Friedenstäubchen, wo rollst du hin: Spätestens, als britische Soldaten mit Panzern das Tor zu einem von Saddams Palästen aufbrachen, um sich in Saddams Sesseln sitzend fotografieren zu lassen, hätte man ahnen können: Auch dieser Krieg speist sich - wie andere Kriege vor und nach ihm - aus banalen, allzumenschlichen Mechanismen und Interessen. Deswegen auch die brutal einfache Symbolik, die er in Momenten wie diesem erzeugt. Deswegen auch die Undurchschaubarkeit, die ihm zu anderen Zeiten eigen ist.
Spätestens in diesem Moment aber konnte man auch wissen: Dieser Krieg wird mit seinem militärischen Ende nicht zu Ende sein. Die Bilder des zerstörten und geplünderten Nationalmuseums zu Beginn der "Nach-Saddam-Ära" wirken neben dem hochabgesicherten Ölministerium nur im ersten Moment makaber. Sie werden - im Verweis auf die Unterlassung seitens der Besatzungstruppen - zum fatalen Zeichen eines umfassenden, ausradierenden Zugriffs aufdas Gedächtnis einer fremden Kultur - auf all den symbolischen Vorrat ihrer Geschichte und ihres Selbstverständnisses. In der Logik einer solchen Bemächtigungsstrategie ist auch angelegt, dass parallel dazu bereits die ersten Aufträge zum Wiederaufbau an eine amerikanische Baufirma ausgelobt und vergeben wurden. Verheißungsvoll für die Zukunft ist es nicht - nicht nur der Anmaßung, sondern vor allem des Verlustes wegen, der damit einhergeht. Verlust an kultureller Vielfalt. Letztlich wird damit auch an den Wurzeln der eigenen Kultur und des eigenen Selbstverständnisses gesägt.
Wenn dieser Krieg - aus deutscher Feme betrachtet - aber irgendeinen Nutzen von Belang haben könnte, dann nur in einem Zugewinn an Selbstverständnis. Das macht Analysen und Debatten notwendig, die jenseits eines moralisierenden Für-oder-gegen-den-Krieg stattfinden müssen und weder das Eigene noch das Fremde aussparen können. Und hier schlägt der Bogen ins deutsche Theater, das sich zum großen Friedensmichel aufschwang - um so mehr, je unabänderlicher der Krieg wurde. Große Plakate mit Friedenstauben vor die Portale zu hängen, Unterschriftslisten auszulegen, Aufrufe und Bekundungen nach Vorstellungsende zu verlesen etc. ist so ehrwürdig und notwendig wie hilflos-überflüssig zugleich. Es hilft vielleicht dem eigenen Gewissen, sich seiner moralischen Integrität zu vergewissern. Das aber ist angesichts fehlender Handlungsmöglichkeiten und damit fehlender Verantwortlichkeit letztlich irrelevant. Dass im Dresdner Schauspielhaus ein älterer Mann im Publikum auf solch ein öffentliches Haltung-Zeigen im Anschluss an die "Zauberberg"-Vorstellung mit lautem "Schwachsinn" antwortete, verwundert dann auch höchstens angesichts des Mutes, den es hierfür braucht. Nicht nur, dass dieser Einwurfdas ganze Dilemma mit einem Wort offenbar macht - dass es Sinn macht und zugleich schwach ist. Daraus spricht vor allem aber der berechtigte Ärger, dass dem Theater nichts besseres einfallt als harmlose Aufrufe über die Rampe zu schicken, über die zu reden sich nicht lohnt. Damit aber vergibt das Theater seine Chance als öffentliche Institution, in der gesellschaftliche Fragen kreisen können und ein Nachdenken in der Schwebe gehalten wird. Die Formen, in denen das möglich ist, können sich nur im Vollzug erweisen. Aber sie müssen gesucht und gefunden werden.
Die Redaktion
Jörg Buddenberg, Journalist, Bielefeld
Literatur- und Musikwissenschaftler, lebt in Tübingen, arbeitet als Kulturredakteur, Buchautor und freier Journalist für Feuilletons und Fachzeitschriften in Berlin, München und Stuttgart.
Publikationen im Bereich Theater und Musik, u.a. "Theater! Arbeit! Heyme!", 2015; "Kunst ist nicht…mehr
geboren 1934 in Mailand, Theaterregisseur, Gründer und seit 1980 Künstlerischer Leiter des Theater an der Ruhr in Mülheim.
born in 1934 in Milano, is director and founder of the Theater an der Ruhr in Mülheim/Germany, which puts a great emphasis on multicultural encounters.
war 1996 bis 2001 (Verantwortliche) Redakteurin bei Theater der Zeit, bevor sie in Paris bis 2012 das Festival LE STANDARD IDEAL in der MC93 Bobigny kuratierte. Seit 2004 ist sie Leitende Kuratorin des Festivals PREMIERES in Strasbourg und seit 2011 Künstlerische Leiterin von FAST FORWARD, Europäisches…mehr
wurde 1952 in Dresden geboren. Von 1973 bis 1978 studierte er Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach einem Forschungsstudium promovierte er 1980 und arbeitete das folgende Jahr am Philosophischen Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR. Im Herbst 1981 wechselte er an das…mehr
geboren 1969, freier Regisseur, lebt in Berlin.
