Heft 01/2007
Schwerpunkt Essen
Die Kulturhauptstadt 2010 geht exemplarische Wege
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Im Museum Folkwang in Essen ist noch bis Februar eine Ausstellung mit Porträts von Jugendlichen zu sehen, die die Fotografin Hellen van Meene in zahlreichen Ländern dieser Welt gemacht hat. Das Thema Jugend, die körperliche und seelische Veränderung in der Pubertät, verfolgt die niederländische Künstlerin seit Jahren. Unabhängig davon, ob die jungen Menschen in Tokyo, Essen, Berlin, London, Riga oder St. Petersburg aufgewachsen sind, die Gesichter, die da scheu, meist ernst und offensichtlich in einer sehr intimen Aufnahmesituation in die Kamera blicken, dokumentieren die Lebensphase der Jugend als eine Zeit der Transformationen: als eine Zeit der Unsicherheiten, der Wunschvorstellungen und Zweifel, der Selbstbildnisse, die in die Vergangenheit und stärker noch in die Zukunft weisen. Übergangszeiten sind nie einfach, entsprechend ist auch die Jugend keine einfache Zeit. Eben davon erzählen van Meenes quadratische Porträtaufnahmen.
In Essen selbst gibt es Stadtteile, in denen Jugendliche mit größeren Unsicherheiten zu kämpfen haben als an anderen Orten dieses Landes. In Deutschland, wo die soziale Herkunft stärker über die berufliche Zukunft entscheidet als in anderen Ländern, ist es ein Makel, in Katernberg aufgewachsen zu sein. Katernberg ist für Essen jener Stadtteil, der in Berlin Kreuzberg oder Neukölln oder in München Hasenbergl heißt. „hohe arbeitslosigkeit - hohe jugendkriminalität - hoher ausländer anteil - das ganze scheißprogramm das in unzähligen statistiken erfasst ist", schreibt der Autor und Regisseur Nuran Calis in der Kolumne in diesem Heft. Calis hat vor über einem Jahr einige Monate in Katernberg gelebt und für das Schauspiel Essen mit 16 Jugendlichen das Projekt „Homestories" erarbeitet. Die Produktion, die auf Texten, Songs und selbstkomponierter Musik der jugendlichen Darsteller basiert, erzählt davon, was es bedeutet, jung zu sein. „Homestories" erzählt, wie ein junger Russe nach Deutschland kommt, wie eine Iranerin Schwierigkeiten damit hat, sich in der neuen Klasse zu integrieren oder davon, „dass wir auch viel Scheiß gemacht haben...". Es erzählt von Freundschaft, Familie, von Liebe und von Kummer. Nuran Calis hat aus zahlreichen Geschichten einen kraftvollen Abend zusammengesampelt, den die Jugendlichen in ihrer Hand haben.
Eine dieser Statistiken, auf die Calis anspielt, besagt, dass demografische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Essen besonders deutlich zutage treten. Sie sagt voraus, dass Essen vergleichbaren Städten in Deutschland um 25 Jahre vorausgeht. Essen und das Ruhrgebiet haben in vergangenen Jahrzehnten eine beispielhafte Entwicklung erlebt. Als sechstgrößte deutsche Stadt ist Essen eine sogenannte schrumpfende Großstadt im postindustriellen Strukturwandel. Und kaum eine andere deutsche Stadt hat die Deindustriealisierung so konsequent als Möglichkeit zur Kulturinvestition verstanden. Einst einer der wichtigsten Industriestandorte des Ruhrgebiets mit der Zeche Zollverein, besitzt Essen mit der Oper, dem Grillo-Theater, PACT Zollverein, der Folkwang Hochschule oder auch dem Museum Folkwang wichtige Kulturinstitutionen, die ihren jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Im Jahr 2010 soll Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet Europas Kulturhauptstadt werden. Und während im Ruhrgebiet noch nach einem Künstlerischen Leiter für dieses Projekt gesucht wird, blickt TdZ auf Essen: mit einer Reportage über PACT Zollverein, das Forschungs- und Darstellungsraum für Tanz und Performance unter der Künstlerischen Leitung von Stefan Hilterhaus. Gleichzeitig gehen wir der Frage nach, was es am Grillo-Theater bedeutet, Theater für die Stadt zu machen. TdZ hat den Intendanten Anselm Weber und seinen Chefdramaturgen Thomas Laue zum Gespräch getroffen. Wenn es richtig ist, dass sich das Theater in sehr viel stärkerem Maße als bisher einem jüngeren Publikum zuwenden muss, das bisher wenig Berührung mit Theater hatte, um in Zukunft kulturell und (zunehmend offensichtlich auch) sozial eine Rolle zu spielen, dann könnte Essen ein Modell für die Zukunft sein.
Außerdem stellen wir Ihnen in diesem Heft die Schauspielerin Anja Schneider in einem Rollenbild vor. Dirk Pilz denkt darüber nach, auf welche Art und Weise das Theater manifestiert, dass es vom Glauben abgefallen ist und stellt fest: Die Bühnen kuschen vor der Provokation durch das griechische Drama. Und mit Mannheim, Saarbrücken und Ulm stellen wir drei weitere neue Intendanzen in dieser Spielzeit vor.
Und nicht zuletzt wünschen wir Ihnen und uns ein gelungenes Neues Jahr 2007!
Die Redaktion
Wolfgang Behrens
Nina Belenitskaja
Otto Paul Burkhardt
Barbara Engelhardt
Bernhard Hartmann
Christian Horn
Simone Kaempf
Constanze Klementz
Hartmut Krug
Ralf-Carl Langhals
Hans-Thies Lehmann
Martin Linzer
Nikolaus Merck
John Mighton
Nina Peters
Thomas Petz
Dirk Pilz
Gerd Rienäcker
Oliver Schwambach
Willibald Spatz
Lutz Stirl
Christel Weiler
Hans-Christoph Zimmermann
€ 6,99
Zu den Apps
Versandfertig in 1 - 3 Werktagen. Kostenfreier Standardversand innerhalb Deutschlands, zzgl. Versandkosten ins Ausland. Alle Preisangaben inkl. MwSt.
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren