Heft 09/2019
Miser Felix Austria
Martin Kušej über seinen Start am Burgtheater
Broschur mit 124 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Come to Austria Country. Come to where the flavor is. Der Western ist, in seiner traditionellen Variante, das Reich der Alphamännchen. Ihr Revier ist der Wilde Westen, denn die Gesetze, die hier herrschen, gelten natürlich auf gar keinen Fall für sie. Mit gestählten Mustangs brettern sie durch die Straßen, im unerschütterlichen Glauben, sie hätten alles im Griff. Solche Alphamännchen gibt es viele. Reichlich übel wird es, stoßen sie in die Sphären der Politik vor. Dort sitzen sie dann, all die Trumps, Orbáns und Straches, und schwenken statt dicker Bohnen dicke Eier am Feuer. So gesehen, schreibt unsere Österreich-Korrespondentin Margarete Affenzeller, muss es wohl die Faszination am Grauen sein, dass Tausende Fans Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache trotz Ibiza-Skandal ihre weitere Unterstützung zusagen. Aber auch die ÖVP sitzt nach Bekanntwerden eines delikaten Videos, aufgenommen in einer Schredder-Firma, vor den vorzeitigen Neuwahlen am 29. September fest im Sattel.
In unserem Schwerpunkt Österreich vor der Wahl haben wir mit dem neuen Chef des Burgtheaters Martin Kušej über Theater als Opposition gesprochen. Er sei, sagt er im Gespräch mit Christoph Leibold, als Kärntner Slowene per se ein rotes Tuch für die FPÖ. Daher mache er sich für die Zeit nach der Wahl auf einen steifen Wind gefasst. Er werde kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber die Erwartung, sozusagen Oppositionsarbeit zu leisten, sei ihm zu groß. Ob der Hauptsponsor des Burgtheaters, Casinos Austria, in einer Inszenierung verdeckt unter die Lupe genommen wird, bleibt demnach abzuwarten. Der Glücksspielkonzern stehe, wie Zeitungen (leider nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) Mitte August berichteten, in Zusammenhang mit Ermittlungen der Wiener Staatsanwaltschaft gegen Strache und Johann Gudenus. Angeblich sei, wie der Standard schreibt, der FPÖ-Politiker Peter Sidlo nur aufgrund von Mauscheleien der Partei in dessen Vorstand aufgerückt. Dass der abgehalfterte Cowboy Martin Wuttke in René Polleschs „Deponie Highfield“ am Akademietheater Wien ständig Lipizza und Ibiza verwechselt, wie Margarete Affenzeller berichtet, ist daher möglicherweise mehr als ein Gag. Sollte man also, zitiert Theresa Luise Gindlstrasser die Wiener Burschenschaft Hysteria, das Männerwahlrecht ganz abschaffen? Wahlanalysen würden jedenfalls zeigen, dass vor allem Männer rechte Parteien wählen.
Ein weiteres Herzstück der Septemberausgabe sind die Porträts dreier großartiger Regisseurinnen: Jakob Hayner beschreibt die textgenauen, spannungsreich schwebenden Inszenierungen von Anne Lenk, Gunnar Decker blickt auf die Ära der Dresdner Bürgerbühnen-Leiterin Miriam Tscholl zurück, und Renate Klett stellt die unverbrüchlich unkorrumpierten Arbeiten der israelischen Regisseurin Ofira Henig vor, die aufgrund ihrer politischen Stücke zunehmend Schwierigkeiten hat, in Israel zu inszenieren, dafür aber im September bei der Ruhrtriennale zu Gast sein wird.
Ähnlich wie diese präzise die conditio humana entschlüsselnden Theatermacherinnen treten die Gewinnerinnen des Goldenen Löwen bei der diesjährigen Venedig Biennale hervor. Auf Sand und unter künstlicher Sonne erschufen die drei Litauerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė in ihrer zeitkritischen Opernperformance „Sun & Sea (Marina)“, so Anja Nioduschewski, „ein vielgestaltiges und paradoxes Bild vom seelischen und sozialen Nirwana unserer kapitalistischen und konsumistischen Lebensweise und vom Raubbau des Anthropozäns an der Natur“.
Ob der Dramatiker Oliver Kluck als Naturkatastrophe oder Kulturkatastrophe wieder Einzug ins Theater hält, ist derweil noch nicht ganz klar. Fakt ist: Wir freuen uns sehr, mit „Baader Panik“ sein jüngstes Stück in diesem Heft veröffentlichen zu können. Erik Zielke hat mit Kluck gesprochen, der seine nächste Premiere gerne in Wien hätte. Der Gasthäuser wegen.
