Heft 03/2010
Fabian Hinrichs
Mit der Sprache im Ring
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
„dem hungrigen / bär gibt er honig“, dichtet Albert Ostermaier. Sein Gesang gilt der Theaterpranke von Wilfried Minks, der in diesen Tagen das 80. Lebensjahr vollendet. Hans-Thies Lehmann lässt Revue passieren, wie die Zuschauerbestie in minksschen Szenografien auf seine Kosten kommt und warum diese außerordentliche Figur zu Recht ein Stück moderner Theatergeschichte verkörpert. Wir gratulieren von Herzen. Auch wenn Fabian Hinrichs nicht für würdig befunden wurde, das Theatertreffen aufzumischen, für uns ist er der goalgetter der Stunde. Tom Mustroph sieht in ihm gar die Wiederkehr des Universalmenschen, eines renaissancehaften Ungetüms, und trifft damit ins Schwarze von Polleschs Phänomenologie des darstellenden Menschen. Hinrichs und Pollesch entbinden ein Menschenbild, hinter dem jeder noch so kritische Schein um Längen zurückbleibt. Mit Lücken im System beschäftigt sich Lena Schneider, die vier neue Theater der freien Szene in Berlin besuchte. Zu den großen unlösbaren Rätseln, welche diese Stadt aufgibt, gehört die Frage, wie die ärmste der westlichen Metropolen sich das ausschweifendste Kulturangebot leistet. Kein leerstehendes Totenhaus, in dem nicht schnell noch eine Theaternummer geschoben wird. Ob Theaterkapelle, Theaterdiscounter, Ballhaus Ost oder Eigenreich – die „Prekariatsavantgarde“ will vor einem eines: performen bis die Seele brennt. Das verbindet die Hauptstadt aller Deutschen auch mit Barcelona, der Zwingburg der Katalanen. Wenn hier was geht, ist es Theater, wie Dietrich Grosse zu belegen weiß. Frank Raddatz sprach mit Àlex Rigola, dem Chef des Teatre Lliure, der den Kultroman „2666“ von Roberto Bolaño auf die Bühnenbretter hievte. Wer einen Vorgeschmack auf die fünf kurzweiligen Stunden bekommen möchte, sollte am 6. März in die Berliner Schaubühne gehen, wo Àlex Rigola mit den Akteuren des Hauses, also auf Deutsch, eine Lesung des wichtigsten Romans der Nullerjahre dirigiert.
Von der Theaterstadt Barcelona blenden wir nach Beirut über, wo die Schriftstellerin Etel Adnan, eine zwischen Paris, Kalifornien und dem Libanon pendelnde 85-Jährige, im Rahmen unserer Reihe „Schöne Aussicht“ die Klubs der Sechziger in Beirut mit dem heutigen Nachtleben dort vergleicht. Offenbar sind die arabischen Frauen noch schöner geworden – besser angezogen ohnehin. Unser kosmopolitischer Ehrgeiz ist damit aber noch nicht ausgereizt. Während Tristan Berger mit Schauspielstudenten und dem Münchner Metropoltheater zu Gast ist an der Shanghai Theatre Academy, berichtet Carena Schlewitt, Leiterin der Kaserne Basel, aus Wuhan, einer 9-Millionen-Metropole in Mittelchina, über Kulturkomplexe, die einer „Form freier Theaterhäuser“ ähneln – allerdings in zwanzigfach vergrößerter Dimension. Es gibt weder Ensembles an diesen Theatern noch Subventionen.
Da das chinesische Fernsehen schnurzlangweilig ist, gehen die Massen möglicherweise sogar gern dorthin. Bevor wir nun aber mit Erika Fischer-Lichtes Theorie von Theater als Ereignis oder Hans Ulrich Gumbrechts Ästhetik der Präsenz kommen, eine kleine Anekdote am Rande. Als der Theaterkanal vor kurzem bei Volker Spengler wegen einer Rolle anfragte, erkundigte sich das Lieblingskuscheltier der Berliner Theaterszene sofort nach der Gage. Bezahlt wird wenig, vernahm er vom anderen Ende der Leitung: „Wir sind klein, aber oho!“ Daraufhin Spengler: „Jeden Morgen muss ich kacken und dafür brauch ich Scheine!“ Dann legte er auf.
