Heft 07/2008
Sonderheft Staatsoper
Sanieren oder demolieren? Berlins Opernalternative
Broschur mit 112 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die 1742 von Wenzeslaus von Knobelsdorff errichtete, nach dem Zweiten Weltkrieg von Richard Paulick wieder aufgebaute und zuletzt in den 1980er Jahren instandgesetzte Staatsoper Unter den Linden grundlegend saniert werden muss. Nachdem zuvor alle Berliner Versuche gescheitert waren, den offenkundigen Fehler des deutsch-deutschen Einigungsvertrages zu beheben, nämlich den, die Staatsoper Unter den Linden allein auf die Stadt Berlin zu übertragen, und sie stattdessen wieder dem Gesamtstaat (wie mit verschiedener Zuordnung in der Zeit von 1742 bis 1990) oder auch einer Bund-Länder-Konstruktion wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu überantworten, hat die Bundesregierung nach langen zähen Verhandlungen im letzten Jahr nun immerhin einen Beitrag von 200 Mio. Euro für die Generalsanierung in Aussicht gestellt. Damit kommt sie ihrer im Einigungsvertrag mit Verfassungsrang eingegangenen Verpflichtung nach, „die kulturelle Substanz" der früheren DDR zu erhalten. Während der Bund im Rahmen eines Programms zum Erhalt von Kulturbauten einmalig die Sanierungskosten übernimmt, erhöht Berlin dauerhaft den Betriebszuschuss für die Staatsoper.
Soweit, so gut. Doch allenthalben ist Streit.
Der hausinterne Streit mit Generalmusikdirektor Daniel Barenboim um die Verteilung der zusätzlichen Etatmittel hat Peter Mussbach die Intendanz gekostet. Einen weitaus gewaltigeren und noch dazu öffentlichen Streit hat nun aber das am 4. Juni 2008 in einer Ausstellung vorgestellte Ergebnis des beschränkten Wettbewerbes ausgelöst, den die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 3. April 2008 zur Auswahl eines Generalplaners zur Sanierung der Staatsoper im März dieses Jahres ausgeschrieben hatte. Die Generalplaner sollten danach ausgesucht werden, ob es ihnen gelingt, für das Zuschauerhaus einen Entwurf vorzulegen, „der sowohl die Ansprüche des Nutzers nach einer optimalen Akustik und besseren Sichtverhältnissen wie auch das Erhaltungsinteresse der Denkmalpflege für den außergewöhnlichen Zuschauerraum Ernst nimmt und in seinem Entwurf berücksichtigt". Die Jury kam zu dem fatalen Ergebnis, dass sich die Ansprüche des Nutzers nach optimaler Akustik und besseren Sichtverhältnissen mit dem Erhalt des bestehenden Zuschauersaals nicht verbinden ließen, und bedachte mit dem 1. Preis den Entwurf von Klaus Roth, der einen vollständigen Neubau des Zuschauerhauses vorsieht und von dem jetzigen Bau außer dem Apollosaal und den oberen Wandelgängen ni
chts übrig ließe. Den 2. Preis erhielt ein Entwurf, der, sich seinerseits den Nutzeransprüchen beugend, den Paulick-Saal mit relativ geringen Eingriffen beibehalten hatte. Alle andern Entwürfe hatten ihm mehr oder weniger Gewalt angetan.
Damit steht die Staatsoper und die Berliner Kultur- und Denkmalpolitik am Scheideweg. Soll die denkmalgeschützte Staatsoper Unter den Linden mit ihrem Zuschauersaal in der Fassung des Wiederaufbaus unter dem Architekten Richard Paulick mit ihren immanenten, nur begrenzt überwindbaren Beschränkungen erhalten und saniert werden oder sollen die zur Verfügung stehenden Mittel dazu genutzt werden, der mehr als 250jährigen Staatsoper einen neuen Zuschauersaal mit „optimaler" Akustik und "verbesserten" Sichtverhältnissen verschaffen, der aber von der an Knobelsdorffs Formsprache orientierten Paulickschen Innenarchitektur kaum etwas übrig ließe? Die Entscheidung hierüber hat weitreichende Folgen für die gesamte Berliner Opernstruktur.
Da die Politik angekündigt hat, bereits Mitte Juli eine Entscheidung zu treffen, hat sich „Theater der Zeit" entschlossen, zu diesem Thema ein Sonderheft herauszugeben. Die Zukunft der Staatsoper Unter den Linden ist von öffentlichem Interesse und die im Raum stehende Entscheidung benötigt breite und gründliche Erörterung. Hierzu möchten wir beitragen. Wir dokumentieren zum einen die Ausschreibung, die Wettbewerbsentwürfe und das Juryvotum. Voran stehen Erkenntnisse zur Bau- und Nutzungsgeschichte der Staatsoper, zu ihrem Denkmalwert und zu der architektonischen und städtebaulichen Leistung Richard Paulicks beim Wiederaufbau des Linden-Forums. Schließlich wird die Stichhaltigkeit der Forderungen nach optimaler Akustik und besserer Sicht geprüft, im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Häusern, aber auch vor dem Hintergrund der Musiktheatergeschichte und den Erfahrungen im Umgang mit der Staatsoper in ihrer heutigen baulichen Fassung.
Angesichts ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand können die Herausgeber für sich keine Neutralität reklamieren. Wir plädieren entschieden für den Erhalt und die Sanierung der Staatsoper in ihrer Paulickschen Fassung. Sie ist Teil jener kulturellen Substanz, die die endlich vereinte Stadt und das vereinigte Deutschland zu bewahren und zu erhalten hat; sie hat sie sich längst als gemeinsame Substanz angeeignet. Es wäre eine unerträgliche Paradoxie, wenn die kongeniale Leistung des Bauhaus-Architekten und Emigranten Richard Paulick, der sich für den Erhalt des Berliner Schlosses ebenso nachdrücklich wie erfolglos eingesetzt und dieses immer als Teil des Linden-Forums begriffen hat, in demselben historischen Moment zerstört würde, da das Berliner Schloss als Bild zurückkehrt. Mögen sich die Geister am Wiederentstehen eines Verlorenen scheiden, gegen die Zerstörung einer existierenden, noch dazu exemplarisch gelungenen Architektur sollten sie zusammenstehen. Denn nicht alles, was Menschen können, sollten sie machen. Und nicht nur deshalb, weil sie nicht wissen, ob das Neue tatsächlich besser ist!
Friedrich Dieckmann, Thomas Flierl, Harald Müller
16. Juni 2008
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Sanieren oder demolieren? Berlins Staatsoper am Scheidewegvon Friedrich Dieckmann | Seite 5 |
Geschichte und Gegenwart | |
Die StaatsoperDenkmalwerte und Denkmalpflegevon Jörg Haspel und Frank Schmitz | Seite 14 |
Richard Paulicks Wiederaufbau des Forum Fridericianumvon Simone Hain | Seite 22 |
Richard PaulickBiografische Daten | Seite 28 |
Hörraum | |
Gibt es den idealen Hörplatz?von Klaus Brod | Seite 30 |
Zur Akustik des Zuschauerraumsvon Karl-Heinz Müller und Thomas Goldammer | Seite 34 |
Sanierungsbedarfvon Klaus Wichmann | Seite 38 |
Umfrage | Seite 40 |
Halten sie die Zerstörung des Paulick-Saales für gerechtfertigt?Christoph Stölzl, Ulrich Eckhardt, Harry Kupfer, Manfred Haedler, Fabio Luisi, Gerd Rienäcker, Michael Gielen, Wilfried Werz, Joachim Herz | |
Pressespiegel | Seite 48 |
„Ein Angriff auf die schönste Leistung des sozialistischen Klassizismus“Süddeutsche Zeitung 23. Mai 2008von Jens Bisky | |
„Das Auge hört mit“Der Tagesspiegel, 23. Mai 2008von Michael Zajonz | |
„Superkonzertsaal“F.A.Z., 26. Mai 2008von Regina Mönch | |
„Der Tanz um die Staatsoper“Berliner Zeitung, 29. Mai 2008von Nikolaus Bernau | |
Innenansicht | |
Zielsetzungvon Stefan Rosinski | Seite 51 |
Worum es gehtvon Friedrich Dieckmann | Seite 54 |
Wettbewerb | |
Die Ausschreibung | Seite 57 |
1. PreisKlaus Roth Architekten | Seite 60 |
2. PreisHPP Architekten | Seite 64 |
3. Preisgmp Architekten | Seite 68 |
Die WettbewerbsteilnehmerKleihues & Kleihues, PFP Architekten, hg merz Architekten, Atelier Achatz Architekten, Ortner & Ortner | Seite 74 |
Teil unserer gemeinsamen IdentitätRede zur Ausstellungseröffnungvon André Schmitz | Seite 86 |
Eine Zürcherin denkt an Luzernvon Friedrich Dieckmann | Seite 88 |
Sanierungsdebatte und Berliner Opernpolitikvon Sarah Zalfen | Seite 94 |
Pressespiegel | |
„Nur keine Halbheiten“Berliner Zeitung, 5. Juni 2008von Nikolaus Bernau | Seite 100 |
"Klang gegen Geschichte"(Süddeutsche Zeitung, 6. Juni 2008von Stephan Speicher | Seite 100 |
„Unbewusst, Hörerlust“F.A.Z., 12. Juni 2008von Jan Brachmann | Seite 101 |
„Mehr Zeit zum Streit“Berliner Zeitung, 17. Juni 2008von Nikolaus Bernau | Seite 102 |
„Der Saal ist Teil des Kunstgenusses“F.A.Z., 20. Juni 2008von Andreas Kilb | Seite 102 |
Umfrage | Seite 103 |
Braucht zeitgenössisches Theater neue Säle?Jürgen Schitthelm, Klaus Zehelein, Adriana Hölszky, Heiner Goebbels, Achim Freyer, Dieter Kranz | |
Impressum |
Nikolaus Bernau
Jens Bisky
Jan Brachmann
Klaus Brod
Friedrich Dieckmann
Thomas Goldammer
Simone Hain
Jörg Haspel
Andreas Kilb
Regina Mönch
Karl-Heinz Müller
Stefan Rosinski
André Schmitz
Frank Schmitz
Stephan Speicher
Klaus Wichmann
Michael Zajonz
Sarah Zalfen
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