Heft 06/2001
Peter Zadek über "bash"
Vom ethischen Kollaps der Gegenwart
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
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Hans Mayer (1907-2001): Gegen Ende seines Lebens, 1997, sah er sich in den "Ruinen des Jahrhunderts". Die spätbürgerliche Gesellschaft sei im Begriff, ins nachbürgerliche Stadium hinüberzuwechseln, und mit äußerster Bitterkeit sprach er darüber, was er gegenwärtig, in der "Entfesselung eines Kapitalismus der hemmungslosen Konkurrenz", als Kulturzerstörung erkannte. Sein rund vierzig Bücher umfassendes Werk kreist um bewahrendes Erkennen mit der von ihm geschätzten Dialektik und gewährt Durchblicke der deutschen Literatur von Lessing bis Heiner Müller im essayistischen Zugriff. Es gilt im Ganzen einem bis weit in die Moderne hinein gefassten Begriffder Aufklärung, deren postmodernes Finale er allerdings als Verkümmerung zu einer "Wegwerfgesellschaft" zurückwies.
Die erste längere literarische Studie behandelte 1946 "Georg Büchner und seine Zeit". Dem Werk von Dramatikern war er, der als junger Mann Aufführungen von Hauptmanns Stücken in den Berliner Kammerspielen Max Reinhardts erlebte, besonders verbunden. Bücher über Schiller, Kleist, Hauptmann, Jahnn, Dürrenmatt und Frisch, daneben die über Jahrzehnte spannende Beschäftigung mit Brecht und Wagner bieten nicht nur literaturgeschichtliche Zusammenhänge, sondern Möglichkeiten des Verstehens von Theaterdichtung als öffentlich zu verhandelnde Angelegenheiten der Gesellschaft. Als er nach schwierigen Jahren des Exils und einem journalistischen Intermezzo in Frankfurt am Main 1948 einem Rufan die Leipziger Universität als Professor für Literatur folgte, begannen jene fünfzehn Jahre, in denen er als Lehrer viele im legendären Hörsaal 40 ihm begierig zuhörende Studenten prägte. Aufden Bänken saßen Adolf Dresen, Christa Wolf, Uwe johnson und, ein paar Jahre nach ihnen, Volker Braun. Er lud Brecht und den jungen Günter Grass zur Diskussion, zweifelte öffentlich an der Kunstdoktrin der Staatspartei und musste 1963 in die Bundesrepublik fliehen, wo sich, neben den literaturwissenschaftlichen Arbeiten, seine bis heute anregende publizistische Tätigkeit reich entfalten konnte.
Er, der aus zwei Diktaturen floh und den Jahrhundertgang vom Kaiserreich bis zum wiedervereinigten Deutschland durchmaß, nannte nach ihrem Ende die DDR "eine deutsche Wunde, die noch lange nicht heilen wird". Das war kein Phantomschmerz und auch kein falsches Pathos, sondern trotz der eigenen Erfahrung mit einem Sinn für, auch historische, Gerechtigkeit gesprochen. Diese schien ihm, der mit Hegel den Knecht als Wahrheit des Herrn sah, in der Verantwortungslosigkeit heutiger Eliten verloren: eine Haltung, die er vielleicht schon vor achtzig Jahren, bei Hauptmann in den Kammerspielen, als einschneidende Ursache für Verhängnis und Verheerung empfunden haben mag. Hans Mayers Grab befindet sich in Berlin - in der Nachbarschaft von Bertolt Brecht und Heiner Müller.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, zugleich auch im Vorstand der sozialdemokratischen Kulturkommission, ist bekanntlich einer der wenigen Politiker, der nicht Worte wie "Sparzwang" und "Standortfaktor" im Munde führt, wenn es um Kultur, zumal umTheater geht. Seine Position im Gespräch (S. 4) ist eine deutliche Forderung zum Umdenken, nicht nur in den ostdeutschen Ländern: Was in der Kultur eingespart wird, muss die öffentliche Hand langfristig für die mittelbaren Folgen solcher Kürzungen wieder ausgeben. In Bremen (S. 18) schickt man sich an, Kulturstadt Europas zu werden, doch der kleine Stadtstaat mit den vielen Millionären ist kaum noch in der Lage, sein Kulturangebot im ganz normalen Alltag zu organisieren. Und in Köln haben jahrelange Querelen um Theatersubventionen jetzt zu einem Berufungschaos geführt (S. 76), das seinesgleichen sucht. Hier gilt nicht mehr: Wo die Gefahr am größten, da ist Rettung nah. Sondern: Wo die Not groß ist, da mUss sie noch größer werden. In Hans Mayers Geburtsstadt herrscht zumindest Verwahrlosung - Zerstörung hoffentlich noch nicht.
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