Herr Latchinian, nach drei Jahren Theaterabstinenz sind Sie seit dieser Spielzeit Künstlerischer Leiter der Hamburger Kammerspiele. Wie ist es Ihnen in der Zeit seit dem unfreiwilligen und auch unfeierlichen Abschied aus Rostock ergangen?
Manchmal habe ich mich wie Philoktet auf Lemnos gefühlt, aber ich kann auch sagen, es waren die längsten Theaterferien meines Lebens.
![Foto: Anatol Kotte](https://assets.theaterderzeit.de/img/Content/38099/Sewan_Latchinian_Innen_thumb.jpg)
Sie haben den juristischen Streit um Ihre unrechtmäßigen Entlassungen vom Volkstheater gewonnen. Empfinden Sie darüber Genugtuung?
Das ist schon ein Trauma. Während ich in Rostock um die Erhaltung der Sparten und gegen die Entlassung von Sängern, Tänzern und Schauspielern kämpfte, spielten andere hinter meinem Rücken ganz andere Spiele, ich muss sogar von Verrat sprechen. Auch danach habe ich sehr wenig Solidarität in der Theaterwelt erlebt. Andere feiern sich seitdem als Intendanten des Volkstheaters, und ich bin der fristlos Entlassene. Da wusste ich wirklich nicht, ob ich noch mal zurück in die Theaterwelt will. Ich bin ja auch Autor und habe zudem andere Qualifikationen erworben, etwa eine Sprengberechtigung als Taucher bei der NVA. Aber dass es nun einen Theaterpakt gibt, der die Existenz der Bühnen in Mecklenburg-Vorpommern endlich sichert, dafür hat es sich gelohnt.
Ist das Buch, das Sie schreiben wollten, inzwischen fertig, und was bekommen wir da zu lesen?
Sechshundert Seiten liegen schon vor. Der Roman ist in der Endphase. Er kreist um die große Frage von Kultur und Barbarei. Ein Jahrhundert wird besichtigt, basierend auf meiner deutsch-armenischen Familiengeschichte. Der Völkermord 1915 an den Armeniern – auch unter deutscher Beteiligung – steht am Anfang, aber auch andere prägende Ereignisse in meinem Leben wie die NVA oder die Rostocker Zeit kommen vor.
Sie sagen, beinah hätten Sie mit dem Theater gebrochen. Nun aber doch nicht. Wie kamen Sie gerade an die Hamburger Kammerspiele, die im Schatten des Thalia Theaters oder des Hamburger Schauspielhauses stehen?
Hamburg hat mehr als dreißig Theater, da ist es doch bemerkenswert, dass Sie die Kammerspiele an dritter Stelle nennen! Dem Intendanten Axel Schneider, entsetzt von den Horrormeldungen aus der Nachbarschaft, gefiel meine künstlerische Arbeit in Rostock und Senftenberg. Er kannte mich aber auch schon als Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin. Ich habe hier erst eine Regie gemacht und wurde dann von ihm eingeladen, Künstlerischer Leiter zu werden.