Die Redaktion
P. S.: Redaktionsintern wird die Auswahl des Theatertreffens als zu harmlos betrachtet: die übliche Klientelpolitik zwischen Burgtheater und Deutschem Theater. Aber wir werden es nicht bei dieser Einschätzung belassen, sondern jede Aufführung eingehend analysieren – auch auf die Gefahr hin, diese erste Einschätzung korrigieren zu müssen. Doch davon an anderer Stelle mehr.
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 1 |
Künstlerinsert | Seite 2 |
Bühnenbildervon Wilfried Minks | |
Porträt | Seite 8 |
Der UniversalmenschDer Schauspieler Fabian Hinrichs in René Polleschs neuem Stück an der Berliner Volksbühnevon Tom Mustroph | |
Ausland | |
Die verlorene StimmeBarcelona (1): Über die Wiederbelebung des katalanischen Sprechtheatersvon Dietrich Grosse | Seite 12 |
Die Atmung des Publikums verändernBarcelona (2): Der Regisseur Àlex Rigola im Gesprächvon Frank M. Raddatz | Seite 15 |
TdZ gratuliert | |
Räume, die rufenDem Bühnenbildner Wilfried Minks zum 80. Geburtstagvon Hans-Thies Lehmann | Seite 18 |
bauprobe oder: ode an wilfried minksvon Albert Ostermeier | Seite 20 |
Freie Szene | |
Nicht reich, aber eigenEin Streifzug durch neue Theaterorte in der Berliner freien Szenevon Lena Schneider | Seite 22 |
Auf der Suche nach WiderstandHeike Albrecht, Leiterin der Sophiensaele, im Gesprächvon Sebastian Kirsch | Seite 26 |
Essay | Seite 29 |
Schöne Aussicht (3): Schwimmen im See des DoppelsinnsEin Reisebericht aus Beirutvon Etel Adnan | |
TdZ entdeckt | |
Szenische Töne, klingende TexteDie Regisseurin Anna-Sophie Mahlervon Simone von Büren | Seite 32 |
Das nordlichterne LeuchtenDie Schauspielerin Anne Müllervon Gunnar Decker | Seite 33 |
Neustart | |
Kulturkämpfe in KrisenzeitenDer neue Intendant Roland May am Theater Plauen-Zwickauvon Michael Bartsch | Seite 34 |
Grenzland als GrenzerfahrungDer neue Intendant Carsten Knödler am Zittauer Theatervon Andreas Herrmann | Seite 36 |
Ausland | |
Kulturelle ShoppingmallsChina (1): Ein chinesisch-deutsches Forum über die gigantischen Theaterkomplexe Chinasvon Carena Schlewitt | Seite 38 |
Unter den strengen Augen der ZensurChina (2): Ein Besuch des Münchner Metropoltheaters an der Shanghai Theatre Academyvon Tristan Berger | Seite 40 |
Auftritt | |
ZürichGänsejagd in seelenverderblichen Zeiten: „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz Regie Frank Castorf, Bühne Hartmut Meyer, Kostüme Jana Findeklee und Joki Tewesvon Simone von Büren | Seite 42 |
BerlinDas intensive Vögeln an einem Dienstagvormittag - Maxim Gorki Theater: „Das Prinzip Meese“ (UA) von Oliver Kluck Regie Antú Romero Nunes, Ausstattung Julia Plickatvon Gunnar Decker | Seite 43 |
HannoverDas Kichern des Narren - Schauspiel Hannover: „Parzival“ (UA) von Lukas Bärfuss nach Wolfram von Eschenbach Regie Lars-Ole Walburg, Bühne Reinhild Blaschke, Kostüme Kathrin Krumbeinvon Dorte Lena Eilers | Seite 44 |
OsnabrückTotentanz zwischen Flucht und Vernichtung - Theater Osnabrück: „Felix Nussbaum“ (UA) von Christoph Klimke Regie, Choreografie und Bühne Johann Kresnik, Kostüme Erika Landertingervon Heiko Ostendorf | Seite 45 |
KarlsruheWie geht das, keine Angst haben? - Badisches Staatstheater Karlsruhe: „Alles“ (DSE) von Rafael Spregelburd Inszenierung Rafael Spregelburd, Bühne Steven Koop, Kostüme Ursina Zürchervon Otto Paul Burkhardt | Seite 46 |
