Heft 12/2006
Wegen Baufälligkeit geschlossen
Das Theater Heidelberg kämpft einen exemplarischen Kampf
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Postenschauspiel Der Vorgang ist nicht ohne theatralischen Witz. Erst nascht sich Klaus Wowereit, seines Zeichens soeben wiedergewählter SPD-Oberbürgermeister in Berlin, aus dem Posten-Körbchen das Amt des Kultursenators. Gutgewillte nehmen dies als positives Zeichen, schließlich liege die Kultur damit in erster Hand. Die Schlechtgewillten erkennen darin jedoch einen Akt an Großmannssucht, der manche gar an feudalistisches Gebaren erinnert. Damit haben wir dann bereits einen bühnentauglichen Konflikt, der sich um die weitreichende Frage dreht, ob denn der Herr W. in staatsmännischer Pflicht oder aber in kleingeistiger Geltungssucht gehandelt habe. Die Sache lässt sich naturgemäß nicht eindeutig entscheiden. Der zweite Akt dieses Schauspiels liefert allerdings Indizien für den Verdacht, dass auch und gerade hauptstädtische Politik nicht frei ist von den Affekten des Trotzes: Herr W. ersucht den Bund - ein paar Wochen nachdem das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden hatte, dass Berlin keinen Anspruch auf Finanzhilfen beim Abtragen seines Schuldenberges habe - um weitere Unterstützung der hauptstädtischen Kultur, vor allem für die Staatsoper, wird aber kühl abgewiesen. Schwer getroffen und tief beleidigt schlägt der Abgewiesene wild um sich - und stellt die Opernstiftung, jene erst vor anderthalb Jahren eingerichtete Institution zur Erhaltung der drei Berliner Opernhäuser, in Frage; mit ihr auch dessen Leiter Michael Schindhelm. Im dritten Akt tritt der Gescholtene, Schindhelm, mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurück, nicht ohne pathetische Töne anzuschlagen. Der vierte Akt bringt eine überraschende Wendung, aber keine Lösung: Schindhelm bleibt nun doch bis April 2007, wird seinen Vertrag allerdings nicht bis 2010 erfüllen, also dennoch eher ausscheiden. Der letzte Akt gehorcht ganz der Zeit und den Umständen: Gar nichts ist geklärt, dafür geht alles wirr durcheinander. Ein einziges Hin und Her zwischen wüsten Spekulationen und Treueversicherungen der Kulturerhaltung gegenüber. So ist es, wenn man nicht weiß, was man will. In diesem Fall ist es mit Notwendigkeit so.
Denn um entscheiden zu können, ob sich der Bund in angemessenem Unfang für seine Hauptstadtkultur engagiert, bräuchte es nachvollziehbare Kriterien. Die indes gibt es nicht. Hierzu wäre ein Bekenntnis zu Berlin vonnöten, für das es in Deutschland entweder keine oder nur eine schreckliche Tradition gibt: die Hauptstadt als Brennpunkt nationaler Identifikation. Wollen wir das? Und wenn ja, warum? Ohne klare Antwort darauf, wird man auch weiterhin Berlin mit Hamburg oder München vergleichen, was schlicht und ergreifend Unsinn ist. Aus finanzieller wie aus bevölkerungspolitischer Sicht. So zeigt uns dieses Schauspiel an einem Einzelfall ein Allgemeines - das nach wie vor ungeklärte Problem, in welchem Verhältnis Deutschland sich zu seiner Kultur und seiner Hauptstadt sieht.
Was die Zukunft des Deutschen Theaters angeht, so waren sich Berlins Oberbürgermeister und der scheidende Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei / PDS) am Ende doch einig: Thomas Oberender, derzeit Schauspielchef bei den Salzburger Festspielen, soll Intendant des Deutschen Theaters werden. Oberender war bereits nach der erfolglosen Kandidatur von Christoph Hein ins Gespräch gebracht worden. Nun, bei Redaktionsschluss, gibt es einen Vorvertrag. Der 40-jährige Thomas Oberender also, der ein Intellektueller, ein feiner Essayist und nicht zuletzt auch Dramatiker ist, mit engen Arbeitsbeziehungen zu Autoren von Botho Strauß bis Moritz von Uslar, soll der Nachfolger von Wilms werden. Oberender hat eine Ostbiografie, Karriere hat er im Westen gemacht. Beim Gezerre um Christoph Hein hatte sich einmal mehr in reichlich ideologischer Weise gezeigt, in welchem Verhältnis Berlin zu seiner Vergangenheit steht. Die Generation Oberender dürfte diese Grabenkämpfe endlich überwinden.
