Daß die Welt nicht auf "Die Welt" hört, ist keine neue Feststellung. Aber die Shakespeare-Tage in Weimar in der letzten April-Dekade haben zumindest einen neuen Beweis für die Unpopularität der scharfmacherischen Methoden dieser Springer-Zeitung erbracht. Mit großem Aplomb hatte sie nämlich den Brief des Weimarer Generalintendanten Prof. Otto Lang, in dem er alle Gastspielvereinbarungen mit dem Wiesbadener Theater annullierte, weil der dortige Intendant Dr. Drese durch das Engagement vertragsbrüchiger Mitglieder der Komischen Oper den kalten Krieg auf den Kulturaustausch zu übertragen versuchte, zum Anlaß genommen, nun zu einem Boykott aufzurufen.
Alle Intendanten, so hieß es, sollten sich mit Dr. Drese solidarisieren und jegliche Beziehungen zum Deutschen Nationaltheater Weimar abbrechen. Wie unsere zweite Umschlagseite zeigt, haben jedoch während der Jahreshauptversammlung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft in Weimar nicht nur das gastgebende Theater und das Schauspielensemble aus Karl-Marx-Stadt, sondern auch die Bühnen von Kiel und Heidelberg ihre Aufführungen zur Diskussion gestellt. Der Weimar-Boykott ist innerhalb eines Monats ebenso zusammengebrochen wie der letzte Brecht-Boykott vor reichlich vier Jahren. Und erfolglos blieb auch der Versuch, die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft zu spalten. Viele westdeutsche und ausländische Gäste nahmen an den Aufführungen, Vorträgen und Diskussionen teil. Vor allem das abschließende Kolloquium, in dem sich der Meinungsstreit auf die Karl-Marx-Städter "Hamlet"-Inszenierung und den Vortrag ihres Regisseurs, Hans Dieter Mäde, konzentrierte, erwies sich dabei als fruchtbare Form des gesamtdeutschen Gesprächs. Über Ergebnisse der Weimarer Ehrung werden wir in unserem nächsten Heft ausführlich berichten. Schon hier aber muß man auf den großen Erfolg aufmerksam machen, den diese Tage erbrachten. Denn einmal mehr zeigte sich, daß der Gedankenaustausch über Kunst und Literatur aufs engste mit den Lebensinteressen des deutschen Volks verbunden ist. Wenn aus Celle, Kiel und Frankfurt (Main) die Hamlet-Figur wiederholt als Beispiel für die Skepsis gegenüber tätiger Weltveränderung beansprucht wurde, brachte der Hinweis eines westdeutschen Teilnehmers, daß eine solche Deutung nach zwei Weltkriegen so erschreckend aktuell sei, jene Aufgabe zur Sprache, die uns allen obliegt: Das Aufrichten einer neuen Hoffnung durch die Kunst und durch das Gespräch untereinander. Daß diese Hoffnung nicht ausrottbar ist, daß sie gerade trotz aller Polemik bei einem Besuch im anderen deutschen Staat von den Freunden Shakespeares in der Bundesrepublik gesucht wird, ist wohl die entscheidende Ursache, daß kein Boykott-Versuch mehr zieht, daß "Die Welt" denn doch alles andere als die Welt repräsentiert.
€ 6,99
Zu den Apps
Versandfertig in 1 - 3 Werktagen. Kostenfreier Standardversand innerhalb Deutschlands, zzgl. Versandkosten ins Ausland. Alle Preisangaben inkl. MwSt.
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren