Heft 03/2009
Krieger der Schönheit
Jan Fabre und drei Autoren über Körper im zeitgenössichen Tanz
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Braucht die gegen den Leib gerichtete Festung Europa einen neuen Darstellertyp? Ist nicht alles gut geregelt, mit Schauspielern hier, Tänzern dort und Sängern an einem dritten Ort, der allerdings nicht dem sagenumwobenen tertium non datur entspricht? Warum die Grenzen einreißen, die das Theater der Stimme markieren, den Nabel der Welt, um den sich in bewährter Manier seit Ewigkeiten alles dreht wie die Sonne um die Erde - oder das Berliner Theatertreffen um das deutsche Stadttheater? Was soll uns also die Ankunft des theatralischen Übermenschen oder der Übermarionette im Düsseldorfer Tanzhaus NRW bei der europäischen Premiere von Jan Fabres „Orgie der Toleranz" sagen? Wie eine Rotte Marsmenschen landet der Performertyp des 21. Jahrhunderts in der Boomzeit des Dokumentartheaters oder einem Manufakturbetrieb der Aufklärung und entrollt die Fahne der Schönheit.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass gleichzeitig im Kino der phantastische Dokumentarfilm „Man on wire" über „das größte künstlerische Verbrechen des 20. Jahrhunderts" (Paul Auster) anläuft. In einer Nacht- und Nebelaktion spannte der Franzose Philippe Petit 1974 ein Drahtseil zwischen die Twin-Tower in New York und balancierte 45 Minuten darauf herum. Ein Werk der Schönheit gerahmt vom Tod. Tatsächlich schafft er ein neues Bild des Menschen, wenn er wie ein fleischgewordener Gott auf dem Draht liegt und in die Wollen starrt oder die Polizisten narrt, die ihn verhaften wollen. Ähnlich möchte auch Jan Fabre mit seiner Company das Bild eines Menschen schaffen, der nicht nur sprechen, sondern auch singen und tanzen kann, der also die Beschränkung nicht mehr kennt, wie zuletzt noch in Frank Castorfs „Maßnahme/Mauser" zu sehen, wo entweder getanzt oder gesprochen wurde. Während Frank Raddatz sich ins Gespräch mit Fabre begab, suchte Dorte Lena Eilers sein Laboratorium in Antwerpen auf. An der Veränderung unserer Sinnlichkeit arbeitet erklärtermaßen auch Eszter Salamon. Im Berliner Hau beobachtete Kirsten Maar im Rahmen unseres Tanzschwerpunktes wie ganze Körperteile entgleisten. In Österreich dagegen probt die Choreografin Doris Uhlich die Poesie der Alltäglichkeit und zelebriert das Unperfekte. Zwei Extreme einer Kunstform, in der man den Toten jedenfalls kein „Sprechen an den Körper klatschen" kann, worin, wie uns Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek anlässlich Heiner Müllers 80. Geburtstag zu verstehen gibt, die eigentliche Macht der Dichtung besteht. Jene ominöse Kraft, die darauf beruht, immer wieder Rätsel aufzugeben, hat sich für Christoph Hein mittlerweile mehr und mehr in die Prosa verlegt. Im Gespräch mit Holger Teschke erinnert sich der Dramatiker Hein an jene Zeitenwende, als ein Stück wie „Die Ritter der Tafelrunde" noch den moralischen Bankrott einer ganzen Führungsriege anzeigten und bei der Dresdner Uraufführung entsprechend brisant gehandelt wurde. Nicht das Helle sondern das Dunkle gibt unserer Gegenwart Hoffnung - das Unbekannte, das Unausgelotete und Unbegriffliche. Eine Botschaft, die Gunnar Decker der „Urfaust"-Inszenierung von Andreas Kriegenburg am Hamburger Thalia Theater entnimmt. Sebastian Kirsch treibt es indes nach Köln, wo nicht nur das architektonische Modell eines neuen Schauspielhauses vorgestellt wird, sondern Karin Beyer emsig den Ruhm der Kölner Bühne vermehrt - nicht zuletzt mit der szenischen „Wunschkonzert"-Interpretation Katie Mitchells.
Nicht nur aus dem Herzen Europas gibt es etliches zu berichten, auch im Reich der Mitte tut sich einiges. Der Theaterkritiker Lin Kehuan reflektiert für Theater der Zeit über den Aufbruch des Theaters im China des 21. Jahrhunderts, während Georg Blume von den unbeugsamen Versuchen der Pekinger Regisseurin Cao Kefei berichtet, trotz Zensur das große chinesische Fortschrittsmärchen auf ein realistisches Maß zu verkleinern.
