Stück

Dramödie der Enttäuschten

Die Bielefelder Dramaturgin Franziska Eisele über ihre Bearbeitung von Oliver Bukowskis „Warten auf’n Bus“ im Gespräch mit Thomas Irmer

von und

Johannes Ackermann und Ralf Paschke in Oliver Bukowski "Warten auf'n Bus", Theater Bielefeld. Foto Joseph Ruben
Johannes Ackermann (gespielt von Oliver Baierl) und Ralf Paschke (Alexander Stürmer)  in Oliver Bukowski "Warten auf'n Bus", Theater Bielefeld. Foto Joseph Ruben

Was ist das Besondere, eine Serie fürs Theater zu adaptieren?

Es gibt eine größere Länge, viel mehr Text, sodass man auch am Theater einen Mehr­teiler machen könnte. Aber wir haben uns bei „Warten auf’n Bus“ für eine Bearbeitung für einen Abend entschieden. Daraus ergab sich für uns, also für mich und meine Kollegin ­Irene Wildberger, die Aufgabe einer Auswahl aus den Episoden der ersten Staffel.

Es gibt eine lange Exposition, um Ralle und Hannes in ihrem Dasein an der Endhaltestelle zu etablieren, und dann vier Szenen.

Scherzhaft gesagt: eine Fünf-Akt-Struktur. Die Exposition entspricht der Pilotfolge für eine Serie, wo ja die Figuren und Erzählfäden angelegt werden, das Setting. Hier Ralle und Hannes, wie sie sich in ihrer Verfasstheit über ihr Leben und die Welt unterhalten. Bis dann andere an ihrer Haltestelle vorbeischneien.

Jetzt stellt Ihre Version ja auch eine Art Ost-West-Transfer dar. Was hat Sie bewogen, einen Stoff, der auch sprachlich so stark in der brandenburgischen Provinz mit allen ihren sozialen Problemen verwurzelt ist, nach Bielefeld ins Theater zu bringen?

Erst mal hat uns der Stoff interessiert, und man interessiert sich ja auch für Menschen anderswo. Dass der Bergbau untergegangen ist und es Menschen an den Rand der Gesellschaft gespült hat, das gibt es ja auch hier in der Nähe. Aber wir wollten das gar nicht für Ostwestfalen umschreiben, was wegen der ­Erfahrung von Ralle und Hannes mit dem Hintergrund von DDR und Mauerfall gar nicht geht. Wir wollten vielmehr, dass man sie in ihrer Spezifik erkennt. Dazu gehört eben auch der Dialekt.

Oliver Bukowski ist in seinen Stücken auch ­Soziologe, und in „Warten auf’n Bus“ gibt es ­einen ernsthaften Diskurs über Rechts bzw. die Gründe dafür. Diese geraten in den Diskussionen über Ostdeutschland häufig in eine Vorurteilsschieflage.

Uns hat gefallen, wie differenziert das behandelt wird. Auf der einen Seite gibt es diese Schlägernazis, die ja auch nicht alle total dumm sind, sondern sehr gefährlich. Auf der anderen Seite fühlen auch Ralle und Hannes die Enttäuschung und das Verlassensein, das nicht mehr Gesehenwerden von einer Gesellschaft, die Aussichtslosigkeit, die in Protest führt. Und die beiden besprechen das ja auch von unterschiedlichen Positionen aus, geraten in Streit darüber.

Das Fernsehen spricht schon allein aus vermarktungstechnischen Gründen von einer Comedy-Serie. Wie würden Sie denn Ihre Bearbeitung bezeichnen?

Vielleicht Dramödie. Es gibt ja darin einen ganz besonderen Humor, nur ist der eben nicht alles. Was das fürs Theater ja auch interessant macht, ist, wie die beiden immer wieder ins Philosophieren kommen, in Welt­betrachtungen, für die man nicht vorher im Philosophie-Seminar gesessen haben muss, obwohl es auch einige Anspielungen gibt. Diese Mischung aus Komödie, Diskurstheater und Sozialdrama lässt sich vielleicht als Dramödie fassen.

Didi und Gogo in „Warten auf Godot“, gewissermaßen das Grundmodell für „Warten auf’n Bus“, warten eigentlich auf ihren Fluchthelfer. Das herauszufinden, hat allerdings fünfzig Jahre ­gebraucht. Werden wir schneller erfahren, ob Ralle und Hannes nicht vielleicht doch auf ­etwas Größeres warten?

Inzwischen läuft ja beim rbb die zweite Staffel. Mal sehen. //

Das vollständige Stück ist abgedruckt in TdZ 01/2022.

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