Stimme des menschlichen Erzählers in der Münchener Glyptothek herzlich willkommen geheißen. „Gleich wirst du dich ins Netz der Geheimdienste begeben, mit deinem Körper.“ – „Aber nur ich werde immer wissen, wo du dich befindest“, ergänzt die andere, computergenerierte Erzählerinnenstimme etwas bedrohlich. Sie lotst mich zu einer antiken Skulptur, „Der Knabe mit der Gans“, und fragt, ob es sich bei dem Dargestellten um Spiel oder Kampf handele. Damit ist der Rahmen von Top Secret International (Staat 1) abgesteckt: Geheimhaltung und Überwachung, Kampf und Spiel. Eingetaucht in Geschichten und Stimmen eines globalen Geflechts aus Überwachungstechnologien und Spionagepraktiken, Sicherheitsfirmen und Geheimnisträgern, klandestinen Operationen und Konflikten, eröffnet sich eine Welt jenseits öffentlicher Sichtbarkeit, demokratischer Partizipation und, so erfährt man, zu guten Teilen jenseits parlamentarischer Aufsicht.
Mit dieser Rahmung besteht ein Bezug zur Diagnose postdemokratischer Zustände, wie sie Colin Crouch (2008) vorgenommen hat: Die wichtigen Entscheidungen würden in postdemokratischen Zeiten zusehends im Verborgenen und hinter geschlossenen Türen gefällt, während öffentliche Debatten zum bloßen Spektakel der Ablenkung verkämen. Geheimhaltung zentraler wirtschafts-, sozial- und sicherheitspolitischer Weichenstellungen bei gleichzeitiger Ruhigstellung und Überwachung der Bevölkerung, so ließe sich…mehr
aus dem Buch: Rimini Protokoll: Staat 1–4
Magazin
60 Jahre ITI Deutschland und der neue Blick ins eigene Land
von Thomas Irmer
Am 26. November 2015 beging das deutsche Zentrum des ITI den 60. Jahrestag seiner Gründung in der Berliner Akademie der Künste. Das Netzwerk des Internationalen Theaterinstituts wurde 1948 unter dem Schirm der UNESCO mit Blick auf den gerade beendeten Zweiten Weltkrieg gegründet; 1955 schloss sich die Bundesrepublik an, vier Jahre später die DDR mit einem eigenen Zentrum – die deutsche Parallelexistenz währte, wie es heißt, relativ problemlos bis 1991. Thalia-Intendant Joachim Lux, seit vergangenem Jahr als Präsident vom ITI Deutschland Nachfolger von Manfred Beilharz, hielt angesichts der Gegenwart eine allzu ausführliche Rückbesinnung auf die Fernzeit des Kalten Kriegs allerdings für unangemessen. Seine Rede (in wesentlichen Punkten auch dokumentiert im gerade erschienenen Jahrbuch des ITI) richtete sich vielmehr auf die neu zu bestimmenden Herausforderungen für die allernächste Zukunft:
„Die Internationalität unserer Kultur- arbeit ist nicht mehr länger nur eine der Außenbeziehungen zu Künstlern in anderen Ländern, sondern unsere eigene Gesellschaft internationalisiert sich in diesen Wochen und Monaten so rapide wie noch nie. Mit gravierenden Auswirkungen auf die kulturelle Arbeit in unserem Land. Mit Auswirkungen, die wir selbst noch gar nicht ermessen können. Wir alle müssen künstlerisch und politisch unsere Position finden zu den nicht abreißenden Flüchtlingsströmen, den Begriff der ‚Willkommenskultur‘ jeweils neu interpretieren, uns zu Katastrophen wie den Anschlägen…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2016
von Thomas Irmer und Burghart Klaußner
Der Segelklub am Wannsee spielt eine große Rolle, schon von der Kindheit an bis heute.
Die Großeltern sind da 1910 Mitglied geworden. Es gab Dinge in der Kaiserzeit, die en vogue waren, darunter eben das Segeln, die Beschäftigung auf dem Wasser, und diese Mitgliedschaft blieb ununterbrochen bestehen, bis mein Vater irgendwann dann zum Vorsitzenden gewählt wurde und den Klub dann auch den Amis wieder aus den Händen nehmen konnte. Diesen Klub gründete er mit den versprengten Mitgliedern wieder nach dem Krieg. Das Ganze hat eben auch durch die Figur meiner Großmutter väterlicherseits, die als erste Frau alleine ein Schiff auf See führte – oft in der Ostsee – und große Reisen gemacht hat, einen bestimmten Glanz erfahren. Sie war eine der ersten segelnden Frauen, passend zu Kaiser Wilhelms Ruf: Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser.
Und wann sind Sie in diese Segelwelt eingetreten?