TdZ schaut unterdessen auf die ganz junge Generation: Der Schwerpunkt dieser Ausgabe beschäftigt sich mit dem Kinder- und Jungendtheater - und ist damit nicht weit entfernt von den all den Fragen, die sich rund um das Wowereit-Schauspiel stellen. Denn gerade hier ist zu diskutieren, welche Aufgabe, welche Hoffnungen und Erwartungen man an solches Theater stellt. Zum Thema Kulturelle Bildung im Kinder- und Jugendtheater haben wir Wolfgang Schneider um einen Essay gebeten, mit Kay Wuschek, Intendant am Berliner Theater an der Parkaue, und Max Fuchs, Präsident des Deutschen Kulturrates, diskutiert, und bieten in unterschiedlichen Beiträgen einen Blick in die Praxis nach Düsseldorf, Berlin, Osnabrück und Eisenach.
Daneben finden Sie in diesem Heft zum Beispiel: ein Porträt des jungen Regisseurs Tilmann Köhler, ein Gespräch mit Jürg Kienberger, Berichte über Spielzeitauftakte.
Das Theater geht weiter. Natürlich. Auch im Jahr 2007.
Eine anregende Lektüre und ein frohes Weihnachtsfest wünscht
die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 1 |
Postenschauspiel | |
Heidelberg aktuell | Seite 4 |
Wenn plötzlich der Vorhang fällt …Theater Heidelberg: Wie sich städtischer Sanierungsstau über Nacht rächen kann und ein Ensemble vor geschlossenem Haus stehtvon Ralf-Carl Langhals | |
Porträt | Seite 6 |
Der Theaterzauber des Tilmann KöhlerPorträt eines Regisseurs, der am Weimarer Nationaltheater von sich reden machtvon Nikolaus Merck | |
Schwerpunkt: Kinder- und Jugendtheater | |
Wie muss man sehen, um sehen zu können?Grundsätzliche Überlegungen zur Kulturellen Bildung im Kinder- und Jugendtheater | Seite 11 |
Die Türe zum Kinderzimmer aushängenMax Fuchs und Kay Wuschek über Kulturelle Bildung und die Theaterbesucher von morgenvon Nina Peters | Seite 14 |
Werte, die nicht an der Börse gehandelt werdenErfahrungen einer Dramaturgin am Jungen Schauspielhaus Düsseldorfvon Kirstin Hess | Seite 19 |
Spandauer VerhältnisseErfahrungen eines Regisseurs: Jeder, der Theater spielen will, kann es auchvon Carlos Manuel | Seite 20 |
Bloß keine KinderbespaßungEisenach hat kein Schauspielensemble, aber ein Junges Theatervon Michael Helbing | Seite 21 |
Wunschkind OskarDie Osnabrücker Bürger leisten sich ein neues Kinder- und Jugendtheatervon Heiko Ostendorf | Seite 24 |
Bühnenmusiker | Seite 27 |
Bleib' mal lange hinten!Der Musiker, Schauspieler und Berufsschweizer Jürg Kienberger im Gesprächvon Wolfgang Behrens | |
Erwin Geschonneck zum 100. | Seite 31 |
Lieber GeschiBrief an Erwin Geschonneck zum hundertsten Geburtstagvon Regine Lutz | |
Neue Intendanzen | |
Ein Versprechen in AndeutungenDer alles andere als leichte Anfang unter dem neuen Intendanten Georges Delnon am Theater Baselvon Dagmar Walser | Seite 34 |
„Geist ist geil“ – mit Flatrate in die TheaterzukunftMit großem Wirbel will Matthias Oldag sein Publikum in Altenburg-Gera erobern | Seite 38 |