Verabschieden musste sich die österreichische Landeshauptstadt in diesem Jahr von Johann Kresnik, der noch im Juli mit seinem „Macbeth“ das dortige ImPulsTanz-Festival eröffnete. Klaus Pierwoß erinnert an den Ende Juli verstorbenen Unbestechlichen des politischen Tanztheaters. Schmerzlich fehlen wird auch die Schriftstellerin Gerlind Reinshagen, die dem Theater auf unprätentiöse Weise unvergessliche Stücke schenkte. Erst jüngst, schreibt Renate Klett in ihrem Nachruf, hatte sie sich nach zahlreichen Romanen wieder dem Theater zugewandt und wollte unbedingt etwas mit Chören machen.
Wie der Chor der vielen in Europa aussehen müsste, beschreibt Josef Bierbichler. In seiner Kolumne erinnert er an das Manifest von Ventotene, das statt eines Europas der Konzerne ein Europa der Völker postuliert. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
---|---|
Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
„Sun & Sea (Marina)“Auf der Biennale Venedig 2019von Have a Good Day! | Seite 8 |
Konsum der WeltDie litauischen Künstlerinnen Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė erzählen in „Sun & Sea (Marina)“ auf der Biennale in Venedig vom Burn-out der Gesellschaft – und des Planetenvon Anja Nioduschewski | Seite 12 |
Thema | |
Anale PhaseÖsterreichs Künstler und die Polit-Malaise – Ein Land zwischen Ibiza-Skandal und Nationalratswahlvon Margarete Affenzeller | Seite 19 |
Als Kärntner Slowene bin ich ein rotes TuchDer neue Burgtheater-Intendant Martin Kušej über den steifen Wind aus Richtung der FPÖ und sein Gegenprogramm eines Theaters der kulturellen Vielfalt im Gespräch mit Christoph Leiboldvon Martin Kušej und Christoph Leibold | Seite 22 |
112 Jahre Männerwahlrecht waren dummDie Wiener Burschenschaft Hysteria dringt ein ins Herz der rechtsextremen Finsternisvon Theresa Luise Gindlstrasser | Seite 26 |
Kolumne | Seite 29 |
Die drei von VentoteneÜber den Ursprung der europäischen Idee als ein Europa der Völkervon Josef Bierbichler | |
Protagonisten | |
Die Zehn Gebote radikaler TheaterkunstIm Gedenken an den Choreografen, Tänzer und Regisseur Johann Kresnikvon Klaus Pierwoß | Seite 32 |
Wiedererkennen und ExplosionErinnerungen an die Schriftstellerin und Dramatikerin Gerlind Reinshagenvon Renate Klett | Seite 35 |
Wie schwebendFür Regisseurin Anne Lenk ist eine Theaterarbeit dann geglückt, wenn man die Regie fast vergisst und Schauspiel, Text und Raum zusammenfinden – ein Porträtvon Jakob Hayner | Seite 38 |
Verführerin zum eigenen TodMiriam Tscholl provoziert mit der Dresdner Bürgerbühne bewusst gesellschaftliche Durchmischungen – nach zehn Jahren gibt sie nun die Leitung dieses Erfolgsprojekts abvon Gunnar Decker | Seite 42 |
Wir spielen nicht KooperationWarum die israelische Regisseurin Ofira Henig in ihrem Heimatland überall aneckt und lieber frei arbeitet als mit staatlichen Geldern. Ein Porträtvon Renate Klett | Seite 48 |
Festivals | |
Als die Erde ein Garten warDas Teatro delle Albe erforscht mit Dante die Kulturhauptstadt Materavon Renate Klett | Seite 55 |
Ode an die innere FreiheitKirill Serebrennikovs „Outside“ beim Theaterfestival in Avignonvon Anastasia Klimovskaya | Seite 56 |
In den Ruinen EuropasPhia Ménard und ihre Compagnie Non Nova verblüffen mit „Contes Immoraux“ bei den Wiener Festwochenvon Margarete Affenzeller | Seite 57 |
Back to the RootsMarkéta Fantová, Künstlerische Leiterin der 14. Prager Quadriennale, über die Rückkehr der Szenografie zur Theaterpraxis im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Markéta Fantová | Seite 59 |
The Stage Is YoursDie Theaterformen in Hannover beschwören mit einer Vielzahl partizipativer Projekte die offene Gesellschaft und landen dabei leider auch beim Betroffenheitsdiktatvon Theresa Schütz | Seite 60 |
Bomben zu KunstZwischen schwer erträglich und beinahe lieblich: Beim diesjährigen Impulse Theater Festival in Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr ist die ästhetische Spanne wieder großvon Martin Krumbholz | Seite 62 |
Look Out | |
Gesunder WahnsinnDie Schauspielerin Rosa Thormeyer verkörpert auf der Bühne paradoxe Gegensätze zwischen Brutalität und Zaubervon Bodo Blitz | Seite 66 |
