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Heft 10/2010
IXYPSILONZETT 03/2010
Heldinnen der Zeitgeschichte auf den Bühnen des Kinder- und Jugendtheaters
Rückstichheftung mit 32 Seiten, Format: 210 x 280 mm
In den Spielplänen für ein junges Publikum heißen Titelheldinnen Arielle, Aschenbrödel oder Pippi, Polleke und Pünktchen. Da lassen Stückankündigungen aufhorchen, deren Titel historische Namen tragen: „Auf Olga Benario!“, „Rosa Luxemburg“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder Ad de Bonts Bearbeitung des Stoffes mit dem Titel „Anne und Zef“. Nicht weibliche Identifikationsfiguren aus Märchen und Kinderliteratur, sondern Protagonistinnen der Zeitgeschichte stehen im Mittelpunkt der Inszenierungen. Was sie unter den Umständen ihrer Zeit und gegen die ihnen von der Gesellschaft zugewiesene Geschlechterrolle taten, machte sie zu Heldinnen.
Gemäss Begriffsdefinition ist ein Held ein Mensch mit herausragenden körperlichen und/oder geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn zu besonders hervorragenden Leistungen treibt.
Helden vollbringen für andere und/oder im Namen einer Idee grosse Taten, ungeachtet negativer, nachteiliger Folgen für das eigene Leben. Sie zeigen Missstände auf und setzen sich für andere ein, sind uneigennützig und bereit, die eigene Existenz zu opfern.
Gerade junge Menschen haben das Bedürfnis, sich einzusetzen, sich zu engagieren und sich zu beteiligen, verbunden mit der Hoffnung auf Wahrnehmung, auf Erfolg. Im realen Alltag ist das Verfolgen eines Ziels meist mit Widerständen verbunden. Sie gilt es zu überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Das läuft selten ohne Auseinandersetzung, körperliches wie verbales Kräftemessen ab, bedeutet Anstrengung, Kompromiss, Arbeit, Kraft- und Zeitaufwand, Umweg, Zurückstecken – ohne Gewissheit des tatsächlichen Erfolgs.
Die virtuelle Welt dagegen bietet die Chance, dieser konflikthaften Realität entfliehen zu können, ohne dabei auf Aktivität und Einsatz verzichten zu müssen. „Es wird einem nicht wehgetan. Man wird nicht bestraft, wenn man Fehler macht.“ Dies benennen Jugendliche in einer TV-Umfrage als Gründe für den hohen Stellenwert, den das Kräftemessen im Computerspiel bei ihnen hat. Gleichzeitig vermittelt das Engagement im virtuellen Rahmen das Gefühl, von den Mitspielern gebraucht zu werden, in einer Welt, wie man sie sich wünscht, die man mitgestalten kann.
Während es in der täglichen Realität von Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeitswelt anstrengend sein kann, etwas zu tun und dafür die gewünschte und nötige Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen, bietet die virtuelle Welt dies mit einigen Mouse-Klicks. Es lassen sich Mutproben bestehen und außergewöhnliche Taten vollbringen.
Dabei sind die Zeiten reiner Männerbünde vorbei, denen Frauenfiguren als Helferinnen zur Seite standen. Als weibliche Protagonistinnen und Anführerinnen bestimmen auch „Sheros“ den Spielverlauf und leisten Grosses mit Erfolg.
In dieser Welt der Selbstidealisierung tritt das eigene biographische Ich zurück, die persönliche Herkunft und Geschichte wie auch soziales und kulturelles Umfeld sind nicht wichtig. Die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Körperlichkeit werden aufgelöst. Alles ist allen möglich. Die Personen sind nicht an Vorgaben der Realität, der Gesellschaft, anderer Partner gebunden. Es entsteht ein hybrides Gefühl der Ungebundenheit, Unabhängigkeit und Freiheit.
„Auf Olga Benario“ wurde an der Schauburg in München aufgeführt, jener Stadt in der die Protagonistin geboren wurde und aus der sie vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Das Berliner Grips Theater liegt gar nicht so weit vom Landwehrkanal entfernt, jenem Ort an dem Rosa Luxemburg von rechtsradikalen Mitgliedern des Freikorps ermordet wurde. Und Anne Frank schließlich lebte in Amsterdam in einem Versteck, bevor sie entdeckt und ins KZ Bergen-Belsen deportiertwurde. Die Uraufführung des von Ad de Bont geschriebenen Stückes fand an der Amsterdamer „De Toneelmakerij“ statt, dem Zusammenschluss von Huis aan de Amstel und der Gruppe Wederzijds. Indem sich Kinder- und Jugendtheater mit vergangenen biografischen Stoffen auseinandersetzen, leisten sie gleichzeitig einen Beitrag zur Geschichte ihrer Städte und damit zu einem historischen Bewusstsein, dass dem Heute etwas vor ausgegangen ist und das nach uns etwas kommt.
Petra Fischer
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Historische Heldin trifft auf heutiges PublikumHeldinnen der Zeitgeschichte auf den Bühnen des Kinder- und Jugendtheatersvon Petra Fischer | Seite 4 |
„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“Die Geschichte der Rosa Luxemburg am Gripsvon Manfred Jahnke | Seite 10 |
Beiträge | |
„Über Kinder- und Jugendtheater spricht es sich schön“Sächsisches Theatertreffen in Chemnitzvon Steffen Georgi | Seite 12 |
Vom produktiven fremden BlickEin Symposium in Köln zu „Theater und Migration“von Manfred Jahnke | Seite 16 |
„Der König ohne Reich“ – Ein Reich ohne KönigEröffnung der neuen Spielstätte in St. Vithvon Christel Hoffmann | Seite 18 |
Über die Poesie des VersuchsZehnte Ausgabe der Spurensuche beim Theater Pfützevon Ania Michaelis | Seite 20 |
Stoff, Ästhetik, Rezeption und viele FragenNotizen zu „Play Young“ bei Theater der Welt in Mülheim/Ruhrvon Manfred Jahnke | Seite 22 |
Vor dem Schultor – „Platform11+“Künstlerische Entdeckungen auf europäischen Schulhöfenvon Brigitte Korn-Wimmer | Seite 25 |
Zwischenruf | Seite 27 |
Der TicketreportZwischenrufvon Peer Ziegler | |
Rezension | Seite 29 |
Eine Utopie wider das bessere WissenChristian Martin: „Märchenspiele“ (erschienen als „edition 5“) und „Stücke“ (erschienen als „edition 6“) bei henschel SCHAUSPIEL zu je 14,80 EUR.von Tristan Berger | |
Termine | Seite 31 |
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