Heft 04/2022
Double 45
An die Substanz. Material im Figurentheater
Rückstichheftung mit 56 Seiten, Format: 210 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Überall herrscht Materialknappheit: Holz fehlt auf dem Bau, Chips in der Automobilindustrie. Überall? Nein! Im Figurentheater ist Material vorhanden – immer schon und in größter Vielfalt! Nicht nur, wenn es sich um „Materialtheater“ im engen Sinne handelt, bildet das Material die physische Grundlage jeder Inszenierung. Es wird ausgewählt, bearbeitet, mit anderen Materialien kombiniert und schließlich bespielt. Es wird vom Publikum wahrgenommen, das dann seine eigenen Materialerfahrungen im Rezeptions-Gepäck hat. Und nachdem es „abgespielt“ ist, muss es irgendwo hin. Das Material des Figurentheaters ist also ständig in Bewegung – auf der Bühne sowieso – aber auch davor und danach durchläuft es zahlreiche Transformationen. Die vorliegenden Texte nehmen diese immer wieder in den Blick (von roh zu bearbeitet, von intakt zu kaputt, von unbenutzt zu benutzt, von analog zu digital …) und illustrieren damit, wie reich die Lust am Material und seiner Erkundung das Figurentheater macht.
Kathi Loch startet mit den Grundlagen der Grundlagen, indem sie auf das Enstehen, Sein und Vergehen des Materials im Figurentheater schaut. Dazu passend liefert Astrid Schenka mit der Unterscheidung der Begriffe „Material“ und „Materialität“ ein wertvolles Analyse-Werkzeug – auch um die eigene Materialwahrnehmung im Theater zu schärfen. Von der Theorie zur Praxis führt ein Fragebogen, in dem die Puppenbauer Rainer Schicktanz und Florian Loycke ihre – äußerst unterschiedlichen – Lieblingswerkstoffe vor- und gegenüberstellen: Holz und Schaumstoff. Über ein auf der (Figurentheater-)Bühne eher ungewöhnliches Material – nämlich Glas – berichtet Annika Gloystein anhand gleich zweier Projekte und kommt dabei den Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Umgang mit der Fragilität auf die Spur. Weitere sehr besondere Materialien lernen wir aus Künstler*innen-Perspektive kennen: das Eis, mit dem Élise Vigneron sich immer wieder auseinandersetzt, und den Lehm, an dem Simon Wauters sich in einer Inszenierung intensiv abarbeitete. Dass die Erforschung des Materials gerade für die allerkleinsten Zuschauer*innen einen spannenden Zugang zum Theater birgt, belegt Christiane Plank-Baldauf durch einen Workshop-Bericht. Und natürlich darf auch der Aspekt des Digitalen nicht fehlen: Alice Therese Gottschalk verrät, wie sich Figuren (per 3D-Drucker) aus dem Digitalen heraus materialisieren, Mario Kliewer, wie analoge Materialien zum Zwecke der (musealen) Vermittlung digitalisiert werden. Zwei Beiträge, die sich mit dem „Nachleben“ des Materials befassen, kommen von Frank Soehnle, der beweist, dass benutztes Material mit viel Erkenntnisgewinn reaktiviert und -animiert werden kann, sowie von den drei Expertinnen, die sich mit Meike Wagner zum Gespräch trafen: Sie erzählen aus den Lübecker, Münchner und Dresdner Puppentheatersammlungen, wie dort um die Konservierung des Materials gerungen wird.
Der zweite Teil des Hefts startet mit zwei Texten im französischen Original, in denen Pierre Meunier seine herausfordernde Arbeit mit einem Steinhaufen poetisch reflektiert. Bei der Tagung „PuppetPlays“ bildeten Puppenspieltexte das Diskussionsmaterial, während bei der dezentralen Konferenz „Extend it!“ mit Online-Formaten experimentiert wurde. Darüber hinaus führen uns die Autor*innen ins Spielzeugmuseum nach Deventer, denken über die paradoxe Animation von Tierpräparaten nach und schauen auf Rafi Martins gewichtvolle neue Soloperformance, die jüngst in Stuttgart Premiere hatte. Es werden verschiedene Dimensionen eines nachhaltigen Figurentheaters diskutiert, und das Schweizer Fenster überwindet erstmals den „Röstigraben“. Das Heft enthält außerdem einen Nachruf auf den nach schwerer Krankheit verstorbenen Künstler Joachim Torbahn, dessen visuell-fantasievolle „Maltheater“-Arbeiten in Erinnerung bleiben werden.