geboren 1926 in Leipzig, gestorben 2017, Theater- und Literaturwissenschaftler, Herausgeber der Bertolt Brecht-Werke. 1959 Student bei Hans Mayer in Leipzig, danach Dramaturg am von Helene Weigel geführten Berliner Ensemble. Nach Weigels Tod (1971) leitete er bis 1990 das Brecht-Zentrum der DDR.
geboren 1972 in Köln, ist Dramaturg für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing und zugleich Verwaltungsleiter des Theater an der Ruhr/Mülheim a. d. Ruhr. Als Spezialist für afrikanisches Theater ist einer seiner Verantwortungsbereiche - gemeinsam mit Roberto Ciulli - die Internationale Arbeit des Theaters.…mehr
1967 in der Bauhausstadt Dessau geboren, arbeitete nach einem kirchlichen Abitur in wechselnden Berufen, weil ihm in der DDR kein Studienplatz zugestanden wurde. Nach Tätigkeiten als Regieassistent und Buchhändler, aber auch als Heizer und Transportarbeiter engagierte er sich im Herbst 1989 im Neuen…mehr
ist Autor und Regisseur von über 25 Theaterstücken. Lehraufträge u.a. in Gießen, Frankfurt am Main, Amsterdam, New York und Tokyo.
John Jesurun (Jg. 1951), studierte Bildhauerei und arbeitete danach zunächst fürs Fernsehen. Der in New York lebende Künstler drehte Kurzfilme und begann 1982 mit seiner…mehr
Publizist, Düsseldorf
Autorin, Berlin
Journalistin, Berlin
(*8. September 1931 in Berlin, † 13. Dezember 2014 in Berlin), aufgewachsen in einem sozialdemokratischen Elternhaus während der Nazi-Zeit. Ein schulischer »Überläufer« vom Nationalsozialismus in die antifaschistisch-demokratische Neuordnung. Einer der ersten Theaterwissenschafts-Studenten der DDR, von…mehr
wurde 1968 in Soltau geboren und wuchs in Landshut auf. Er studierte Regie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, war von 1996 bis 1999 Künstlerischer Leiter an der Baracke des Deutschen Theaters Berlin und ist seitdem Künstlerischer Leiter der Schaubühne am Lehniner Platz. Dort…mehr
Publizist, in Hannover geboren, promovierte über Heiner Müller. Arbeit als Dramaturg am Schauspiel Köln, Staatstheater Hannover, Staatstheater Stuttgart, Düsseldorfer Schauspielhaus u. a. mit Dimiter Gotscheff, Einar Schleef, Theodoros Terzopoulos, Valery Fokin und Tadashi Suzuki. Künstlerischer Leiter…mehr
Architekt, Berlin
seit 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Theaterwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 2007 bis 2013 war er Juniorprofessor für Musiktheater an der Freien Universität Berlin sowie Leiter von Forschungsprojekten im Sonderforschungsbereich "Kulturen des Performativen" und…mehr
studierte Germanistik, Theater- und Musikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Regie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Er war Musiktheaterpädagoge an der RuhrTriennale, Operndramaturg in Kiel sowie Operndirektor an den Theatern in Heidelberg und Karlsruhe. Er…mehr
Kunstkritiker und Essayist
geboren 1975 in Jena, Germanistin, Autorin, Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin, studierte neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaften / Kulturelle Kommunikation und 'Französisch an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Archivarin („Heiner-Müller-Archiv / Transitraum“ an der…mehr
Frank-Patrick Steckel, geboren 1943, deutscher Theaterregisseur und Übersetzer. Inszenierungen
u. a.: „Timon aus Athen“ (Bochum 1991), „Die Regierung des Königs Edward III.“ (Köln
2000).
Theaterwissenschaftlerin und Journalistin, Hamburg
geboren 1958 in La Paz. Autor, Verleger (BasisDruck Verlag), Herausgeber, Übersetzer und Journalist. Studierte an der Karl-Marx-Universität Leipzig und an der Humboldt-Universität zu Berlin.
1987 Promotion über Karl Mannheims Wissenssoziologie.1999-2013 Herausgeber/Redakteur der Zeitschrift Gegner.seit…mehr
Dagmar Walser, Theaterkritikerin und Redakteurin beim Schweizer Radio DRS2, Basel.
Geboren 1957 im Saarland, Studium der Romanistik und Philosophie in München und Paris, lebt in München. Bisher vor allem durch seine Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen bekannt (Corneille, Racine, Molière, Genet, Koltès u. a.). Neben Romanen ("Die Eroberung der Luft", 1992; "Abendregen",…mehr
Katja Werner, Journalistin, München
arbeitete mehrere Jahre als Dramaturg
an den Theatern in Mannheim, Gelsenkirchen und
Heidelberg sowie bei Verlagen und ist seit 2000 als Journalist
tätig. Für den WDR und den BR erstellt er Hörfunkbeiträge, vom
Kommentar bis zum Feature zu Themen aus den Bereichen Politik,
Gesellschaft und Musik.…mehr