Einfach nur machenDie junge Dresdner Schauspielerin Luise Aschenbrenner war nie scharf auf eine Bühnenkarrierevon Michael Bartsch | Seite 67 |
Stück | |
Theaterarbeit als KulturkatastropheDer Autor Oliver Kluck über sein Stück „Baader Panik“ im Gespräch mit Erik Zielkevon Oliver Kluck und Erik Zielke | Seite 74 |
Baader Panikvon Oliver Kluck | Seite 76 |
Magazin | |
Mit der Welt auf AugenhöheMit der Werkschau XCHANGES auf Kampnagel Hamburg geht das Förderprogramm „Szenenwechsel“ des ITI und der Robert-Bosch-Stiftung zu Endevon Natalie Fingerhut | Seite 95 |
Theater als Common SpaceDas FFT Düsseldorf feiert zwanzigjähriges Jubiläumvon Ulrike Haß | Seite 96 |
Häuserkampf in Technohouse-CityDas Performing Arts Festival bezog mit dem Haus der Statistik eines der spannendsten Bauprojekte Berlins – diskutierte dann aber nur wenig über Gentrifizierungvon Dorte Lena Eilers | Seite 98 |
Die Kraft des Ensembles40 Jahre Theater Waidspeicher Erfurtvon Jörg Lehmann | Seite 100 |
Geschichte vom Herrn H.: Adornos Flaschenpostvon Jakob Hayner | Seite 101 |
Risse in der glänzenden FassadeDie Baden-Württembergischen Theatertage in Baden-Baden legen Konfliktpotenziale offen und hinterfragen dabei das Elitäre in der Kulturvon Elisabeth Maier | Seite 102 |
Sternstunden der traurigen GestaltenUlrich Matthes und Wolfram Koch zaubern bei den Bregenzer Festspielen mit Regisseur Jan Bosse einen „Don Quijote“ aus der Kistevon Dominique Spirgi | Seite 103 |
Zwischen Schlosskatze und HofhühnernDas Schloss Bröllin in Vorpommern bietet Raum und Ruhe für künstlerische Forschungvon Erik Zielke | Seite 104 |
Dreiländereck als europäische BühneDas trinationale J-O-Ś-Festival am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau erweitert seinen Radiusvon Andreas Herrmann | Seite 105 |
Fontane mehrgleisigDie neue Bühne Senftenberg springt mit ihrem Theaterspektakel auf den Fontane-Jubiläums-Zug aufvon Thomas Irmer | Seite 106 |
TalentprobenDas International Performing Arts Festival Outnow! in Bremen – eine virile Plattform für den Nachwuchsvon Jens Fischer | Seite 108 |
Neugieriger Beobachter und BegleiterZum Tod des Theaterleiters und Festivalkurators Bernd Mandvon Wolfgang Schneider | Seite 110 |
Bursche von unendlichem HumorDer Dramatiker, Hörspielautor, Übersetzer und Essayist Joachim Knauth ist totvon Ingeborg Pietzsch | Seite 110 |
Geist trifft MachtPeter W. Marx „Hamlets Reise nach Deutschland – Eine Kulturgeschichte“. Alexander Verlag, Berlin 2018, 440 S., 24,90 EUR.von Gunnar Decker | Seite 112 |
Erziehung auf der BühnePädagogik im Verborgenen. Bildung und Erziehung in der ästhetischen Gegenwart. Hg. von Clemens Bach, Springer VS, Wiesbaden 2019, 387 S., 49,99 EUR.von Jakob Hayner | Seite 112 |
Propaganda und WiderstandTheatre in the Context of the Yugoslav Wars. Hg von Jana Dolečki, Senad Halilbašić und Stefan Hulfeld, Palgrave Macmillan, London 2018, 339 S., 103,99 EUR.von Dorte Lena Eilers | Seite 113 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 114 |
PremierenSeptember 2019 | Seite 116 |
Impressum/Vorschau | Seite 119 |
AUTOREN September 2019 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 120 |
Was macht das Theater, Edmond Budina?von Tom Mustroph und Edmond Budina |
Margarete Affenzeller
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Bodo Blitz
Edmond Budina
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Markéta Fantová
Natalie Fingerhut
Jens Fischer
Theresa Luise Gindlstrasser
Ulrike Haß
Have a Good Day!
Jakob Hayner
Andreas Herrmann
Thomas Irmer
Renate Klett
Anastasia Klimovskaya
Oliver Kluck
Martin Krumbholz
Martin Kušej
Jörg Lehmann
Christoph Leibold
Elisabeth Maier
Tom Mustroph
Anja Nioduschewski
Klaus Pierwoß
Ingeborg Pietzsch
Wolfgang Schneider
Theresa Schütz
Dominique Spirgi
Erik Zielke
€ 6,99
Zu den Apps
Versandfertig in 1 - 3 Werktagen. Kostenfreier Standardversand innerhalb Deutschlands, zzgl. Versandkosten ins Ausland. Alle Preisangaben inkl. MwSt.
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren