Heft 04/2013
double 27
Überforderung(s)Kunst. Figurentheater zwischen Grenzerfahrung und Erschöpfung
Rückstichheftung mit 56 Seiten, Format: 210 x 280 mm
Es ist weit nach Redaktionsschluss, die ersten Daten hätten bereits gestern beim Grafiker sein müssen, dabei fehlen immer noch Texte, von Bildern gar nicht zu reden. Derweil klingelt ständig das Telefon und ein Pop-Up-Fenster signalisiert neue E-Mails. Die Redaktion der Texte findet zwischen zwei Terminen statt oder es wird wieder spät am Abend. „Überforderung“ ist ein Modethema, kein Lifestyle-Magazin scheint ohne die Burnout-Debatte auszukommen und berichtet von viel zu viel Arbeit und viel zu wenig Zeit. Kein Wunder also, dass fast jeder, der im Theaterbereich arbeitet, auch etwas zum Thema sagen kann. Wir haben Figurenspieler, Theatergänger und einen Experten für Burnout nach ihren Erfahrungen gefragt und ein breites Spektrum in der alltäglichen Praxis gefunden: Kurze Probenzeiten, lange Vorstellungsdauer, zu viele Reize und die Herausforderungen, die einem im Kindertheater oder in der länderübergreifenden Theaterarbeit begegnen.
Überhaupt ist es die schmale Grenze zwischen Heraus- und Überforderung, mit der man in der Theaterwelt ständig konfrontiert ist. Heiner Goebbels, Professor für Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen und Intendant der Ruhrtriennale, spricht mit Anke Meyer über Herausforderungen an das Publikum, die Freiheit der eigenen Entdeckung und die Notwendigkeit von Fremdheitserfahrungen im zeitgenössischen Objekttheater.
Selten nah sind sich in der Überforderung die freie Szene und das Stadttheater. Katja Spiess diskutiert mit dem Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste Günter Jeschonnek über prekäre Arbeitssituationen, den immerwährenden Produktionsdruck und fehlende Spielmöglichkeiten, während Michael Isenberg am Theater Naumburg die Zwänge und Freiheiten des Stadttheatersystems, die Kreativität auf eine besondere Probe stellen, erforscht.
Überforderung als stetigem Begleiter künstlerischer Prozesse und als ästhetischem Phänomen im Figurentheater widmen sich zwei weitere Beiträge: Die Puppenspielerin und Regisseurin Sandy Schwermer, die sich gerade im Produktionsprozess befindet, beschreibt, wie sie und ihr Team mit inhaltlicher und methodischer Überforderung produktiv umzugehen versuchen. Mit einer theoretischen Reflexion geht der französische Figurentheatermacher Renaud Herbin das Thema an: Aus der Beschreibung des grenzüberschreitenden Zusammenspiels von menschlichem und künstlichem Körper entwickelt er ein Bild von Figurentheater als Überforderungskunst.
Im zweiten Teil des Heftes führt uns eine Stippvisite nach Westafrika. Die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Annette Bühler-Dietrich blickt gemeinsam mit Kollegen aus Burkina Faso auf die Puppentheaterszene des Landes und berichtet von der letztjährigen Ausgabe des Festivals FITMO/FAB in der Hauptstadt Ouagadougou. Auch in den Clips der Internetplattform YouTube finden sich figurentheatrale Erzählformen: Anna Teuwen klickt sich durch Tim Etchells´ Shakespeare-Objekt-Erzähl-Projekt „Be stone no more“ und Tim Sandweg begibt sich auf eine Reise durch die Clips der syrischen Opposition, bei denen Handpuppen eine wesentliche Rolle spielen. Mit Rezensionen neuer Inszenierungen und Festivalberichten sowie einem Blick auf die neue FigurenSpielSammlung in Magdeburg betrachten wir schließlich Entwicklungen des Puppentheaters in Deutschland.
Das Editorial ist fast fertig, auf dem Handy ist eine Nachricht vom Grafiker, der sich fragt, wo die Daten bleiben, das Hebbel am Ufer hat sich immer noch nicht auf die Fotoanfrage gemeldet. Also schnell die Jacke gegriffen, um selbst das Finanzamt in Reinickendorf zu fotografieren… Eine störungsfreie Lektüre wünscht die Redaktion.
SUMMARY
People in the theatre world are constantly confronted with a thin line between everyday challenges and excessive demands. double has talked to puppeteers, theatre-goers and an expert on burnout about their experiences. When it comes to excessive demands the fringe scene and conventional theatre are unusually similar. The head of the “Fonds Darstellende Künste” Günter Jeschonnek talks about precarious working situations, the continuous pressures of production and the lack of performing opportunities, whilst Michael Isenberg takes a look at the constraints and the freedom of the municipal theatre system at the Naumburg Theatre.
Three other articles are devoted to excessive demands as a constant factor and an aesthetic phenomenon in artistic processes. Heiner Goebbels, Artistic Director of the Ruhrtriennale festival, talks about challenging the audience and the freedom to make ones own discoveries. The puppeteer and director Sandy Schwermer describes how she and her team try to deal productively with excessive demands during rehearsals, whilst the French puppet maker Renaud Herbin examines the “excessive demand potential” in the complex relationship between the human and the artificial body.
Artikel | Seite |
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Thema | |
Die Verweigerung des SpiegelsEin Gespräch mit Heiner Goebbels, Intendant der Ruhrtriennale 2012–2014, über Kunst-Erfahrungvon Heiner Goebbels und Anke Meyer | Seite 6 |
Das große ÜEin Ausflug in den Produktionsalltagvon Sandy Schwermer | Seite 11 |
Statement: Information Overloadvon Markus Väth | Seite 13 |
Statement: Ich würd´s nie wieder machenvon Freda Winter | Seite 14 |
Statement: Widerstandsleistungen und Wahrnehmungslückenvon Tom Mustroph | Seite 15 |
Statement: Von der Perforation des Horizontsvon Stefanie Oberhoff | Seite 16 |
Statement: Ran an die Realitätvon Annette Scheibler | Seite 17 |
Gemeinsame GrenzüberschreitungFigurentheater als Überforderungskunstvon Renaud Herbin | Seite 18 |
Nur keine Leere aufkommen lassenEin Portrait des Theater Naumburgvon Michael Isenberg | Seite 20 |
Im DurchlauferhitzerEin Gespräch mit Günter Jeschonnek über die Überforderungssymptomatik in der freien Theaterlandschaftvon Katja Spiess | Seite 24 |
Stippvisite: Burkina Faso | |
Ohne gesellschaftlichen Auftrag geht es nichtPuppentheater in Burkina Fasovon Noufou Badou und Annette Bühler-Dietrich | Seite 29 |
Zwischen Ritus, Ästhetik und PädagogikBurkinisches Figurentheater in historischer Perspektivevon Hamadou Mandé | Seite 32 |
Nicht nur für SchauspielerPuppentheater bei FITMO/FAB 2012von Annette Bühler-Dietrich | Seite 33 |
Inszenierungen | |
Ein sonniger Morgen in der UnterweltMonteverdis „Orpheus“ an der Komischen Oper Berlinvon Anke Meyer | Seite 35 |
Im Klammergriff des PatenDer Puppet-Action-Thriller „City of Fear“ der Berliner Retrofuturistenvon Tim Tonndorf | Seite 36 |
Blockbuster Faust„Die Geschichte von Dr. Faust" – Eine Koproduktion des TJG Dresden und des Schauspiel Franfurtvon Tobias Prüwer | Seite 37 |
Wunderbare Parabel über der Welt des Theaters„Das Mädchen im Löwenkäfig“ vom Ensemble Materialtheatervon Manfred Jahnke | Seite 38 |
ERROR„Depot für geniale Irrtümer“ des Ingenieurtheaters AKHEvon Tim Sandweg | Seite 39 |
Unterhaltungskunst„Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär“ in einer Inszenierung von Thalias Kompagnonsvon Christian Bollow | Seite 40 |
Ausblick | |
On and OffEine YouTube-Reise durch die syrische Oppositionvon Tim Sandweg | Seite 41 |
Sei nicht mehr SalzstreuerTim Etchells macht Tischplatten-Shakespearevon Anna Teuwen | Seite 44 |
Festival | |
Einfach erlebenDas Festival „Theater 2+“ in der SCHAUBUDE BERLINvon Barbara Fuchs | Seite 45 |
Was tue ich hier?Eindrücke vom Internationalen Theaterfestival UNIDRAM 2012 in Potsdamvon Anke Meyer und Katja Spiess | Seite 48 |
Sammlung | Seite 50 |
Theatermacher machen MuseumDie FigurenSpielSammlung Mitteldeutschland und das Puppentheater Magdeburgvon Meike Wagner | |
Buchbesprechung | Seite 52 |
Auf der Grenze zwischen Wahrheit und Schein: Andreas Regelbergers Studie zu Bunraku eröffnet neue QuellenA. Regelsberger: Fragmente einer Poetologie von Puppe und Stimme. Ästhetisches Schrifttum aus dem Umfeld des Puppentheaters im edozeitlichen Japan. Iudicium Verlag, München 2011von Manfred Wegner | |
Nachruf | Seite 53 |
Trauer um Yves Baudinvon Gert Engel | |
Notizen & Festivalkalender | Seite 54 |
Impressum | Seite 56 |
Noufou Badou
Christian Bollow
Annette Bühler-Dietrich
Gert Engel
Barbara Fuchs
Heiner Goebbels
Renaud Herbin
Michael Isenberg
Manfred Jahnke
Hamadou Mandé
Anke Meyer
Tom Mustroph
Stefanie Oberhoff
Tobias Prüwer
Tim Sandweg
Annette Scheibler
Sandy Schwermer
Katja Spiess
Anna Teuwen
Tim Tonndorf
Markus Väth
Meike Wagner
Manfred Wegner
Freda Winter
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