Gespräch

Was macht das Theater, Shenja Lacher?

von und

Foto: Dirk Ossig
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Shenja Lacher, als Sie vor vier Jahren Ihren Vertrag am Münchner Residenztheater gekündigt haben, erklärten Sie in einem Interview mit der FAZ: Nur „Material“ eines Regisseurs zu sein, sei Ihnen zu wenig. Dann lieber selbst als Regisseur Material formen?

Das wird im Fall von „All By MySelfie“ in Jena sicher nicht so sein. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Schauspielerin Mona Vojacek Koper bringt ja ein Grundkonzept und ihre Texte selbst mit, und dieses Material formen wir dann gemeinsam. Aber auch, als ich vor ein paar Jahren an der Bayerischen Theaterakademie das erste Mal mit Schauspielstudierenden eine Inszenierung gemacht habe, habe ich versucht, die Leute nicht in irgendetwas hineinzupressen. Mir geht es eher darum, Feuer zu entfachen, Spiellaune und Fantasie zu fördern. Aber natürlich freu ich mich, wenn gutes „Material“ vorhanden ist. Wo nichts da ist, kann man auch nichts entfachen.

Versuchen Sie der Typ von Regisseur zu sein, den Sie sich als Schauspieler immer gewünscht haben?

Na ja, ich habe ja gar nicht vor, dauerhaft ins Regiefach zu wechseln. Das hat sich so ergeben. Ich sehe mich tatsächlich als Spieler. Das ist aber auch ein bisschen mein Problem. Ich muss lernen, mich zurückzunehmen. Ich arbeite auch als Rollenlehrer. Das macht mir viel Freude, aber ich glaube, dass ich den Studierenden oft auf den Sack gehe, weil ich viel vorspiele. Es ist vermutlich ziemlich anstrengend mit mir, und deswegen verkörpere ich eher nicht das Ideal, das ich mir vorstelle. Ich wünsche mir Regisseurinnen oder Regisseure, die beschreiben, was sie toll fanden und was eher nicht, um mich dann zu bestärken, in welche Richtung ich weitergehen könnte.

Aber können Sie jetzt, da Sie selbst gelegentlich am Regiepult sitzen, zumindest verstehen, dass einen diese Machtposition verführen kann, sie zu missbrauchen?

Niemand ist gefeit davor, auch mal ungerecht zu sein, aber Ungerechtigkeit als Druckmittel oder aus persönlichen Gründen ist unnötig. Jemanden vor versammelter Mannschaft zur Sau zu machen …? Wie soll denn diese Person nachher spielen? Zu glauben, dass Leute mit Angst besser spielen und arbeiten, ist Bullshit. In der Regieposition bist du doch genauso abhängig von den anderen wie umgekehrt, da wären Bescheidenheit und Respekt angebracht. Ich verstehe natürlich die Verführbarkeit und habe eher eine cholerische Ader, die ich unter Kontrolle halten muss. Aber das muss ich eben! Ich kann mich doch nicht aufführen wie der Alleinschaffende!

Sie reden sich in Rage, als wären seit Ihrem ­Abschied vom Münchner Residenztheater keine vier Jahre vergangen. Das Thema erregt Sie ­offenbar noch genauso wie damals?

Ja! Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, ich würde mit vierzig nicht mehr auf der Bühne stehen, dem hätte ich den Vogel gezeigt. Wenn mir jemand gesagt hätte, mein Hauptarbeitgeber wird das deutsche Fernsehen sein, hätte ich gesagt: Quatsch, ich gehöre ins Theater! Ich habe für das Theater geblutet, gehungert, alles. Und deswegen ist es mir natürlich überhaupt nicht egal. Es ist mir nicht egal, was mit den Theatern gerade durch Corona passiert. Aber ich bin immer noch in engem Kontakt mit vielen Menschen am Theater, die mir Dinge erzählen, bei denen ich mir denke: Das kann doch nicht wahr sein, dass das immer noch möglich ist! Und dann gucke ich mir teilweise die Inszenierungen an und denke: Wieso hast du so dicke Eier und deine Inszenierung ist so scheiße?

Dabei hatte man doch die Hoffnung, dass sich durch das Engagement, zum Beispiel des ensemble-netzwerks, einiges gebessert hat.

Und wie! Es hat sich massiv etwas verändert, und dazu hat das ensemble-netzwerk erheblich beigetragen. Auch auf den Leitungsebenen ist die Sensibilität gewachsen. Es gibt aber immer noch einige sture Dinosaurier, die man nicht wird ändern können. Aber man weiß ja, was mit Dinosauriern passiert ist.

Bei Ihrem Abschied vom Residenztheater haben Sie angekündigt, Sie würden so lange pausieren, bis Ihnen das Theater – als Schauspieler – fehlt. Ist es denn bald so weit?

Ich habe letztes Jahr am Schauspiel Frankfurt gastiert. Als ich da das erste Mal wieder auf der Bühne stand, hätte ich heulen können, weil ich dachte: Hier komme ich her! Aber ehrlich gesagt: Ich genieße gerade die Freiheit, selber auszusuchen, was ich mache, und herauszufinden, was ich machen will. Ich stehe nicht, wie als Schauspieler im Festengagement, auf einer Besetzungsliste, auf der ich vielleicht gar nicht stehen möchte. Insofern ist eine Rückkehr derzeit kein Thema. Aber vielleicht ergibt es sich irgendwann. Das wäre schön. //

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