Als Kind. Als Familienmitglied. Irgendwann bekam ich dann ein kleines Schiffchen geschenkt, auf diesem kleinen Boot haben wir dann Segeln auf dem Wannsee gelernt. Es war die Pflanzschule des Segelns.
aus dem Buch: KLAUSSNER
Künstlerinsert
Der Bühnen- und Kostümbildner Márton Ágh über die Wandelbarkeit realistischer Räume und die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Kornél Mundruczó
von Thomas Irmer
Márton Ágh, Sie sind bekannt für Ihre detaillierten fotorealistischen Bühnenbilder, jüngst wieder zu sehen in Kornél Mundruczós Produktion „Imitation of Life“. Wie hat sich dieser Stil entwickelt?Nach meinem Abschluss an der Budapester Universität der Künste 1996 habe ich ungefähr achtzig szenografische Arbeiten für Film und Theater entworfen. Der entscheidende Moment kam dann im Jahr 2000: die Begegnung mit Árpád Schilling im Rahmen der Inszenierung „Nexxt“ – ich sagte sofort alles andere ab und hatte das Gefühl, dass alles zuvor nur Vorbereitung für die Arbeit mit ihm gewesen war. Bald darauf wurde Kornél Mundruczó von Schilling eingeladen, eine site-specific-Arbeit für sein Krétakör-Theater zu entwickeln. Für Kornéls nachfolgende Produktion von „Caligula“ kamen wir dann zusammen – und blieben es bis heute. „Imitation of Life“ kann man als Ergebnis dieser langen Zusammenarbeit und unserer gemeinsamen Entwicklung sehen. Am Anfang ging es mir nur darum, mich möglichst nicht zu wiederholen und eine langweilige Routine zu vermeiden.
2006 erarbeiteten Sie mit Mundruczó die international viel beachtete Inszenierung „Eis“ nach dem Roman von Vladimir Sorokin.Wir wollten eigentlich einen anderen Roman von Sorokin, „Die Herzen der Vier“, inszenieren, bekamen aber die Rechte nicht. Sein Agent schlug stattdessen das damals neue Buch mit dem Titel „Eis“ vor. Kornél war zu diesem Zeitpunkt schon ein erfahrener Filmregisseur, für den die Realität einer Szene, auch wenn sie stilisiert…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2017
Notizen über Theater und Tabu
von Hans-Thies Lehmann
Fragt man nach dem Tabu in den Künsten und speziell im Bereich des Theaters, so darf man den irrationalen Kern der Verbote nicht vergessen, die sich uns als verbindliche moralische Regeln, Sätze einer praktischen Vernunft darstellen. Das Ästhetische hat es zentral mit dem zu tun, was sich dem diskursiven Darstellungsvermögen fast entzieht (wie das kantische Erhabene), aber auch mit dem, was darzustellen untersagt ist vom Tabu. Gewiss geht im Zug der »Rationalisierung« (im Sinne Max Webers) die offenkundige Tendenz dahin, den Wirkbereich dessen, was einmal durch emotional hochbesetzte Tabus »unmöglich« gemacht war, off limits, einzuschränken und existente Verbote als rational, von jedermanns Vernunft einsehbar darzustellen. Doch erweist die bloße Existenz der Verbote und Normen bereits, dass es sich auch günstigenfalls nur um fast jedermanns Einsicht handeln könnte, dass das durch und durch Widervernünftige stets möglich bleibt. Den Beginn der Kultur markieren Bestattungsriten, Scheu vor dem Toten einerseits, das Inzesttabu andererseits. Die frühesten Tabus treffen darum Tod und Sexualität, deren Gemeinsamkeit Bataille in der archaischen Gewalttätigkeit erblickt hat. Der Exzess, aus dem die Zeugung hervorgeht, ist in seinem Wesen ebenso wie die Gewalt ein Aufreißen und Verschmelzen der Körpergrenzen. Weil machtvolle Triebe und unwiderstehliche Faszination auf die Übertretung dieser Grenzen drängen, bedurfte es mehr als eines Verbots. Das Tabu ist eine mit höchster…mehr
aus dem Buch: Das Politische Schreiben
Protagonisten
Unter dem neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg ist am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden eigentlich alles beim Alten – nur ein bisschen neu
von Shirin Sojitrawalla
Ab sofort ist das Hundeverbot im Hessischen Staatstheater aufgehoben. Was klingt wie ein Witz, ist dem neuen Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg eine Hausmitteilung wert. Wer ihn in seinem Büro besucht, wird folgerichtig zuerst von seinem Hund Oscar begrüßt. Ebenso folgerichtig blicken uns treuherzige Hundeaugen von Spielzeitheften, Plakaten und sonstigen Werbematerialien entgegen. Sehr treu führen sich auch manche Anhänger des vorherigen Intendanten Manfred Beilharz auf, der mit 76 Jahren (sic!) in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist. Schon vor dem Amtsantritt des Neuen stänkerten einige gegen die Absetzung einer jahrzehntealten Inszenierung von Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ und einer ebenso gut abgehangenen „La Bohème“. Die vermeintlich Werktreuen rüsteten zur Online-Petition, und auf Facebook füllen bizarre Wortmeldungen gegen das sogenannte Regietheater die Spalten. Wiesbaden eben. Claus Leininger, von 1986 bis 1994 Intendant des Hauses, formulierte einst: „Die Wiesbadener sind nicht neugierig, sondern altgierig.“ Da ist was dran, denn Teile des von sehr bösen Zungen als Krampfadergeschwader verspotteten Publikums setzen alles auf Altbewährtes.
Uwe Eric Laufenberg, übrigens der Bruder der früheren Theatertreffenleiterin und künftigen Grazer Intendantin Iris Laufenberg, machte ihnen zum Auftakt einen Strich durch die Rechnung und eröffnete seine erste Spielzeit mit Elfriede Jelineks langwierigem Bühnenessay „Rein Gold“. Darin kreuzt sie das…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2014