Recherchen 41
Bilder aus Bayreuth
Festspielberichte 1977-2006
Herausgegeben von Wolfgang Behrens
Paperback mit 288 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-934344-89-1, Originalpreis: € 16,00
Dieses Buch ist leider vergriffen
"Dieckmanns Sprache ist ein funkelndes Besteck." FAZ
"Der Sammelband stellt nicht nur das subjektive Tagebuch eines Rezensenten dar, sondern läuft auf die Darstellung einer Epoche hinaus." Opernwelt
"Dieckmann erzählt die Geschichte so plastisch nach, dass man sie neu begreift, in der Tat: als hätte man sie gesehen." Berliner Zeitung
Dieses Buch ist ein Novum: die Geschichte des einzigen deutschen Autorentheaters und wichtigsten deutschen Opernfestivals als eine Folge von Aufführungsberichten, die einen Zeitraum von drei Jahrzehnten umspannen. Friedrich Dieckmann hat 1971 einen Band über die Arbeit des Berliner Ensembles und seines Bühnenbildners Karl von Appen vorgelegt, der zu einem Standardwerk wurde; seine biographische Collage RICHARD WAGNER IN VENEDIG erhielt 1983 den Internationalen Kritikerpreis der Stadt Venedig. Als freischaffender Autor hat er für Zeitschriften und Tageszeitungen auch in den Zeiten der deutschen Teilung von Zeit zu Zeit über Bayreuth berichten können, wo über Gräben und Mauern hinweg immer auch Künstler aus dem östlichen Deutschland in die Arbeit einbezogen waren: Sänger, Regisseure, Dirigenten, Orchestermitglieder. Dieckmanns kritische Kommentare, die hier erstmals ungekürzt erscheinen, sind erzähltes Theater, dem inszenatorischen Detail eine Aufmerksamkeit zuwendend, die es in der Normalrezension nur selten finden kann. Inszenierungen von Dieter Dorn, Jürgen Flimm, Götz Friedrich, Harry Kupfer, Christoph Marthaler, Heiner Müller, Jean-Pierre Ponnelle, dem Festspielleiter Wolfgang Wagner und anderen kommen in Sicht. Besonders eingehend ist die Arbeit jenes französischen Teams beschrieben, dem von 1976 bis 1980 eine epochale RING-Aufführung gelang.
"Man möchte ihn permanent zitieren, wenn es um alte und neue Bayreuther Inszenierungen geht: Friedrich Dieckmann, einen Solitair der modernen Publizistik." Nordbayerischer Kurier
"Dieckmann ist sicherlich einer der besten Opernkritiker der letzten Jahrzehnte. (...) Diese sehr lesenswerten, einen Zeitraum von fast drei Jahrzehnten umfassenden Festspielberichte, sind jetzt zum ersten Mal ungekürzt in Buchform erschienen. Das ist sehr begrüßenswert." Forum Musikbibliothek
In seiner »Vergleichung des ästhetischen Werts der schönen Künste untereinander« (Kritik Der Urteilskraft, § 53) läßt Kant die Musik nicht eben gut wegkommen: die Tonkunst vermittle nur Empfindungen »von transitorischem Eindrucke«, sie bewege »bloß vorübergehend«. Ja, schlimmer noch: die von der Musik ausgelösten Empfindungen »erlöschen entweder gänzlich oder, wenn sie unwillkürlich von der Einbildungskraft wiederholt werden, sind sie uns eher lästig als angenehm.« Somit habe die Musik, »durch Vernunft beurteilt, weniger Wert als jede andere der schönen Künste.«
Das abwertende Vernunfturteil des Königsberger Philosophen müßte so manchen Opernfreund betrüben, denn es findet mit gleichem, wenn nicht größerem Recht auch auf Darstellungskunst und Oper seine Anwendung. Doch schon der Kantianer Schiller kam zu ganz anderen Schlüssen - ihm nötigte der »Geist in seiner flüchtigsten Erscheinung« (im Prolog zum WALLENSTEIN, hier auf das Theater bezogen) den größten Respekt ab: »Denn schnell und spurlos geht des Mimen Kunst, / Die wunderbare, an dem Sinn vorüber, / Wenn das Gebild des Meißels, der Gesang / des Dichters nach Jahrhunderten noch leben. ... Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, / Drum muß er geizen mit der Gegenwart, / Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen, / Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern, / Und im Gefühl der Würdigsten und Besten / Ein lebend Denkmal sich erbaun - so nimmt er / Sich seines Namens Ewigkeit voraus, / Denn wer den Besten seiner Zeit genug / Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.«
So oder s die Vergänglichkeit der künstlerischen Hervorbringung bleibt ein Manko, an dem nicht zuletzt die historiographische Wissenschaft sich abzuarbeiten hat. Doch früher schon - vor aller Wissenschaft - wird es im wägenden Gespräch unter Musik- und Opernfreunden manifest. Um sich gegen die Flüchtigkeit der theatralischen oder musikdramatischen Kunst zu wappnen, ersann man im Laufe der Zeit verschiedene Strategien; sie lassen sich anhand der Geschichte der Bayreuther Festspiele trefflich nachvollziehen. Nach dem Tode Richard Wagners - dessen Werk Ursprung und Zweck der Festspiele ist - bestand die vornehmlichste Strategie in der Konservierung des Erreichten: kein Jota sollte man den szenischen Lösungen des Meisters rauben. Der zu zahlende Preis war hoch, das Bewahren eines Vergänglichen mündete in Erstarrung und künstlerischen Stillstand. Den vorsichtigen Neuerungen eines Heinz Tietjen und Emil Preetorius in den dreißiger Jahren folgte dann nach dem Zweiten Weltkrieg ein grundlegender Neuanfang: aus dem Museum Bayreuth wurde unter der Doppelspitze der Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang eine Werkstatt; den Inszenierungen wurde wieder ihre theaterübliche Halbwertszeit - und somit ihre Zeitlichkeit - zugestanden. Doch nun war das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit angebrochen, Tonmitschnitte der Aufführungen entstanden und stemmten sich gegen das Vergessen. Bald trat das Bild hinzu, und es trifft sich, daß von den meisten der in diesem Band behandelten Aufführungen Fernsehaufzeichnungen oder DVDs verfügbar sind: von Chéreaus Ring, von Kupfers Holländer, von Müllers TRISTAN und anderen. So sehr indes die Bildkonserven eine Hilfe bei der Vergegenwärtigung alter Inszenierungen darstellen, so groß ist auch der Verlust. Daß das Bild keine Räumlichkeit transportiert, ist ebenso eine Binsenweisheit wie die Tatsache, daß die Unsitte der Fernsehregisseure, Details gegenüber der Totalen aufzuwerten, eine meist nur ausschnitthafte Wahrnehmung ermöglicht. Wichtiger noch ist, daß keine Aufzeichnung die wirkliche Bedeutung einer Aufführung zur bestimmten Zeit am bestimmten Ort festzuhalten vermag. Wer heute Chéraus Ring im heimischen Wohnzimmer anschaut, wird der ursprünglichen Kühnheit und Sprengkraft dieser Interpretation schwerlich inne. Dieses Bedeutungsvakuum, das das bloße Fernseh oder Kinobild hinterläßt, zu füllen, gibt es nur einen Ausweg: die Befragung zuverlässiger Zeugen.
Friedrich Dieckmann ist so ein Zeuge, und ein außerordentlicher zudem. Schon 1955 fand er Zugang zu den Bayreuther Festspielen, seit 1977 besuchte er sie relativ kontinuierlich. Doch nicht allein diese enorme Zeitspanne zeichnet seine Zeugenschaft aus, sondern zuallererst die Schärfe und die Deutungskraft seiner Beobachtungen, die er in Artikeln niederlegte, die das gängige Rezensionsmaß in jeder Hinsicht überschreiten. Er verfaßte sie, zumindest vor 1989, aus einer besonderen Situation heraus: als Berichterstatter aus dem einen in das andere Deutschland. Nachdem Dieckmann bis 1976 am Berliner Ensemble als Dramaturg gewirkt hatte, war er fortan als freier Schriftsteller tätig; um von den Bayreuther Ereignissen zu erzählen, eroberte er sich - alle Möglichkeiten, die sich boten, auslotend - die unterschiedlichsten Publikationsformen: von der Tagespresse über die Zeitschrift bis zum Buch.
So heterogen die Formate waren, so gleichbleibend erhellend ist der Blick: Es ist ein epischer - und am epischen Theater geschulter - Blick. Anders als die Fernsehkamera nimmt Dieckmann Details nicht zufällig aus dem Ganzen heraus, sondern bettet sie beziehungsreich darin ein, erschließt dem Leser ihre Bedeutung, lenkt ihn sicher auf dem schwierigen Pfad zwischen Überschau und Konkretion. Die Genauigkeit und Unmittelbarkeit seiner Beschreibungen bringen derart lebendige Bilder hervor, daß sich der Titel der vorliegenden Sammlung (der zugleich der Titel der großen, am Anfang stehenden Besprechung des Chéreau-Rings ist) Bilder aus Bayreuth wie von selbst nahelegt.
Ein nicht gering zu achtender Vorzug ist die zeitliche Nähe, aus der heraus Dieckmann seine Beobachtungen festhielt: zwar steht ihm jederzeit das Instrumentarium des distanzierten Historikers zur Verfügung, doch schreibt er auch als ein Beteiligter, der die Verbindungen zwischen den erlebten Aufführungen und ihrer jeweiligen politischen Gegenwart seismographisch aufspürt. Nur so wird das Neue, für das etwa 1976 und 1977 ein Ring einstehen konnte, auch demjenigen erfahrbar und begreiflich, der nicht dabei gewesen ist. Fast müßig zu erwähnen, daß Dieckmann nicht bei der Beschreibung der Aufführungen verharrt, sondern immer wieder auch das Festival selbst, sein Publikum, sein Umfeld in die Sicht nimmt - denn immer wirken die Bedingungen der Aufführungen auf diese zurück.
Wenn hier Friedrich Dieckmanns Festspielbeobachtungen gesammelt vorgelegt werden, so ist dies ein Beitrag dazu, dem Erlöschen eines wichtigen Kapitels der Inszenierungsgeschichte vorzubeugen und dem Transitorischen einiger bedeutsamer Inszenierungen zu einer Dauer im Wort zu verhelfen. Der Band präsentiert sich zugleich als einzigartige Unternehmung: er schreibt Theatergeschichte in Form von gesammelten Aufführungsberichten auf einen Autor - Richard Wagner - und ein Haus bezogen. In der Summe zeigt sich etwas, das nicht jeder vermutet hätte: daß Bayreuth in hohem Maße ein Spiegel der Zeit war und ist.
Verlag und Herausgeber danken dem Literaturforum im Brecht-Haus für wirksame Unterstützung und in besonderem Maße den Bayreuther Festspielen, die dieses Buchprojekt vorbehaltlos gefördert und in großzügiger Weise das Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben.
Wolfgang Behrens
Berlin, April 2007
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Götterdämmerungvon Friedrich Dieckmann | Seite 11 |
Das Rheingoldvon Friedrich Dieckmann | Seite 27 |
Die Walkürevon Friedrich Dieckmann | Seite 33 |
Siegfriedvon Friedrich Dieckmann | Seite 41 |
Voraussetzungenvon Friedrich Dieckmann | Seite 50 |
Teamworkvon Friedrich Dieckmann | Seite 58 |
Publikumvon Friedrich Dieckmann | Seite 66 |
Umkreisvon Friedrich Dieckmann | Seite 70 |
Der schwarze Mantel des Patrice Chéreau (1978)Nachrichten aus der Werkstatt Bayreuthvon Friedrich Dieckmann | Seite 75 |
Im Mastkorb der Träume (1978)Harry Kupfers »Holländer«von Friedrich Dieckmann | Seite 90 |
Mondritter in der finstern Welt (1979)Friedrichs und Ueckers verdunkelter »Lohengrin«von Friedrich Dieckmann | Seite 99 |
»Parsifal« mit zwei Jubilaren (1979)von Friedrich Dieckmann | Seite 104 |
Liebesnacht unterm Lichterbaum (1981)Jean-Pierre Ponnelle ringt mit »Tristan und Isolde«von Friedrich Dieckmann | Seite 107 |
Der Tanz unter der Linde (1981)Wolfgang Wagners »Meistersinger«-Volksfestvon Friedrich Dieckmann | Seite 113 |
In der Parsifalle (1982)von Friedrich Dieckmann | Seite 121 |
Bayreuth im Wendekreis (1985)Ansicht eines Festivalsvon Friedrich Dieckmann | Seite 126 |
Das magische Reich (1992)Bayreuths Festspiele im 127. Jahrvon Friedrich Dieckmann | Seite 142 |
Die tödliche Freiheit der Spangenmenschen (1993)Heiner Müller inszeniert »Tristan und Isolde«von Friedrich Dieckmann | Seite 157 |
Wagnerhydraulik (1999)Vor und hinter den Kulissen von Bayreuthvon Friedrich Dieckmann | Seite 169 |
Der schmale Leisten der Aktualisierung (2000)Zum Jahrhundertanfang: ein neuer »Ring«von Friedrich Dieckmann | Seite 184 |
Hoftheater im Niemandsland (2002)Ein neuer »Tannhäuser«von Friedrich Dieckmann | Seite 194 |
Der Liebestrank aus der Thermosflasche (2005)Marthaler & Viebrock generieren »Tristan und Isolde«von Friedrich Dieckmann | Seite 199 |
Das Leben begibt sich am Rande (2006)Tankred Dorsts Versuch, in Bayreuth Wagners »Ring« zu entgehenvon Friedrich Dieckmann | Seite 210 |
Szenenfotos | Seite 217 |
Bayreuth-Erfahrungen im geteilten DeutschlandExkurse und Reminiszenzen | Seite 247 |
Anmerkungen | Seite 269 |
„Alle literatur- und musikkritischen Beiträge Dieckmanns, des Schülers von Ernst Bloch, versuchen den geschichtspolitischen Gehalt der untersuchten Werke als das freizulegen, was sie uns heute noch zu sagen haben. Eigenheiten von Dieckmanns Stil, die für sich betrachtet kurios oder sagar komisch wirken können, haben ihre Funktion im Zusammenhang dieser Absicht. Er will den Sinn der Werke herauspräparieren, und seine Sprache ist ein funkelndes Besteck. Sein Vokabular wirkt regelmäßig altertümlich, aber die Philologie würde wohl nachweisen können, dass die Archaismen oft Neologismen sind. Von Dieckmanns Manier gilt Nietzsches Wort über die Meistersinger-Ouvertüre als Sinnbild des deutschen Nationalstils: Sie ist von vorgestern und von übermorgen.“Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Dieckmann ist sicherlich einer der besten Opernkritiker der letzten Jahrzehnte. (...) Diese sehr lesenswerten, einen Zeitraum von fast drei Jahrzehnten umfassenden Festspielberichte, sind jetzt zum ersten Mal ungekürzt in Buchform erschienen. Das ist sehr begrüßenswert.“Forum Musikbibliothek
„Der Sammelband stellt nicht nur das subjektive Tagebuch eines Rezensenten dar, sondern läuft auf die Darstellung einer Epoche hinaus.“Opernwelt
„Man möchte ihn permanent zitieren, wenn es um alte und neue Bayreuther Inszenierungen geht: Friedrich Dieckmann, einen Solitair der modernen Publizistik.“Nordbayerischer Kurier
„Dieckmann erzählt die Geschichte so plastisch nach, dass man sie neu begreift, in der Tat: als hätte man sie gesehen.“Berliner Zeitung
Zum Herausgeber
Wolfgang Behrens
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Bibliographie
Beiträge von Wolfgang Behrens finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 02/2015
Je suis Charlie
Arbeitsbuch 17
Stück-Werk 5
Neue deutschsprachige Dramatik im Porträt
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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