Wie jedes Jahr freuen wir uns über Ihren Besuch unseres Standes auf der Leipziger Buchmesse, wo der Verlag Theater der Zeit druckfrisch seine aktuellen Präsentationen vorstellt. Verirren Sie sich zum Beispiel mit Theodoros Terzopoulos „Im Labyrinth" Heiner Müllers, einem Künstlerdialog über das Wort, die Tragödie und den Körper.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Tanz | |
Der schöne Affe MenschDer Choreograf und Künstler Jan Fabre im Gespräch mit Frank Raddatz | Seite 10 |
Forschungsstation für den Käfer MenschDas Laboratorium von Jan Fabre in Antwerpenvon Dorte Lena Eilers | Seite 15 |
Was ein Körper kannMöglichkeitsszenarien im zeitgenössischen Tanz | Seite 18 |
Die Möglichkeiten einer InselDas Tanzquartier Wien als Ort internationaler Vernetzungvon Judith Helmer | Seite 22 |
Sich selbst aufs Spiel setzenWarum die Choreografin Doris Uhlich sich gern jenseits des sicheren Terrains bewegtvon Constanze Klementz | Seite 25 |
20 Jahre Mauerfall | Seite 28 |
Mitleidlose GenauigkeitChristoph Hein über das Jahr 1989 im Gespräch mit Holger Teschke | |
Aktuelle Inszenierung | Seite 32 |
Verschleißteil der WeltgeschichteAndreas Kriegenburg inszeniert den „Urfaust“ am Hamburger Thalia Theatervon Gunnar Decker | |
Hausporträt | Seite 34 |
Von Wohnhöllen und HöllentierenIn der zweiten Spielzeit festigt Karin Beier den neuen Ruhm des Schauspiel Kölnvon Sebastian Kirsch | |
Ausland | |
Das Nirwana des HundemannsDas chinesische Theater zwischen Markt und Staat, Tradition und Modernevon Lin Kehuan | Seite 38 |
Mao im ZirkusWie die Regisseurin Cao Kefei in Peking versucht, ein aufgeklärtes Theater zu etablierenvon Georg Blume | Seite 41 |
Auftritt | |
Das Staatstheater Mainz bringt mit „Menschen in Kindergrößen“ von Gerhild Steinbuch ein Gespensterballett auf die BühneMainzvon Shirin Sojitrawalla | Seite 43 |
Das Maxim Gorki Theater umspielt den Umbruch ’89Berlinvon Lena Schneider | Seite 44 |
Zwei Uraufführungen im Zimmertheater – in „Dörfer“ sucht Volker Schmidt nach dem Sinn jenseits der 30 und die Lumpenbrüder forschen nach den „Kardinaltugenden: Hoffnung“Tübingen | Seite 46 |
Neue Formen der Dramatik erfindet das Burgtheater in „Die Glocken von Innsbruck läuten den Sonntag ein“ von Ruedi Häusermann und Händl Klaus sowie „explodiert“ von Andreas LiebmannWienvon Margarete Affenzeller | Seite 48 |
Lesarten | Seite 50 |
Jean Racine „Iphigenie“Idiotische Tragödievon Michal Zadara | |
Kolumne | Seite 51 |
Bereit, unauffindbar zu seinvon Josef Bierbichler | |
Heiner Müller | |
Müllers Factoryvon David Bathrick | Seite 52 |
Da gibts nichts zu lachenvon Elfriede Jelinek | Seite 53 |
Autorengespräch | Seite 54 |
Wie bin ich das geworden, was ich bin?Der Autor Thomas Freyer im Gespräch mit Dorte Lena Eilers und Lena Schneider | |
Stück | |
„Die Korrektur“von Heiner Müller und Inge Müller | Seite 55 |
„Korrekturen 09“von Thomas Freyer | Seite 60 |
Matthes & SeitzSechs Fragen an Andreas Rötzer, den Verlagsleiter von Matthes & Seitz | |
Magazin | |
Mouson macht schön | Seite 67 |
Tod in Zeiten des medialen Rausches | Seite 68 |
Der Handel mit dem Wahnsinnvon Frank M. Raddatz | Seite 70 |
Linzers Eck | Seite 73 |
Der (Glücks-)Fall Matusche oder Wie vor fünfzig Jahren deutsche Autoren gefördert wurdenvon Martin Linzer | |
Meldungen | Seite 74 |
Korrespondenten | Seite 75 |
Radiovorschau | Seite 76 |
Premierenkalender | Seite 77 |
März 2009 | |
Impressum | Seite 79 |
Kommentar | Seite 80 |
Absturz in die Utopievon Gunnar Decker | |
Vorschau | Seite 80 |
April 2009 |
Margarete Affenzeller
David Bathrick
Josef Bierbichler
Georg Blume
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Thomas Freyer
Judith Helmer
Elfriede Jelinek
Lin Kehuan
Sebastian Kirsch
Constanze Klementz
Martin Linzer
Frank M. Raddatz
Lena Schneider
Shirin Sojitrawalla
Michal Zadara
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