MainzRisse in der Popkultur - Staatstheater: „Krieg der Bilder“ (UA) von Falk Richter Regie Maria Åberg, Ausstattung Naomi Dawsonvon Marcus Hladek | Seite 47 |
Lesarten | Seite 48 |
Der andere in mir ist gestorbenGeorg Büchner „Leonce und Lena“von Laurent Chétouane | |
Kolumne | Seite 49 |
„Der Feind der Freiheit ist die Gleichheit“von Josef Bierbichler | |
Autorengespräch | Seite 50 |
Die Grundlagen der Gemeinschaft verwerfenDer Regisseur und Autor René Pollesch im Gespräch mit Tom Mustrophvon Tom Mustroph und René Pollesch | |
Stück | Seite 51 |
Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhangvon René Pollesch | |
Verlage im Porträt (6) | Seite 56 |
Im Spannungsfeld zwischen Wedekind und ValentinAcht Fragen an Guido Huller, den Verlagsleiter des Münchner Drei Masken Verlagesvon Christoph Leibold und Guido Huller | |
Magazin | |
Ein Abgeschrei auf politisches TheaterProspettiva 09 – ein neues Festival für zeitgenössisches Theater in Turinvon Robert Quitta | Seite 59 |
72 Stunden in Damaskus mit Rockschamanen im OrientWie junge Theatermacher in Syrien Heiner Müller entdeckenvon Frank M. Raddatz | Seite 60 |
Johns schöne neue WeltZwei Veröffentlichungen in den USA würdigen die „medialen Texte“ des Autors, Regisseurs und Künstlers John Jesurunvon Andrzej Tadeusz Wirth | Seite 62 |
etc.von Sebastian Kirsch | Seite 62 |
Aufgelesenvon Sebastian Kirsch | Seite 63 |
Im Lachen steckt UnsterblichkeitIm Gedenken an den Autor Kurt Bartsch (1937–2010)von Christoph Schroth | Seite 64 |
Alexander Kluge: Früchte des Vertrauens. Finanzkrise, Adam Smith, Keynes, Marx und wir selbst: Auf wen kann man sich verlassen?(DVD) filmedition suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, 4 DVDs, 658 Min., 29,90 EUR.von Sebastian Kirsch | Seite 66 |
Karl Heinz Bohrer: Das Tragische. Erscheinung, Pathos, KlageHanser Verlag, München 2009, 416 S., 24,90 EUR.von Frank M. Raddatz | Seite 67 |
Radiovorschau | Seite 68 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | |
Linzers Eck | Seite 69 |
23Design oder Nicht-Design: Andreas Kriegenburg erfindet die Drehbühne neu. Kleiner theaterhistorischer Exkursvon Martin Linzer | |
Aus den Korrespondentenbüros | Seite 70 |
Wuppertal: Kulturkahlschlag 1 – Protest gegen Theaterschließung in Wuppertalvon Andreas Rehnolt | |
Erlangen: Kulturkahlschlag 2 – Erlanger Figurentheater-Festival vor dem Ausvon Rainer Hertwig | |
Meldungen | Seite 71 |
Premierenkalender | Seite 76 |
März 2010 | |
Impressum | Seite 79 |
Kommentar | Seite 80 |
Jenseits der Pfadabhängigkeitvon Frank M. Raddatz | |
Vorschau | Seite 80 |
April 2010 |
Etel Adnan
Michael Bartsch
Tristan Berger
Josef Bierbichler
Otto Paul Burkhardt
Laurent Chétouane
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
Dietrich Grosse
Andreas Herrmann
Rainer Hertwig
Marcus Hladek
Guido Huller
Sebastian Kirsch
Hans-Thies Lehmann
Christoph Leibold
Martin Linzer
Wilfried Minks
Tom Mustroph
Heiko Ostendorf
Albert Ostermeier
René Pollesch
Robert Quitta
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Lena Schneider
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Simone von Büren
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