Die Hemmschwelle senkenMarkus Müller will das Theater in Oldenburg ordentlich umkrempelnvon Alexander Schnackenburg | Seite 41 |
In welchem Theater wollen wir zuschauen?Barbara Mundel eröffnet das Freiburger Theater auf diskursive Art und Weisevon Bodo Blitz | Seite 44 |
Auftritt | |
Nicolas Stemanns grandios-rabiate Uraufführung-Inszenierung von Jelineks „Ulrike Maria Stuart“ und Christiane Pohles bildstarke Uraufführung von Bernhards „Die Auslöschung“ am Thalia TheateHamburgvon Dirk Pilz | Seite 47 |
Lessings „Nathan“ und Wajdi Mouawads bedrückendes Stück „Verbrennungen“ am Deutschen TheaterGöttingenvon Tina Fibiger | Seite 48 |
Sabine Harbeke inszeniert ihr Stück „schonzeit“ im Hafen von KielKielvon Jana Dreben | Seite 51 |
Im Theater Bern geraten die „Buddenbrooks“ bieder, Savyon Liebrechts vielschichtiges Stück „Sieh mich an und sprich“ zur harmlosen SzenerieBernvon Nicole Ziegler | Seite 53 |
Im PATHOS transport theater München betrachtet Polle Wilbert in einem neuen Stück die Welt durch die RadsportbrilleMünchen | Seite 54 |
Das Unidram Festival widmet sich dem Austausch zwischen freien Theatergruppen aus Ost- und WesteuropaPotsdamvon Jörg Giese | Seite 55 |
Kolumne | Seite 57 |
Echtvon Josef Bierbichler | |
Stück | |
Aus Geschichten gepuzzeltThomas Freyer über Schreiben und Proben als ständige Überprüfung des Textesvon Wolfgang Behrens | Seite 58 |
„Amoklauf mein Kinderspielvon Thomas Freyer | Seite 59 |
Magazin | |
Kaprow oder Gegen-Kaprowdas Münchner Haus der Kunst ehrt den Happening-Erfindervon Willibald Spatz | Seite 69 |
Von der Lust, das Leben zu entdeckenDie 15. Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheatervon Manfred Jahnke | Seite 70 |
Politisches Theater für alle SinneWolfgang Engel erhielt den Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künstevon Hartmut Krug | Seite 72 |
In Memoriam Fritz Wistenvon Martin Linzer | Seite 72 |
Mit fröhlich-gerissener ZielstrebigkeitZum Tod der Bühnenverlegerin Stefani Hunzingervon Wolfgang Schuch | Seite 73 |
aufgelesenvon Dirk Pilz | Seite 74 |
Bücher/CDsDietmar N. Schmidt: Kurt Hübner.von Rudolf Mast | Seite 74 |
aufgelesenvon Dirk Pilz | Seite 74 |
Bücher/CDsAllerlei Igel - Neue Kinder- und Jugend-CDsvon Wolfgang Behrens | Seite 75 |
etc.von Dirk Pilz | Seite 75 |
aufgefallen!von Nina Peters | Seite 76 |
Meldungen | Seite 76 |
Premierenkalender | Seite 77 |
Dezember 2006 | |
Impressum | Seite 79 |
Impressum | |
Vorschau | Seite 80 |
Heft 01 / 2007 | |
Kommentar | Seite 81 |
Wo bleibt die Kunst?von Wolfgang Schneider |
Wolfgang Behrens
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Jana Dreben
Tina Fibiger
Thomas Freyer
Jörg Giese
Michael Helbing
Kirstin Hess
Manfred Jahnke
Hartmut Krug
Ralf-Carl Langhals
Martin Linzer
Regine Lutz
Carlos Manuel
Rudolf Mast
Nikolaus Merck
Heiko Ostendorf
Nina Peters
Dirk Pilz
Alexander Schnackenburg
Wolfgang Schuch
Willibald Spatz
Dagmar Walser
Nicole Ziegler
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