Einen anregenden Blick auf die handfesten „Basics“ des Figurentheaters wünschen
Kathi Loch, Christina Röfer und Meike Wagner
The physical basis of every puppet theatre production is its material. It is selected, processed, combined with other materials and finally performed. During the performance, an audience perceives it and has its own material experiences in its receptive baggage. And after it has been "played", it has to go somewhere. The material of puppet theatre is therefore constantly in motion – on stage at any rate – but even before and after, it often undergoes numerous transformations. The texts in this issue repeatedly reveal these transformations (from unworked to processed, from intact to broken, from unused to used, from analogue to digital, ...) and thus illustrate the extent to which the desire for material and its exploration enriches puppet theatre.
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Thema | |
Entstehen, Sein, VergehenEine Begleitung des Materials auf seinem theatralen Werdegangvon Kathi Loch | Seite 6 |
Über den Eigensinn der Objekte sprechenMaterial vs. Materialitätvon Astrid Schenka | Seite 8 |
Leichtes Holz und unschlagbarer SchaumstoffPuppenbauer über ihre Lieblingsmaterialienvon Rainer Schicktanz und Florian Loycke | Seite 9 |
Das Spiel mit stehen gebliebener FlüssigkeitÜber den Einsatz von Marionetten aus Glas bei Wael Shawky und dem Puppentheater Ljubljanavon Annika Gloystein | Seite 12 |
„Dieses Material erschöpft sich nie“Theaterarbeit mit Eisvon Élise Vigneron | Seite 15 |
Von tönendem Rascheln und tanzender StilleKlangerkundung mit Kita-Kindernvon Christiane Plank-Baldauf | Seite 16 |
RealitätseffekteMaterialien im imaginären Museum Puppets 4.0 und in einer digitalen Theatrum mundi-Aufführungvon Mario Kliewer | Seite 18 |
Material als ZeitreiseZwei Stücke für vergessene Figurenvon Frank Soehnle | Seite 20 |
Die Resonanz zwischen dem dunklen Text und dem lebendigen MaterialLehm – Erde – Asche als theatrale Allegorienvon Simon Wauters | Seite 21 |
Beliebig reproduzierbarFigurenbauexperimente mit dem 3D-Druckervon Alice Therese Gottschalk | Seite 22 |
Essai en Français | Seite 28 |
„Le silence du tas“ & „Interview imaginaire“Zwei poetische Textevon Pierre Meunier | |
Diskurs | |
Les pièces echappées du feuDas Kolloqium „Literary writing for puppets and marionettes in Western Europe“ in Montpelliervon Mascha Erbelding | Seite 30 |
Wir üben uns im Fragen stellenEindrücke von „Extend it! – Dezentrale Konferenz zum Jetzt und Morgen des Figurentheaters“von Annika Gloystein | Seite 32 |
Festival | |
Etappenziel: FestivalerlebnisWochenendbesuche in Erlangen und Magdeburgvon Anke Meyer | Seite 34 |
Formenvielfalt und SpielfreudeZur 47. Verleihung des Fritz-Wortelmann-Preisesvon Christina Röfer | Seite 37 |
Stippvisite | Seite 38 |
Spielzeug für deine FantasieDie interaktive Installation des TAMTAM objektentheater im Speelgoedmuseum Deventervon Tuur Devens | |
Inszenierung | |
Toten Tieren das Leben rettenDas Puppentheater Ljubljana zeigt „Still Life“ beim Festival Theater der Dinge in Berlinvon Anke Meyer | Seite 40 |
Die Verlagerung von Gewicht(ungen)Rafi Martins „The ceremony of weight“ in Stuttgartvon Brigitte Jähnigen | Seite 41 |
Seitenblick | Seite 42 |
WachrüttelnTim Sandweg und Rebecca Gonter im Gespräch über Nachhaltigkeit im Figurentheatervon Tim Sandweg und Rebecca Gonter | |
Nachruf | Seite 45 |
Thalias Kompagnons haben einen Kumpan verlorenZum Tod von Joachim Torbahn (1962–2021)von Michael Bader | |
Schweizer Fenster | Seite 46 |
Mit der Marionette über Grenzen hinwegEin Gespräch mit Chine Curchodvon Franziska Burger und Chine Curchod | |
English Summaries | Seite 46 |
Notizen / Festivalkalender | Seite 50 |
Impressum | Seite 56 |
Michael Bader
Franziska Burger
Chine Curchod
Tuur Devens
Mascha Erbelding
Annika Gloystein
Rebecca Gonter
Alice Therese Gottschalk
Brigitte Jähnigen
Mario Kliewer
Kathi Loch
Florian Loycke
Pierre Meunier
Anke Meyer
Christiane Plank-Baldauf
Christina Röfer
Tim Sandweg
Astrid Schenka
Rainer Schicktanz
Frank Soehnle
Élise Vigneron
Simon Wauters
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