50 Jahre Maxim Gorki Theater
Herausgegeben von Manfred Möckel, Harald Müller und Julia Niehaus
Paperback mit 200 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-934344-19-8
Gorki verbrachte von 1906 bis 1913 ein Exil auf Capri, wo ihn Lenin gern besuchte. Hier sieht man ihn Schach spielend mit Alexander Bogdanow, einem der späteren Erfinder des »Proletkult«, wofür ihn Lenin 1923 kurzzeitig einsperren ließ.
Mit Gorki verfuhr Lenin nach der Revolution anders: als dieser sich in den »Unzeitgemäßen Betrachtungen...« und in persönlichen Briefen an ihn empört über terroristische Maßnahmen der neuen Macht äußerte, »empfahl« Lenin ihm einen weiteren Aufenthalt auf Capri, der »seiner Gesundheit sehr förderlich« sein würde.
1928 holte Stalin den Dichter mit großer Geste nach Moskau zurück und erklärte ihn zum Klassiker des sozialistischen Realismus. Dennoch sollte diese Rückkehr Gorkis Gesundheit mehr als schaden: er starb unter relativ ungeklärten Umständen 1936 im Alter von 68 Jahren.
Das Maxim Gorki Theater wurde als ein Ort zur Pflege russischer und sowjetischer Theaterkunst 1952 in Berlin gegründet.
Wie es sich in fünfzig wechselvollen Jahren mit diesem komplizierten Auftrag und Erbe auseinandersetzte, wie es dabei versucht hat, neue Wege zu gehen und welche Künstler es auf diesem Weg begleitet haben, soll hier erzählt werden.
Volker Hesse
Berlin Unter den Linden 1952 bis 2002
Dramatische und bewegende Geschichtsmomente waren hier hautnah zu erleben: Kult-Prozessionen für Stalin, Panzeraufmärsche im Juni 1953, der Mauerbau, der Mauerfall, der Nachwende-Boom, die Dewonstrationsmassen nach dem 11. September 2001.
Mehr als andere Theater ist das Gorki durch seinen Standort mit der Geschichte verwoben. Die Chronik des Hauses ist reich an Brüchen und Paradoxien. Eine klassizistische Singakademie schließt im Zweiten Weltkrieg ihre Pforten, überlebt als Ruine, wird wieder aufgebaut als russisches Offizierskasino, ab 1952 kontinulerlich als Theater genutzt.
Der Marmor, der im Foyer verbaut wurde, stammt aus den Trümmern der einstmals nahen Reichskanzlei, der Stil erinnert an die Eingangshallen der Stalin-, heute Karl-Marx-Allee.
Neben dem Haus der Lindentunnel: von Kaiser Wilhelm II. erbaut als Straßenbahntunnel, auf dass der Prachtboulevard Unter den Linden nicht beeinträchtigt werde. In DDR-Zeiten diente der Turnel als geheimes NVA-Panzerdepot, nach der Wende stand er leer oder war Ort bizarrer Bildender Kunstaktionen. Heute benutzt das Gorki Theater den Tunnel als Kulissenlager. Die alten Lager am Festungsgraben sollen bald einem großen Bürokomplex weichen, der auf die Museumsinsel ausgerichtet ist.
Das Gorki Theater und sein Umfeld sind geprägt von ständigen Umwälzungen. Stärker als anderswo muss das Neue sich mit Altem auseinandersetzen, das Alte mit Neuem. Die Theaterarbeit ist dadurch zuweilen schwierig und anstrengend, aber auch faszinierend und herausfordernd.
Vieles sollte das Haus in den vergangenen fünfzig Jahren sein: Musterbühne des sozialistischen Realismus, Repräsentationsort sowjetischer und russischer Dramatik, Aufführungsort neuer deutscher Autoren, Diskussionsforum SED-kritischer Bewegungen, großstädtischer Boulevard-Treffpunkt und Ort der poetischen Entrückung.
Die in diesem Buch gesammelten Texte machen Auseinandersetzungen mit Gegensätzlichkeiten in der Geschichte des Maxim Gorki Theaters erfahrbar. Es wurde viel gekämpft in diesem Haus. Man spürt die Lähmung und den ideologischen Starrsinn, der manche Theaterkonzeption bestimmt hat. Man ahnt Opportunistisches und Grämliches - und Verzweiflung. Aber man spürt auch, wieviel Kraft und Phantasie, wieviel Erfindungsreichtum und Intelligenz, wieviel Ensemble-Solidarität und sensible Menschlichkeit hier entfaltet wurden.
Es gab die viel beschriebenen Sternstunden des Theaters, bei denen die Menschen im Gorki den Atem anhielten, weil auf der Bühne etwas abgehandelt wurde, das alle aufwühlte. Vor allem in den letzten Jahren der DDR hatte das Gorki eine Öffentlichkeitsfunktion, die der Theaterarbeit Notwendigkeit und Sinn gab.
Im heutigen »anything goes«-Klima ist es schwerer geworden, solche Abende herbeizuführen. Man darf (fast) alles, aber es ist auch nicht mehr so wichtig, was im Theater geschieht. Dennoch - auch in den nächsten fünfzig Jahren wird der Boulevard Unter den Linden ein spannungsvoller Ort bleiben. Auch in Zukunft lassen sich mit wachen Sinnen Geschichten erzählen, die aus der Nähe zur Geschichte entstehen. Man wird diesen Ort weiter brauchen zum Nachdenken und Verarbeiten, zum Hoffen und Träumen.
Volker Hesse ist seit Beginn der Spielzeit 2002/2002 Intendant des Maxim Gorki Theaters
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Beim Theatervon Maxim Gorki | Seite 16 |
Berlin Unter den Linden 1952 bis 2002von Volker Hesse | Seite 20 |
Ein Gespräch mit Katharina Thalbachvon Hartmut Krug | Seite 22 |
Theaterfleischvon Joachim Meyerhoff | Seite 28 |
Innerhalb dieser Weltvon Anna Kubin | Seite 30 |
Seele des Boulevardvon Rüdiger Schaper | Seite 32 |
»Mein Gorki ... «von Uwe Eric Laufenberg | Seite 36 |
Entdeckungenvon Bernd Wilms | Seite 40 |
Die Freiheit der Machervon Peter Schubert | Seite 44 |
Fünfzig Jahre und ein Ende?von Klaus Pierwoß | Seite 50 |
Da wächst was nicht zusammenvon Ursula Werner | Seite 58 |
terra fata morganavon Lea Rosh | Seite 62 |
Spot auf Götzvon Peter Dehler | Seite 66 |
Entscheidende Wendevon Thomas Langhoff | Seite 68 |
Der Spätentwicklervon Dieter Kranz | Seite 70 |
Arbeitsnotizenvon Volker Braun | Seite 80 |
Für einen Augenblick: Theater der Zeitvon Ruth Reinecke | Seite 84 |
Ein Gespräch mit Uwe Kockischvon Thomas Knauf | Seite 90 |
Strahls Berliner Bühnevon Bert Koß | Seite 98 |
McMurphy am Gorkivon Ingeborg Pietzsch | Seite 102 |
Gorki am Gorkivon Manfred Möckel | Seite 108 |
Nicht nur eine künstlerische Heimatvon Henning Schaller | Seite 116 |
Disziplinierte Zerbrechlichkeitvon Ingeborg Pietzsch | Seite 118 |
»Wenn wir uns nicht selbst befreien«von Christoph Funke | Seite 122 |
Tetrao Urogallusvon Annette Reber | Seite 130 |
Seitwärts Unter den Lindenvon Heinz Kluncker | Seite 134 |
Zwei Versuche, die Gorki-Festung zu stürmenvon Klaus Völker | Seite 140 |
Nur ein kleiner Straßenkötervon Christoph Schroth | Seite 144 |
Das Trojanische Pferdvon Christoph Funke | Seite 146 |
Wandlung bis zur Verwandlung des sozialistischen Realismusvon Ernst Schumacher | Seite 152 |
Wieviele schöne Rollen gehen an einem vorbei!von Annett Gröschner | Seite 164 |
HOLUNDERWÄLDCHEN am Kastanienwäldchenvon Lothar Kusche | Seite 176 |
Alle Inszenierungen | Seite 180 |
Ehrenmitglieder | Seite 195 |
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